„Es wird Normalität werden“ – „Der Report der Magd“

34 Jahre nach der Erstveröffentlichung ist Margaret Atwoods „Der Report der Magd“ (1985) wieder in aller Munde: Das Sequel „Die Zeuginnen“ ist gerade mit dem Booker Prize ausgezeichnet worden, der US-Streamingdienst Hulu sendet seit 2017 die erfolgreiche TV-Serie, und zusammen mit der kanadischen Comiczeichnerin Renée Nault hat Atwood eine Comic-Adaption verfasst.

Die kanadische Autorin hat mit ihrem Roman eine misogyne Dystopie entworfen, in der Frauen weder richtige Namen tragen noch individuelle Freiheit genießen. In einem rigiden Kastensystem leben die Frauen als Mägde, Marthas oder Ökonofrauen und haben als solche spezifische Funktionen. Desfred, die Protagonistin und Erzählerin, arbeitet als Magd im Haushalt eines Kommandanten, und ihr Ziel, auf das sie seit langem vorbereitet wird, ist es, ein Kind von ihm zu empfangen. Den Sex unfreiwillig zu nennen, wäre noch ein Euphemismus.

Margaret Atwood (Autorin), Renée Nault (Zeichnerin): „Der Report der Magd“.
Aus dem Englischen von Ebi Naumann. Berlin Verlag, Berlin 2019. 240 Seiten. 25 Euro

Ihr ganzes Leben ist darauf ausgerichtet, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, das sie nach der Geburt sofort an die Kommandanten-Gattin abgeben muss. Die totalitäre Gesellschaft ist auf Funktionalität und Frömmigkeit (ganz viel Frömmigkeit!) ausgelegt, deren sich alle gemeinsam in ständigen Ritualen gegenseitig vergewissern. Desfred erzählt von ihrem Leben im Roten Zentrum, dem Ausbildungslager der Mägde, und der Zeit beim Kommandanten, in dessen Verlauf sie eine Botschaft ihrer Vorgängerin entdeckt. Dass diese lieber den Tod durch den Strick gewählt hat, als dieses Leiden länger zu ertragen, drückt die Not aus. Nun ist Desfred an der Reihe – Frauen sind austauschbar.

Ironischerweise ist diese brutale Gesellschaft das Ergebnis einer Revolution, die zumindest in ihrem Selbstbild nur das Beste für alle, auch die Frauen, im Sinn hatte. Wie sich eine gesunde Gesellschaft zu diesem Monster entwickelt hat, wird nicht genau erklärt: Wir teilen das Wissen der Protagonistin und bleiben dort im Dunkeln, wo auch ihre Kenntnisse über die Gesellschaft enden. Was wir wissen: Der Ursprung liegt in einem gewaltsamen politischen Umsturz. Der Präsident wie auch der gesamte Kongress wurden ermordet, woraufhin die schnappatmende Elite tat, was sie immer tun muss: Zensur, Straßensperren, Ausweiskontrollen. Plötzlich werden Frauen die Konten entzogen, und arbeiten dürfen sie auch nicht mehr. Lydia, die Oberaufseherin im Roten Zentrum, bereitet die jungen Frauen vor: „Ihr seid nur das Normale gewohnt. Noch kommt euch das hier nicht normal vor, aber das gibt sich. Es wird Normalität werden.“ Die Drohung kommt so beiläufig daher, dass es unter die Haut geht.

Atwood hat eine bedrückende Zukunftsvision (in nicht allzu weiter Ferne) geschaffen, die ähnlich düster ist wie George Orwells „1984“. Die USA sind christlich-totalitär umgestaltet worden: Die Geheimdienste, das Militär, die Medien und die Hüter der Religion arbeiten zusammen an einer Vision von Gesellschaft, die uns einen kalten Schauer über den Rücken jagt.

Autorin Margaret Atwood und Zeichnerin Renée Nault haben beide in Interviews ihr Grauen vor der Trump-Administration zum Ausdruck gebracht und die Aktualität ihres Comics betont. „Leute wie Mike Pence waren schon damals gegen die Rechte der Frauen oder der Minderheiten und für einen starken Polizeistaat. Menschen dieses politischen Schlages wollen seit 50 Jahren dasselbe“, so Atwood in einem Interview in der ZEIT.

Die Romanadaption ist übrigens nicht Atwoods Comic-Debüt: Die Comic-Liebhaberin verfasste bereits das Szenario für die Superheldenstory „Angel Catbird“. Mit der kanadischen Zeichnerin Renée Nault („Witchlings“, „Sandpipers“) hat sie sich eine interessante Künstlerin mit einem wiedererkennbaren Stil ausgesucht. Der Kontrast zwischen den Menschen mit finsteren Absichten und den leuchtenden Farben verstärkt das Befremden gegenüber dieser fremden Welt. Einzelne Seitenkompositionen sind beeindruckend.

Es hat mich gewundert, dass die Medien nur eine Nebenrolle in der Adaption spielen, hätte der Roman doch eine schöne Szene geboten, in der über Fake News gesprochen und der Wahrheitswert von Nachrichten diskutiert wird. Der Comic illustriert diese Szene zwar, nimmt aber die Kritik stark zurück. Wäre das nicht eine nahliegende Aktualisierung gewesen, zumal beide Künstlerinnen, Atwood und Nault, die amerikanische Politik selbst so stark ins Spiel bringen?

Es ist fast zu befürchten, dass der Comic unter dem Radar der Comic-Interessierten fliegen wird, weil der Berlin Verlag keine Heimstatt für Comics ist. „Der Report der Magd“ aber hätte es sehr verdient, viele Leserinnen und Leser zu finden.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Doppelseite aus „Der Report der Magd“ (Berlin Verlag)