Donald Ducks dunkler Bruder – „Ralph Azham“

Groß und dünn, mit einer langen Hippiemähne und wenig Muskeln, dazu ein Entenschnabel – schaut so ein ­Fantasyheld aus? Nicht unbedingt, und Ralph Azham verhält sich auch nicht immer wie einer.

Ganz am Anfang seiner Serie, die mit dem zwölften Band nun abgeschlossen ist, betrachtet er aus der Distanz, wie ein Krieger mit einem eidechsenartigen Monster kämpft. Aber so schlimm ist das Untier dann doch nicht. Mit ein paar Beeren lässt es sich ablenken und gehört eigentlich in den Stall von Ralphs Vater. In ihrem Spiel mit Erwartungshaltungen ist diese Szene für „Ralph Azham“ typisch.

Stets möchte Lewis Trondheim, wie er im Gespräch erklärt, nicht nur sein Publikum, sondern auch sich selbst überraschen. „Mein leitendes Prinzip ist: Wenn ich schreibe und zeichne, will ich vor allem Spaß haben. Manche Comic­macher planen alles perfekt durch und stehen dann vor einem Album wie vor einem Berg, den sie erklimmen müssen. Ich improvisiere lieber; ich möchte bei der Arbeit Entdeckungen machen.“

Der 55-jährige Trondheim – bürgerlich Laurent Chabosy – gehört zu den Stars der französischen Szene. Er ist einer der Gründer des einflussreichen Alternativverlags L’Association und hat in den letzten 30 Jahren, allein oder in Zusammenarbeit mit anderen, rund 150 Alben veröffentlicht.

Lewis Trondheim (Autor und Zeichner): „Ralph Azham“.
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt, Berlin 2012-2020. Je 48-52 Seiten. Je 13 Euro.

Produktivität auf hohem Niveau

Eine unglaubliche Produktivität auf hohem Niveau, trotzdem gibt sich Trondheim entspannt: „Wie alle Menschen, die faul sind, habe ich nur einen Weg gefunden, sehr effizient zu arbeiten. Ein Szenario von ,Ralph Azham‘ entwerfe ich in ungefähr einer Stunde, dann zeichne ich sehr schnell, wie es meine Art ist, drei Stunden, also bleiben an einem Tag noch 20 Stunden übrig.“

Wie die Reihe „Donjon“, die Trondheim mit Joann Sfar und mehreren Kollegen kreiert hat, spielt „Ralph Azham“ in einer von anthropomorphen Tierfiguren bevölkerten Fantasywelt. Der Erpel Ralph gehört, wie sich herausstellt, zu den als „Erwählte“ bezeichneten Mutanten, die über paranormale Fähigkeiten verfügen.

Sie sollen dem König von Astolia in seinem Kampf gegen den bösen Vom Syrus beistehen. Am Hof des Königs geht es allerdings auch nicht mit rechten Dingen zu. Nach zahlreichen abenteuerlichen Wendungen landet Ralph selbst auf dem Thron und muss feststellen, dass das Ausüben von Macht eine Bürde und eine Versuchung zugleich ist.

„Ralph Azham“ bietet einerseits Fantasy, wie sie im Buche steht. Es gibt magische Artefakte, treue Gefährten, viel Blutvergießen und am Ende jeweils die Frage, wie es weitergehen mag. Andererseits ist dies ein Lustige-Tiere-Comic für Erwachsene. Der schlappmäulige, launische und in der Wahl seiner Mittel nicht zimperliche Ralph könnte Donald Ducks dunkler Halbbruder sein.

Irrwitzige Stunts

Die irrwitzigen Stunts und Kämpfe haben auch etwas Slapstickhaftes. Trondheim möchte „Ralph Azham“ als Tragikomödie verstanden wissen: „So ist doch das Leben. Es ist nicht immer lustig und nicht immer traurig. Die Figuren erleben gute und schlechte Momente, und das macht sie, wie ich meine, menschlicher, anziehender.“

Keinen einzigen seiner Comics hat Trondheim in einem realistischen Stil gezeichnet. Ohne Koketterie beteuert er, dafür nicht das nötige Talent zu besitzen. Zugleich hat er grundsätzliche Bedenken: „Viele Zeichner, die als realistisch gelten, arbeiten in Wahrheit semirealistisch. Rein realistische Bilder sind oft ausgesprochen steif, schwerfällig.“

Trondheim bekennt sich zum Funny Minimalism, auch in der Seitenaufteilung, die betont unaufdringlich und an den frankobelgischen Klassikern orientiert ist. Für die kluge und, wenn es darauf ankommt, dezent poetische Kolorierung von „Ralph ­Azham“ ist Brigitte Findakly, seine Ehefrau, verantwortlich. Wer bei der Lektüre Geschmack an ungewöhnlicher Fantasy gefunden hat und dringend Nachschub braucht, kann sich an „Donjon“ halten: 34 Bände liegen auf Deutsch vor; außerdem haben Trondheim und Sfar im letzten Jahr begonnen, die Serie fortzusetzen.

Diese Kritik erschien zuerst am 30.04.2020 in der taz.

Christoph Haas lebt im äußersten Südosten Deutschlands und schreibt gerne über Comics, für die Süddeutsche Zeitung, die TAZ, den Tagesspiegel und die Passauer Neue Presse.

Seite aus „Ralph Azham“ Band 3 (Reprodukt)