Im Jahr 1968 hat der kleine Maulwurf symbolisch die tschechoslowakische Kultur zu Grabe getragen. In der Episode „Der Maulwurf und das Radio“ findet der Protagonist der erfolgreichsten Animationsserie des Landes im Wald ein Radio, das ihm zwar Jazz, Fußball und die Nachrichten überträgt, ihn jedoch gleichzeitig seiner Freunde beraubt, die genervt vom Lärm den Wald verlassen. Nachdem das Radio seinen Geist aufgegeben hat, schaufelt der kleine Maulwurf – „Krtek“, wie er im Original heißt – dem Gerät ein Grab. Kurz darauf kehren seine Freunde zurück und bringen wieder die eigene Kultur des Waldes zurück: Die Vögel singen, die Frösche quaken. Ein seltsames Bild in einem Animationsfilm für Kinder, als auf die politische und kulturelle Öffnung des Landes mit der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 tatsächlich der Rückzug auf eigene Kultur einsetzte und Einflüsse, die jenseits des sozialistischen Realismus sowjetischer Prägung lagen, durch Zensur und gestrichene Fördergelder zurückgedrängt wurden.
Wie genau sich der kleine Maulwurf und sein Schöpfer Zdeněk Miler zu diesen politischen Entwicklungen verhielten, bleibt in der Schwebe, „Der Maulwurf und das Radio“ zeichnet sowohl das Radio als auch dessen Verlust als positiv. Für den Waldbewohner jedenfalls begann kurz darauf eine Karriere, die den Eisernen Vorhang überwinden konnte und bis heute andauert, auch wenn ein Funktionär der Filmindustrie den Maulwurf am liebsten aus dem Programm verbannt hätte, weil er gerade persönlichen Ärger mit den Tieren in seinem Garten hatte.
„Über den Millionär, der die Sonne raubte“ hieß 1948 eine der ersten Produktionen des jungen Animationsfilmers Zdeněk Miler, damals noch mit einem erwachsenen Publikum vor Augen. Die gestohlene Sonne bewahrt der egoistische Millionär in seinem Haus auf, beim Happy End steht sie wieder als Allgemeingut am Himmel. Während „Über den Millionär, der die Sonne raubte“ Egoismus und soziale Ungerechtigkeit anprangerte, geriet „Der Mohnkuchen“ von 1953 zu einem Lehrfilm, der den gesamten Entstehungsprozess vom Mähen des Getreides bis zum Backen eines Kuchens abbildet und aufzeigt, dass unzählige Menschen an der Produktion beteiligt sind. Die Filme stachen aus den Auftragsproduktionen der verstaatlichten tschechoslowakischen Filmindustrie heraus, sie wurden, nach einer Auszeichnung auf dem Filmfestival in Venedig, als osteuropäische Version von Disney gehandelt.Dennoch war, als Zdeněk Miler aufgrund des Erfolgs seiner bisherigen Arbeiten 1954 den staatlichen Auftrag erhielt, einen Animationsfilm für Kinder über die Herstellung von Kleidung zu produzieren, kaum abzusehen, was sich aus seiner eher zufälligen Entscheidung, einen kleinen Maulwurf zum Protagonisten zu wählen, entwickeln würde. „Wie der kleine Maulwurf zu seiner Hose kam“ wurde 1957 bei den Filmfestspielen in Venedig mit einem Silbernen Löwen ausgezeichnet und legte den Grundstein für über 60 Episoden über „Krtek“, den kleinen Maulwurf, die nun in einer DVD-Box als Gesamtausgabe erschienen sind.
Der 1921 geborene Miler hatte von 1936 bis 1942 Graphik und Fotografie in Prag studiert und nach der Befreiung von der deutschen Besatzung als Zeichner, Regisseur und Autor in einer Zeichentrickfirma zu arbeiten begonnen. Die verstaatlichte Filmindustrie in der Tschechoslowakei orientierte sich spätestens ab 1948, als die „Komunistická strana Československa“ (KSČ) an die Macht kam, an der kulturpolitischen Agenda der Sowjetunion und die damit verbundenen Vorstellungen von Kunst. Da kamen die Lehrfilme für Kinder des KSČ-Mitglieds Zdeněk Miler gerade recht. Technisch war die Tschechoslowakei auf dem aktuellsten Stand, der Krieg hatte nicht allzu viel an Filminfrastruktur zerstört, außerdem bestand eine lange Tradition, auf die sich die Animationsfilmindustrie beziehen konnte, Puppentheater, Märchenverfilmungen, aber auch die Avantgarden der Zwischenkriegsjahre – Elemente der tschechoslowakischen Variante des Surrealismus finden sich auch immer wieder in den Filmen um den kleinen Maulwurf.
1954, als Miler mit dem ersten Maulwurf-Film beauftragt war, herrschte im Land politisch ein angespanntes Klima: Während nach dem Tod Stalins 1953 in vielen Ländern des Warschauer Pakts eine Phase der Liberalisierung begonnen hatte, dauerte es in der Tschechoslowakei noch ein ganzes Jahrzehnt, bis eine politische und kulturelle Öffnung einsetzte. Diese wirkte sich dann auch unmittelbar auf Filme für Kinder aus: Während sie bis in die frühen Sechziger vor allem als Teil des Erziehungssystems gesehen wurden, als pädagogischer Auftrag für die nachwachsende Generation, drangen danach Alltagsprobleme und realistischer Auseinandersetzungen mit Kinderwelten in den Vordergrund. Auch in den Maulwurf-Filmen spiegelt sich diese Entwicklung: Waren die frühen Werke wie „Der Maulwurf und sein rotes Auto“ oder „Der Maulwurf und die Rakete“ vor allem auf den Nutzen von Technologie und eine Hoffnung auf die Zukunft konzentriert, stellen spätere Filme stärker die zwischenmenschlichen Beziehungen in den Mittelpunkt, Ängste und Unsicherheiten und das Verhältnis des Einzelnen zu seiner Umwelt.Während nach dem August 1968 durch Zensur und Berufsverbote viele Regisseure der Tschechoslowakischen neuen Welle – jener Filmbewegung, die wie keine andere für einen kulturellen Aufbruch gestanden hatte – wie Miloš Forman oder Vojtěch Jasný ins Ausland gingen, hatten die Filmemacher im Bereich des Kinderfilm weniger mit Repressionen zu kämpfen. Allerdings haben sich auch im Bereich Kinderfilm die Produktionen nach der sogenannten Normalisierung seltener mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandergesetzt. Der Maulwurf bildete dabei eine Ausnahme, die Filme um ihn und seine Freunde die Maus, den Frosch und andere Waldbewohner wurden zunehmend politischer.
Dies hatte auch mit der Rolle des WDR als wichtigem Co-Produzenten der Serie zu tun. Ab den frühen Siebzigern stieg der Sender aus vor allem zwei Gründen in die Produktion ein: Die Filme aus der Tschechoslowakei füllten einerseits in der BRD eine Lücke, da es dort keine Tradition an eigens für Kinder produzierten Programmen gab, und andererseits waren Serien aus dem Osten günstiger als ihre US-amerikanischen Pendants. Über den WDR wurde die Serie auch in der westlichen Welt zu einem Erfolg, über den sich bis heute Merchandise und Lizenzen verkaufen.Über den Umweg des WDR drangen ab den späten Siebzigern auch linke gesellschaftliche Debatten des Westens in die Serie ein und erfüllten zunehmend einen pädagogischen Bildungsauftrag, der sich eigentlich mit den Idealen des sozialistischen Realismus hätte beißen müssen, allein der ökonomische Erfolg der Serie, der auch der staatlichen tschechoslowakischen Filmindustrie zugute kam, garantierte dem Maulwurf Freiheiten, die andere Produktionen nicht hatten. „Der Maulwurf kommt in die Stadt“ oder „Der Maulwurf im Traum“ etwa, beides Produktionen aus den frühen Achtzigern, konfrontieren den Maulwurf beispielsweise mit den negativen Auswirkungen der Zivilisation. In ersterem wird der Wald gerodet, und in der Stadt, die an seiner Stelle erbaut wird, haben die Tiere keinen Platz mehr; in zweiterem wird die Abhängigkeit der Menschen von ihren technischen Errungenschaften kritisch hinterfragt.
Als Zdeněk Miler 2011 starb, war der Maulwurf in über 80 Ländern weltweit zu sehen, eine Plüschversion hatte mit der „Endeavour“ das Weltall besucht, und die begleitenden Bücher zur Fernsehserie sind bis heute Millionenseller. Die DVD-Box mit allen Episoden in chronologischer Reihenfolge zeigt eine eigenwillige Kindersicht auf die Welt. Trotz der ausgestellten Naivität des Maulwurfs und seiner Lebenswelt, die scheinbar entrückt von politischen Erschütterungen existiert, hat die Serie doch die Beben in sich aufgenommen, die in den Produktionsjahren von 1957 bis 2002 das Weltgeschehen bestimmt haben.
Dieser Text erschien zuerst am 26.03.2020 in: Neues Deutschland
Jonas Engelmann ist studierter Literaturwissenschaftler, ungelernter Lektor und freier Journalist. Er hat über „Gesellschaftsbilder im Comic“ promoviert, schreibt über Filme, Musik, Literatur, Feminismus, jüdische Identität und Luftmenschen für Jungle World, Konkret, Zonic, Missy Magazine und andere, ist Mitinhaber des Ventil Verlags und Co-Herausgeber des testcard-Magazins.