„Wir müssen die ganze Stadt ausmisten“, sagt die resolute Polizistin am Ende des Films. „Kein Stein darf auf dem anderen bleiben.“ Woraufhin aus der in einem Texmex-Restaurant versammelten und entspannt an Margaritas nippenden Frauenrunde, zu der sie gehört, der Kommentar kommt: „Muss sie denn immer reden wie ein Bulle aus einem schlechten 80er-Jahre-Film?“
Ein gelungener Dialog. Und einer, der schön veranschaulicht, dass ein Film aus dem Comic-Superhelden-und-Bösewichte-Universum nicht zwingend eine sich schwer ernst nehmende Veranstaltung sein muss.
War von den beiden an den Kinokassen konkurrierenden Superheldenfilmproduktionsfirmen Marvel und DC bisher eine Sache klar, dann war es diese: Marvel (Spider-Man, Captain America, Iron Man) ist für die sich ironisch-postmodern und verspielt gebenden Comicverfilmungen zuständig, DC (Batman, Superman, Wonder Woman) für die eher konservativen, schwerfälligen, zum Unterkomplexen neigenden Mainstreamproduktionen. So kam etwa der DC-Film „Wonder Woman“ (2017) als eine fürchterlich öde und gänzlich humorfreie Mischung aus Wagner-Pathos, Kitsch und CGI-Effekt-Overkill daher, und seine Titelheldin – in eine Art unfreiwillig komisch wirkendes Superheldinnenfaschingskostüm gewandet – war noch eine von vielen fälschlicherweise als „feministisch“ missinterpretierte Empfindsamkeitstante, die nicht allein – und das ist ja wie immer bereits nervtötend genug – nach gängigen Schönheitsidealen modelliert war, sondern der man zur Sicherheit auch einen tatkräftig auftretenden und unentwegt mansplainenden Macker an die Seite gestellt hatte, der stets, wenn Wonder Woman den Mund aufmachte, auch was zu sagen hatte.Im neuesten Film aus dem DC-Universum hingegen, „Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn“, ist die weibliche Heldin, Harley Quinn, die frischgebackene Ex-Freundin des Bösewichts Joker, von ganz anderem Kaliber: Bereits ihr Äußeres verweist auf gelebte Dissidenz und bewusst gewählte Distanz zum bürgerlichen Dasein. Ihre Haartracht und ihr Kleidungsstil – ein schillerndes Patchwork aus Harlekin, Pippi Langstrumpf, Tank Girl, Madonna (in ihrer „Desperately Seeking Susan“-Phase), der 70er-Jahre-Vivienne-Westwood und der 80er-Jahre-Nina-Hagen – repräsentieren die Unabhängigkeit ihres Geschmacks ebenso wie ihre eigene. Auch ihr Verhältnis zu Männern ist nicht in erster Linie ein respektvolles, was unter anderem auch daran liegen mag, dass, als Harley noch ein Kind war, bereits ihr Vater versuchte, sie gegen einen Sechserpack Bier einzutauschen. Aber möglicherweise auch daran, dass viele Männer sich grundsätzlich dadurch auszeichnen, dass sie – wenigstens so lange, bis sie erfolgreich den Gegenbeweis antreten – Arschlöcher sind.
Hier, in dieser Actionfilmparodie, haben jedenfalls Frauen das Sagen, und genau genommen haben sie nicht nur das Sagen, sondern sie prügeln, schlagen und schießen auch aufeinander sowie auf (vorzugsweise ungehobelte und dumme) Männer ein. Es mag, wie immer eigentlich bei Produktionen dieser Sorte, kein allzu ausgefeiltes Drehbuch vorliegen, dennoch hat diese turbulente und in bonbonbunten Knallfarben gehaltene Verfolgungsjagd- und Klopperei-Nummernrevue, die vielfach Erzählweisen und Ästhetik des Comics zitiert, einen überraschend hohen Unterhaltungswert.
Doch fangen wir am Anfang an: Harley Quinn hat sich wie gesagt frisch getrennt von ihrem vormaligen Schwarm, dem Joker, dem Superschurken von Gotham City, von dem ja bekannt ist, dass er nicht nur ein gestörtes Verhältnis zu Frauen, sondern, na ja, sagen wir: zur Welt hat. Um also erfolgreich ihre alte Identität als „Jokers Freundin“ abzulegen und ihre gelungene Transformation in eine eigenständige Persönlichkeit zu demonstrieren (Emanzipation), fährt sie zunächst einmal mit einem gestohlenen Tankwagen in eine Chemiefabrik. Das macht ordentlich Zunder, hat kathartische Wirkung (Euphorie) und sieht obendrein auch noch gut aus (Explosion). Ein gelungener Neuanfang. Harley geht fortan angstfrei und hochgradig unbekümmert durchs Dasein und pflegt in den allermeisten Dingen eine ausgesprochen hedonistische Herangehensweise. Ein mit flüssiger Butter getränktes Eier-Schinken-Sandwich zieht sie jederzeit einer Diät vor. Von Männergehabe lässt sie sich wenig beeindrucken und demonstriert Gelassenheit: Den Superschurken Roman Sionis, zu dessen Hobbys das Foltern gehört, nennt sie „Romyboy“. Und wenn sie, was sie in Konfliktsituationen gerne tut, mit ihrer Lieblingsgerätschaft, dem Baseballschläger, hantiert, zeigt sie sich als Virtuosin, und ihre eindrucksvolle Performance gerät zum wunderbar geschmeidig ablaufenden Kampfballett. Glamour darf dabei keineswegs ausbleiben: Als Harley einmal, eine Riesenwumme im Anschlag, das Polizeirevier entert, um eine wegen Taschendiebs eingesperrte Teenagerin aus ihrer Zelle zu holen, feuert sie nicht nur Plastikgeschosse ab, sondern mit diesen auch stets ordentlich Glitter sowie neonfarbene Rauchschwaden. Es soll ja schließlich gut aussehen.Auch die anderen den Film bevölkernden weiblichen Figuren sind entsprechend weit entfernt vom Klischee des Hausmütterchens oder dem Stereotyp des naiven, ehrfurchtsvoll zum Mann aufschauenden Häschens: Die Rächerin („Huntress“) mit der Armbrust richtet im Alleingang, einen nach dem anderen, jene Mafiosi hin, die einst ihre gesamte Familie getötet haben. Die Nachtclubsängerin entpuppt sich rasch als erfahrene Martial-Arts-Kämpferin („Black Canary“). Die resolute Polizistin trägt nicht nur mit großer Selbstverständlichkeit ein T-Shirt mit der schönen Aufschrift „I shaved my balls for this?“ (Dafür hab’ ich mir meine Eier rasiert?), sondern wechselt dieses Kleidungsstück auch dann nicht aus, als ihr männlicher Vorgesetzter sie darauf hinweist, dass sie künftig in angemessenerer Kleidung zum Dienst zu erscheinen habe („Wir haben hier einen Dresscode“). Und die jugendliche Taschendiebin lässt selbst dann noch munter Gegenstände mitgehen, als sie gekidnappt wurde bzw. auf der Flucht und in permanenter Lebensgefahr ist.
Nachdem die Protagonistinnen zunächst allesamt auf eigene Faust für ihre Interessen gekämpft haben, sehen sie sich am Ende dazu genötigt, sich, als eine Art Solidargemeinschaft der emanzipierten Frauen, gegen den ebenso gewissenlosen wie misogynen Gangsterboss Roman Sionis („Black Mask“) zu verbünden, der einen wichtigen Diamanten an sich bringen will, mit dessen Hilfe er künftig die vollständige Macht über Gotham City innehätte. Sie sehen schon: Die Handlung ist recht überschaubar, aber: Wer braucht schon Handlung? Handlung wird überbewertet. Wichtig ist etwas ganz anderes: schnelle Schnitte, Rasanz, ein Minimum an Selbstironie und ein gewisses Kulturgeschichtsbewusstsein, dem anzumerken ist, dass Images und Vorbilder aus der Populärkultur hier nicht willkürlich und wahllos zitiert werden. (Wenn sich etwa Harley und die jugendliche Taschendiebin, die zeitweise ihr Schützling ist, in Harleys Unterschlupf, der aussieht wie das heruntergekommene Jugendzimmer eines Teenies aus den 80ern, gemeinsam Tex-Avery-Cartoons im Fernsehen ansehen.)Nicht zu vergessen natürlich die lehrreichen Dialoge. Der Teenagerin gibt Harley Quinn etwa einen Rat dazu, wie man die Aufmerksamkeit junger Männer auf sich lenkt: „Spreng was in die Luft. Oder erschieß jemanden. Nichts verschafft dir die Aufmerksamkeit eines Typen so sehr wie Gewalt.“ Und spricht beiläufig auch über ihren Ex-Freund Joker. Woraufhin die Jugendliche kommentiert: „Klingt, als sei er ein Schwachkopf“ („Sounds like a dick“).
Ach ja, eines vielleicht noch: Wer das letzte noch ungelüftete Geheimnis über Batman erfahren möchte, sollte im Kino sitzen bleiben, bis der Abspann zu Ende ist.
Dieser Text erschien zuerst am 07.02.2020 in: Neues Deutschland
Hier gibt es eine weitere Kritik zu „The Birds of Prey“.
Birds of Prey: And the Fantabulous Emancipation of One Harley Quinn
USA 2019
R: Cathy Yan – B: Christina Hodson – P: Margot Robbie, Bryan Unkeless, Sue Kroll – K: Matthew Libatique – Sch: Jay Cassidy, Evan Schiff – M: Daniel Pemberton – V: Warner Bros. Pictures – D: Margot Robbie, Mary Elizabeth Winstead, Ewan McGregor, Jurnee Smollett-Bell, Rosie Perez, Chris Messina, Ella Jay Basco – L: 109 Min – FSK: 16 – Kinostart: 06.02.2020
Thomas Blum, Jahrgang 1968, arbeitet seit 1999 als freier Autor für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften (u. a. Konkret, Berliner Zeitung, Stadtrevue Köln). Von 1999 bis 2011 war er in der Redaktion der linken Wochenzeitung Jungle World tätig. Seit 2013 ist er Redakteur im Feuilleton der Tageszeitung Neues Deutschland.