Leo meets Bec im Weltall – „Conquest 2 – Deluvenn“

Splitter setzt mit „Conquest“ eine französische Science-Fiction-Serie um, die seit September 2018 bei Éditions Soleil erscheint. Dort sind im Quartalsrhythmus bislang fünf Alben erschienen, deren ersten drei aus der Feder von Nicolas Jarry stammen, darunter auch „Deluvenn“, der gerade bei Splitter erschienen ist.

Deluvenn ist der Name eines kleinen, überwiegend von Wasser bedeckten Planeten, der von einer menschlichen Raumschiffflotte angesteuert wird, um dort eine neue Heimstatt zu finden. Die alte Erde haben die Menschen, ihr kennt das, durch Raubbau an der Natur zum Teufel gejagt. Deluvenn mutet wie eine Idylle ohne Aliens an, aber, auch das kennt ihr, das ist ein Irrtum, dem die Figuren erliegen, wir Leser*innen natürlich nicht.

Nicolas Jarry (Autor), Bertrand Benoit (Zeichner): „Conquest 2 – Deluvenn“.
Aus dem Französischen von Tanja Krämling. Splitter Verlag, Bielefeld 2020. 64 Seiten. 16 Euro

Wir folgen Idris, dessen Unterhemd von seinen Muskeln an die Grenzen seiner Elastizität geführt wird. Idris ist ein unbeherrschter Maschinist in prekären Familienverhältnissen, der stets das Gute will, aber meist was Blödes macht. Seine mangelnde Selbstbeherrschung verurteilt ihn dazu, den neuen Planeten als Zwangsarbeiter für die Besiedelung hübsch zu machen, während das neue Paradies sich den Eindringlingen bald als Hölle entpuppt.

Die Meere werden nämlich von bildgewaltigen Riesenkraken bewohnt, die wenig von einer interplanetaren Wohngemeinschaft halten und die humanoiden Nomaden mit aller Deutlichkeit auf ihr alleiniges Nutzungsrecht aufmerksam machen. Neben diesem Konflikt, der sich nicht anders als durch einen Kampf lösen lässt, steht die Beziehung von Idris und seinem Sohn Cham im Fokus: Wird die Menschheitsgeschichte (und diejenige des Krakenplaneten) als Abfolge von Trennungsprozessen erzählt, nähern Vater und Sohn sich wieder einander an. Kein Happy End, aber auch keine Apokalypse.

Fantasy-Spezialist Jarry hat sich eine Auszeit von Zwergen und Elfen vergönnt – steht sein Werk doch ganz und gar im Dienste magischer Rituale und fabelhafter Zauberwesen: Seine langlebige Serie „Die Saga der Zwerge“ (bislang 15 Alben, dt. seit 2016) und seine Kollaborationen mit diversen Zeichnern für „Elfen“, „Götterdämmerung“, „Orks und Goblins“ weisen ihn als Experten für massentaugliche Plots mit mittelalterlich anmutenden Settings aus. Für „Conquest 2 – Deluvenn“ positioniert er sich irgendwo zwischen Leos extraterrestrischer Faunaphilie und Christophes Becs esoterisch angehauchten Geschichten um Geheimnisse, die in der Tiefe lauern. In bester Bec-Manier verschwurbelt Jarry eine abgedroschene „Die-Pyramiden-sind-Verstärker-der-menschlichen-Psyche“-Fantasie in seinen Plot.

Dass der Zeichner Betrand Benoit seinen Job besser macht als Leo, indem er sich den Details der Über- und Unterwasserwelt widmet, bereichert den Weltentwurf von Jarry erheblich. Etwas bedauerlich ist es, dass die Nebengeschichten weitgehend nebeneinander her- (und letztlich kaum zusammen-)laufen und manches Mal überflüssig erscheinen. Auch ist nicht alles plausibel motiviert: Warum muss Idris am Anfang einen Offizier ins Koma prügeln, um dann die Arbeit, die er sonst auch gemacht hätte, unter Zwang zu verrichten?

Dennoch: Der zweite Band der Science-Fiction-Serie überzeugt mehr noch als der Auftakt von Jean-Luc Istin, der Ende 2019 erschien. Im Juni wird der dritte Band folgen – erneut mit Nicolas Jarry an der Feder.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Seite aus „Conquest, Band 2“ (Splitter Verlag)