Ein Comic-Fan wird Vater und sucht nach Vorbildern im Superhelden-Genre. Batman vielleicht? Eher nicht.
„Kinder werden mit großer Weisheit geboren“, glaubte Jesper Juul, der kürzlich verstorbene Starpädagoge aus Dänemark, „aber ihnen fehlen praktische Lebenserfahrung, Überblick und die Fähigkeit vorauszudenken.“ Deswegen bräuchten Kinder Führung: „Wenn [der Erwachsene] das nicht kann beziehungsweise nicht will oder wenn Führung auf destruktive Art und Weise ausgeübt wird, wird niemand Erfolg haben – der Erwachsene wird seine Ziele nicht erreichen, und das Kind wird nicht in der Lage sein, sich zu entfalten und seine Persönlichkeit zu entwickeln.“

Only the good die young (DC Comics)
Jasons Tod ist Batmans Schuld
„Last Crusade“ wird in weiten Teilen aus Batmans Perspektive erzählt. Ich habe den Eindruck, Miller, Azzarello et al. stünden Robin überhaupt keine Selbstwirksamkeit zu. Jason ist von Anfang an auf die Rolle des Opfers festgelegt. Das weiß auch der Joker: „Oh, the fun, we’re going to have.“ Ein brutales Ende – Jokers Vorstellung von „Fun“ – ist Robins Schicksal: „Together“, malt der Joker sich weiter aus, „we’ll make the bat scream.“

Robin Versus Batman (DC Comics)
Dass Batman und Catwoman ein Sexleben haben, ist aus der Sicht dieses erzkonservativen Comics schon an sich besorgniserregend. Wer fickt, weiß nicht, was seine Kinder tun. So verliert Batman die Kontrolle darüber, wo sein Ziehsohn sich nachts herumtreibt. In diesem Fall verfolgt Jason den Joker, obwohl Batman es ihm verboten hat. Heimlich schleicht er sich davon, und noch bevor der nächste Tag anbricht, ist der Junge tot.
Wer fickt, macht sich schuldig
Batmans Machtlosigkeit zieht sich durch den ganzen Band. Wann immer das dynamische Duo Verbrecher_innen stellt, ist es Robin, der sie zur Strecke bringt. Batman ist Dead Weight. Jason hingegen schlägt über die Stränge, geht brutal und rücksichtslos vor. Und Batman setzt ihm keine Grenzen. In seiner Hilflosigkeit kommandiert er den Jungen herum, plan- und ziellos. Dass Robin da nicht folgt, ist beinahe konsequent: „Wenn die einzige Option für ein Kind ist, die Hacken zusammenzuknallen und »Jawohl!« zu brüllen, dann verliert es dabei seine Würde“, weiß Juul über autoritäre Erziehungsmethoden, „[d]ie meisten Kinder werden auf eine solche Situation reagieren, indem sie gegen ihre Väter kämpfen“.

Horror in der Psychiatrie (DC Comics)
Ich stelle mir die Frage: Behauptet „Last Crusade“ einen Zusammenhang zwischen Kraftlosigkeit, schlechter Elternschaft und dem finalen tödlichen Ausgang der Geschichte? So weit würde ich nicht gehen. Vielmehr präsentieren Miller, Azzarello et al. ein potentes Gegenbild zu Batman, das sich gerade nicht definieren lässt durch – nicht reduzieren lässt auf – Körperlichkeit.
Gleich auf der ersten Seite der Graphic Novel wird der gefesselte Joker von einer Gruppe hochgerüsteter Polizist_innen grausam zusammengeschlagen. Das sind drastische, blutige Bilder von institutioneller Gewalt, von Machtmissbrauch und Misshandlung von Schutzbefohlenen – immerhin ist der Joker Patient in einer Psychiatrie. Doch im Laufe der Geschichte ergibt sich ein differenzierteres Bild: Ist der Joker tatsächlich hilflos, wirklich jemals ausgeliefert?
Bereits das nächste Mal, wenn Leser_innen ihm begegnen, hat der Clown-Prince of Crime die Situation in der vermeintlichen Heilanstalt zu seinen Gunsten gedreht. Während die übrigen Insassen um ihn herum einen gewaltsamen Aufstand gegen das Klinikpersonal proben, raucht der Joker seelenruhig seine Zigaretten. Nur teilnahmslos ist er deshalb nicht: Der Joker dirigiert die Insassen durch beiläufige Kommentare, wirft sie wie Spielfiguren in den Kampf gegen seine Gefängniswärter.

Sein Name ist Legion (DC Comics)
Das ist die Macht des Jokers: Er verfügt über einen jederzeit jungen, kraftstrotzenden Körper aus willfährigen, manipulierbaren, kranken Untergebenen. Der Joker verkörpert das Böse in einer beinahe biblischen Dimension: „Legion ist mein Name“, heißt es im Evangelium nach Markus, „denn wir sind viele.“
Der Joker wirkt zerbrechlich und zart – das diametrale Gegenteil zum ledrigen, zähen Batman. Aber hilflos ausgeliefert sind immer die anderen: Psychiatriepersonal und -patienten, Jason – allesamt dem Joker ausgeliefert. Hieran zeigt sich, dass Miller, Azzarello et al. es sich nicht ganz einfach machen. Schwach ist in „Last Crusade“ nicht, wessen Fleisch schwach ist, sondern wer geistig nicht mithalten kann. Autorität kommt aus psychologischer Kraft: Charakterstärke. Körperlich schwach sind beide, der altersmüde Batman ebenso wie der ätherische Joker. Insofern ist der Superschurke kein Gegenentwurf zum Superhelden, sondern sein Zerrbild. „Last Crusade“ polarisiert demnach nicht entlang der Achse Gut-Böse, sondern zwischen Alt und Jung.
Der maßgebliche Konflikt ist nicht Batman versus Joker, sondern Batman versus Robin. Jason ist alles, wonach Batman sich sehnt: aktiv, gesund, alert. Deshalb muss er sterben. Nicht, weil die sinistre Brutalität des Jokers der Rechenschaffenheit des Helden überlegen ist. Sondern weil Jason die Leser_innen daran erinnert, dass Batman eigentlich obsolet ist. Als Superheld. Als Vater. Nur als Unterhaltungsfranchise ist Batman noch lange nicht tot.
Jakob Kibala und seine Partnerin erwarten ihr erstes Kind. Bereits erschienen ist sein Buch „Wissen und Erschließen“ über „Batman & Son“ und „The League of Extraordinary Gentlemen“ (Ch. A. Bachmann Verlag). Auf Instagram bloggt er über die „X-Men“-Comics der 1990er Jahre.