Britisches Understatement – „Malcolm Max: Emmeline & Miranda Finch“

Emmeline Finch und ihre kleine Schwester Miranda, 12 und 8 Jahre alt, gehören zum festen Figuren-Ensemble von „Malcolm Max“, jener Fantasy-Detektiv-Serie, die, geschrieben von Peter Mennigen und gezeichnet von Ingo Römling, nach bisher vier Bänden sich großer Beliebtheit erfreut und demnächst sogar in Frankreich veröffentlicht wird. Als Spin-off, als Ableger der Hauptserie, bekommen die beiden Mädchen nun von Splitter ein eigenes Album spendiert, das aus vier Kurzgeschichten besteht.

Emmeline und Miranda, so informiert ihre Vita zu Beginn, wuchsen bei ihrer Mutter in ärmlichen Verhältnissen auf, bis die Familie von Malcolm Max unterstützt wurde und nun eine bessere Wohnung in der Londoner Baker Street 221A beziehen konnte, direkt über der eines berühmten Detektivs. Von diesem lernte Emmeline die Kunst der Deduktion, während ihre Schwester sich durch ein phänomenales Gedächtnis auszeichnet. Beide Mädchen helfen Malcolm Max bei seinen Fällen und – wie wir hier sehen – lösen auch gerne ihre eigenen.

Peter Mennigen (Autor); Ingo Römling, Regina Haselhorst, Simone Grünewald,
Roberta Ingranata (Zeichner*innen): „Malcolm Max: Emmeline & Miranda Finch“.
Splitter Verlag, Bielefeld 2019. 72 Seiten. 17 Euro

Los geht’s mit der Story „Der kopflose Reiter“. Ein ebensolcher bedroht des Nachts den Reporter Ross, der daraufhin einen Artikel revidiert, in dem er eine angebliche Hellseherin der Scharlatanerie bezichtigt. Emmeline und Miranda (stets mit ihrem Kuscheltier bewaffnet) werden Zeuginnen des ungeheuren Vorfalls und nehmen sich vor, die Dame namens Miss Bosworth ein für alle Mal zu entlarven. Was nicht ungefährlich ist, scheint die Gute doch über Leichen zu gehen. Autor Peter Mennigen, der alle vier Storys in diesem Band schrieb, versetzt den Reiter aus Washington Irvings Sleepy Hollow (der wiederum auf einer alten deutschen Sage basiert) in das viktorianische London und sorgt dabei für ein passendes Schauermotiv. Inszeniert ist die Episode von Stammzeichner Ingo Römling wie gewohnt angenehm elegant.

Es folgt die „Die Leichenkammer“, gezeichnet von Regina Haselhorst, die einen ganz anderen Stil präsentiert, ohne das Original jedoch zu leugnen. Weniger Details und eine komplett andere Farbgebung prägen die Geschichte um einen todbringenden Casanova, der „seine“ vermeintlichen Herzdamen nach deren erzwungenen Ableben in seiner Wohnung lagert, dem die beiden Schwestern eher zufällig auf die Schliche kommen und dann trickreich überführen.

In „Der Vampir“, mit Bildern der Italienerin Roberta Ingranata, retten Emmeline und Miranda erst einen Lebensmüden, der sich von der halb fertigen Tower Bridge (kennen wir aus Guy Ritchies Sherlock-Holmes-Film) stürzen will. Anschließend treffen die beiden auf einen Vampirjäger wider Willen namens Shingleton, der immer wieder einem Blutsauger begegnet, welchem dann Menschen in seinem Umfeld zum Opfer fallen. Schnell ahnt der Leser den Twist der Geschichte, deren Zeichenstil inkl. Farbgebung dem von Römling am ähnlichsten kommt.

Den Abschluss bildet „Die Entführung“. Emmeline und Miranda werden gekidnappt, von einer Bande, die sich die „Ratten“ nennt. Auch andere Kinder wurden entführt und in einem Verließ im Londoner Untergrund gefangen gehalten. Aber warum? Wie sich herausstellt, handeln die „Ratten“ auch nur im Auftrag eines großen Unbekannten. Nach ihrer Flucht ermitteln die Schwestern und geraten schließlich an den Drahtzieher, den ein ganz persönliches Motiv umtreibt… Simone Grünewald, die Zeichnerin der Episode, glänzt hier mit sanft abgestuften Farben und Lichteffekten, die v. a. im finsteren Untergrund zum Tragen kommen.

Peter Mennigen beendet – ganz der Routinier – jede Story mit einem kleinen Twist oder Höhepunkt, der zur Auflösung und Klärung des jeweiligen Falls führt. Dass die vier Kurzgeschichten nicht den Tiefgang eines kompletten Malcolm-Max-Zyklus entwickeln können, ist selbstverständlich. Der Clou des Albums sind die drei Zeichnerinnen, die die beiden Schwestern und deren Umgebung in ihrem jeweiligen Stil interpretieren, was für optische Abwechslung sorgt (nach dem „Original“ mit der ersten Geschichte). Ansonsten glänzen Emmeline und Miranda einmal mehr bei ihren Fällen mit kühlem britischen Understatement, das sich in ihrer altklugen, gestelzt fürnehmen Sprache zeigt, die man von Kindern – auch in der viktorianischen Zeit – nicht erwartet, erst recht nicht von einer 12- bzw. 8-jährigen. So dient der Band als Add-On, als Zugabe für alle Malcom-Max-Fans (er selbst, wie auch die übrigen Charaktere – bis auf den tumben Inspector Blunt –, erscheint kein einziges Mal und wird auch nicht erwähnt), bis zur Veröffentlichung des nächsten Bandes „Die Schwesternschaft der Nacht“, der den in Band 4 neu begonnenen Zyklus fortführen wird.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „Malcolm Max: Emmeline & Miranda Finch“ (Splitter Verlag)