Bat Parent – „The Dark Knight Returns: The Last Crusade“

© DC Comics

„Kinder werden mit großer Weisheit geboren“, glaubte Jesper Juul, der kürzlich verstorbene Starpädagoge aus Dänemark, „aber ihnen fehlen praktische Lebenserfahrung, Überblick und die Fähigkeit vorauszudenken.“ Deswegen bräuchten Kinder Führung: „Wenn [der Erwachsene] das nicht kann beziehungsweise nicht will oder wenn Führung auf destruktive Art und Weise ausgeübt wird, wird niemand Erfolg haben – der Erwachsene wird seine Ziele nicht erreichen, und das Kind wird nicht in der Lage sein, sich zu entfalten und seine Persönlichkeit zu entwickeln.“

Only the good die young (DC Comics)

Leider fehlen zu vielen Erwachsenen die dazu nötigen charakterlichen Führungsqualitäten, um echte „Leitwölfe“ zu sein, wie Juul sie sich wünscht. Auch Batman hat hier Nachholbedarf, deshalb muss Robin sterben. In „The Dark Knight Returns: The Last Crusade“ von Frank Miller, Brian Azzarello, John Romita Jr. & Peter Steigerwald muss Robin Jason Todd sterben, weil sein Ziehvater Batman besessen ist von seiner eigenen gottverdammten Unzulänglichkeit. Dieser Batman ist ein Narzisst wie er im Buche steht, der sich zwar redlich Mühe gibt, mit Jason zu connecten, den Jungen aber letzten Endes vernachlässigt und so zur leichten Beute für den Kindermörder Joker macht.

Jasons Tod ist Batmans Schuld

„Last Crusade“ wird in weiten Teilen aus Batmans Perspektive erzählt. Ich habe den Eindruck, Miller, Azzarello et al. stünden Robin überhaupt keine Selbstwirksamkeit zu. Jason ist von Anfang an auf die Rolle des Opfers festgelegt. Das weiß auch der Joker: „Oh, the fun, we’re going to have.“ Ein brutales Ende – Jokers Vorstellung von „Fun“ – ist Robins Schicksal: „Together“, malt der Joker sich weiter aus, „we’ll make the bat scream.“

Robin Versus Batman (DC Comics)

Bis zum Schluss wird nicht klar, ob Batman seinen Wunderknaben hätte retten können, hätte er sich nur mehr bemüht. Denn der Superheld wird durchgehend als alter, müder Recke gezeichnet, dessen Körper ihm den Dienst versagt. Nach einer Nacht auf Streife bringt Batman nicht einmal mehr genug Kraft auf, um am nächsten Morgen sein Bett zu verlassen. Dieser Batman ist müde, impotent, auch wenn er seine Partnerin Catwoman noch sexuell befriedigen kann.

Dass Batman und Catwoman ein Sexleben haben, ist aus der Sicht dieses erzkonservativen Comics schon an sich besorgniserregend. Wer fickt, weiß nicht, was seine Kinder tun. So verliert Batman die Kontrolle darüber, wo sein Ziehsohn sich nachts herumtreibt. In diesem Fall verfolgt Jason den Joker, obwohl Batman es ihm verboten hat. Heimlich schleicht er sich davon, und noch bevor der nächste Tag anbricht, ist der Junge tot.

Wer fickt, macht sich schuldig

Batmans Machtlosigkeit zieht sich durch den ganzen Band. Wann immer das dynamische Duo Verbrecher_innen stellt, ist es Robin, der sie zur Strecke bringt. Batman ist Dead Weight. Jason hingegen schlägt über die Stränge, geht brutal und rücksichtslos vor. Und Batman setzt ihm keine Grenzen. In seiner Hilflosigkeit kommandiert er den Jungen herum, plan- und ziellos. Dass Robin da nicht folgt, ist beinahe konsequent: „Wenn die einzige Option für ein Kind ist, die Hacken zusammenzuknallen und »Jawohl!« zu brüllen, dann verliert es dabei seine Würde“, weiß Juul über autoritäre Erziehungsmethoden, „[d]ie meisten Kinder werden auf eine solche Situation reagieren, indem sie gegen ihre Väter kämpfen“.

Horror in der Psychiatrie (DC Comics)

Der Batman in „Last Crusade“ ist keine Autoritätsperson mehr: „Kinder haben kein Interesse daran, Macht über ihre Eltern zu haben. Aber sie messen ihrer Autonomie und ihren persönlichen Grenzen hohen Wert bei, und sie werden so lange für diese kämpfen, bis sie schließlich gebrochen und erniedrigt sind.“ Gebrochen wird Robin am Ende vom Joker. Batman fehlt dazu die Kraft – ein besserer Vater ist er deshalb nicht.

Ich stelle mir die Frage: Behauptet „Last Crusade“ einen Zusammenhang zwischen Kraftlosigkeit, schlechter Elternschaft und dem finalen tödlichen Ausgang der Geschichte? So weit würde ich nicht gehen. Vielmehr präsentieren Miller, Azzarello et al. ein potentes Gegenbild zu Batman, das sich gerade nicht definieren lässt durch – nicht reduzieren lässt auf – Körperlichkeit.

Gleich auf der ersten Seite der Graphic Novel wird der gefesselte Joker von einer Gruppe hochgerüsteter Polizist_innen grausam zusammengeschlagen. Das sind drastische, blutige Bilder von institutioneller Gewalt, von Machtmissbrauch und Misshandlung von Schutzbefohlenen – immerhin ist der Joker Patient in einer Psychiatrie. Doch im Laufe der Geschichte ergibt sich ein differenzierteres Bild: Ist der Joker tatsächlich hilflos, wirklich jemals ausgeliefert?

Bereits das nächste Mal, wenn Leser_innen ihm begegnen, hat der Clown-Prince of Crime die Situation in der vermeintlichen Heilanstalt zu seinen Gunsten gedreht. Während die übrigen Insassen um ihn herum einen gewaltsamen Aufstand gegen das Klinikpersonal proben, raucht der Joker seelenruhig seine Zigaretten. Nur teilnahmslos ist er deshalb nicht: Der Joker dirigiert die Insassen durch beiläufige Kommentare, wirft sie wie Spielfiguren in den Kampf gegen seine Gefängniswärter.

Sein Name ist Legion (DC Comics)

Um seine eigene Gesundheit fürchtet er sich offenkundig nicht. Wie eine Schutzhaut, ein Panzer aus Fleisch, Muskeln und Gewalt, hüllen die Insassen ihn ein. Die Psychiatriepatienten sind mehr als die Handlanger oder Werkzeuge des Jokers. Sie sind die vielen Hände, Arme und Beine, der kollektive Körper, mit denen der Joker als krimineller Leviathan um sich schlägt (in Thomas Hobbes’ „Leviathan“ wird der Herrscher als Kopf auf einem Körper dargestellt, den seine Untertanen bilden).

Das ist die Macht des Jokers: Er verfügt über einen jederzeit jungen, kraftstrotzenden Körper aus willfährigen, manipulierbaren, kranken Untergebenen. Der Joker verkörpert das Böse in einer beinahe biblischen Dimension: „Legion ist mein Name“, heißt es im Evangelium nach Markus, „denn wir sind viele.“

Der Joker wirkt zerbrechlich und zart – das diametrale Gegenteil zum ledrigen, zähen Batman. Aber hilflos ausgeliefert sind immer die anderen: Psychiatriepersonal und -patienten, Jason – allesamt dem Joker ausgeliefert. Hieran zeigt sich, dass Miller, Azzarello et al. es sich nicht ganz einfach machen. Schwach ist in „Last Crusade“ nicht, wessen Fleisch schwach ist, sondern wer geistig nicht mithalten kann. Autorität kommt aus psychologischer Kraft: Charakterstärke. Körperlich schwach sind beide, der altersmüde Batman ebenso wie der ätherische Joker. Insofern ist der Superschurke kein Gegenentwurf zum Superhelden, sondern sein Zerrbild. „Last Crusade“ polarisiert demnach nicht entlang der Achse Gut-Böse, sondern zwischen Alt und Jung.

Der maßgebliche Konflikt ist nicht Batman versus Joker, sondern Batman versus Robin. Jason ist alles, wonach Batman sich sehnt: aktiv, gesund, alert. Deshalb muss er sterben. Nicht, weil die sinistre Brutalität des Jokers der Rechenschaffenheit des Helden überlegen ist. Sondern weil Jason die Leser_innen daran erinnert, dass Batman eigentlich obsolet ist. Als Superheld. Als Vater. Nur als Unterhaltungsfranchise ist Batman noch lange nicht tot.

Jakob Kibala und seine Partnerin erwarten ihr erstes Kind. Bereits erschienen ist sein Buch „Wissen und Erschließen“ über „Batman & Son“ und „The League of Extraordinary Gentlemen“ (Ch. A. Bachmann Verlag). Auf Instagram bloggt er über die „X-Men“-Comics der 1990er Jahre.