Kräftiges Gebiss, wackliges Bündnis

© Universal Pictures

Aus Gelb-Rot wird Silbergrau-Blau, im Wechsel der Logosignalfarbenkombination von den „Jurassic Park“-Filmen der Baujahre 1993, 1997 und 2001 zu deren Update unter dem Titel „Jurassic World“. Und so wird aus dem Park eine Welt und wird Wasser zu Ei.

Eine kleine Wasseroberfläche, auf der Vibrationswellen von heranstampfendem Unheil künden: Das war das inoffizielle Logo der alten Dino-Trilogie. Es entsprach dem Welt-Bild-Programm von Steven Spielberg (Regisseur der ersten zwei, Produzent aller vier Filme): Die Welt wird zu Bildern; sie erstarrt nicht im Bild, wohlgemerkt, sondern ist im ständigen Ab- und Um-Bilden, alles bildet sich in alles ein (oder listet sich auf), T-Rex-Stampf-Sound wird sichtbar als das Zittern von Wasser (und fühlbar als das Zittern von Publikum), Synästhetik geht nahtlos über in Gedächtnis, durch das die Welt sich erinnert – und mitunter wieder entäußert. („Dinosaurier sehen und nicht gefressen werden“ hieß ein Aufsatz der großen Film- und Kinokultur-Theoretikerin Miriam Bratu-Hansen über Spielbergs Art von senso-realistischem Bild, das fast beißt und dabei dem Durchspielen von Traumata eine Öffentlichkeit bietet.)

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Auf totaler Entäußerung als Ausbruch liegt nun der Akzent in „Jurassic World“ (Regie: Colin Trevorrow): Dessen Auftaktbild, nahezu ein Logo, ist ein Ei; die Schale knackt und springt, ein Baby-Velociraptor zeigt Kralle. Ab dann bricht, in oft packenden Wendungen, allerlei monströses Dino-Gezücht aus – aus Stahlkäfigen, umzäunten Gehegen, Vogelkuppeln oder Wasserbecken. Der Jurassic Park ist nun Welt, schon lange eröffnet, gewohnheitsmäßige Attraktion und voller Touris, von denen einige schon leicht fadisiert sind. Zwar kommt der alte, rotgelbe Park hier explizit als Gegenstand von Retro-Kult und -T-Shirts ins Bild; doch die alte Spielberg’sche Logik namens Bild im Gedächtnis weicht einer neuen Logik, die Leben im Bündnis heißt. Um nicht zum unprofitablen Streichelzoo (mit auf Brontosauriern reitenden Kleinkindern und während der Monsterfütterung ihr Smartphone streichelnden Teenies) zu verkommen, muss der Park „lebendiger“, gefährlicher gemacht, also dereguliert werden.

Alles ist gepolt auf Intimkonfrontation mit dem knurrenden Vital-Bestial-Kapital, samt Dressurakt durch einen Raptorenflüsterer. Die ohnehin schon in permanenter Fragilität befindliche Sicherung trudelt in den Totalkollaps – diese Eskalationsdramatik aus dem Happiness-Tonfall heraus kommt nun erstmals seit dem Film von 1993 wieder zum Zug –, und der macht wackelige Allianzen nach dem Prinzip „Der Feind meines Feindes ist T-Rex“ erforderlich.

„Jurassic World“ ist ein in Action-Timing, Effekten und räumlichem Dekor – die Stahltore! das Glaskugel-Auto im Maul des Dinos! – makelloses Spektakel. Der Plot-Gliederung in einzelne Pärchen – nervig und mit zu viel Haupthaar: das Teenie-Bruderpaar – und des Sadismus gegenüber zur kaltherzigen Wissensworkoholikerin stilisierten Frauen im Businesskostüm ist hier zu viel. Das Ressentiment gegen Leute britischer Herkunft und der Umstand, dass der Welt-Park sich im Mehrheitseigentum eines allzu abenteuerlustigen indischen Tycoons (Irrfan Khan) befindet, erinnern an den als unseriös gezeichneten frankophon-afrikanischen Besitzer des massentouristischen Underwater Kingdom-Themenparks in „Jaws 3D“, einem Fish-in-your-Face-Vehikel, das 1983 aus dem Massentourismus-Panik-Erfolgsspektakel „Der weiße Hai“ (im Original „Gebiss“, also „Jaws“) gemolken worden war. Vierzig Jahre nach Spielbergs Muttertier aller Sommerblockbuster fällt das 3D-Verfahren kaum unangenehm auf, im Unterschied zu der weiß-gönnerhaft wohldosierten Multiethnizität in den Nebenrollen von „Jurassic World“. Aus dem Cast des allerersten „Jurassic Park“-Films ist BD Wong als Dr. Henry Wu wieder mit am Start, der – vielleicht kein Wunder nach 22 Jahren im Gentechnik-Labor – irgendwie ungut geworden zu sein scheint. Von Richard Attenboroughs Gründervaterfigur steht eine Statue in der Lobby.

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Ansonsten ist die Besetzung treffend (Vincent „Todesgebiss-Grinsen“ D´Onfrio besingt die Raptoren als die perfekte Waffe – wie einst das titelgebende Stahlmantelgeschoss in seiner Lebensrolle als fetter Rekrut in „Full Metal Jacket“), lustig im Rahmen eines sexistischen Umerziehungssubplots (Bryce Dallas Howard) und, erstmals im Jurassic-Kosmos, auf einen zugkräftigen Jungstar (Chris Pratt) hin orientiert.

Fazit: Hier ist viel Gefühl im Spiel. Weniger Romantik als vielmehr Gespür dafür, was soziales Leben in allianzpragmatischer Situationselastik (eine Wortschöpfung des österreichischen Verteidigungsministers Klug), in Unsicherheitsroutinen, in Prekaritätskulturen heißt – nah am Abyss, also Gebiss. Kontrolle, so heißt es in „Jurassic World“ programmatisch, gibt es nicht – nur relationships. In einem gewissen Sinn heißt ja Kontrolle so viel wie „Beziehung“ (also: Macht als immer unsichere, nachjustierungsgenötigte, weil von der anderen Seite her unter Druck und auf Trab gehalten – sprich: Hegemonie). In diesem starken, nicht-idyllischen Sinn und auch ostentativ nicht im landläufigen Sinn romantisch sind Beziehungen hier angelegt: entweder als Kämpfe und Jagden unserer Lieblings-Dinos gegen- und aufeinander (nicht so gut wie in „Godzilla“, aber okay) – oder als Human-Hetero-Traumpaar, das sich letztendlich in Trümmern bildet. Die in Fetzen geläuterte Powerbusinessfrau und der es immer schon gewusst habende Saurier-Coach, sie geben uns einen Satz mit auf den Weg, eine Losung, die den optimistischen Vitalismus aus „Jurassic Park“ – aus den Zeiten der großen Mainstream-Werdung von kulturellen Minderheiten und rechenleistungsbasierten Medienpraktiken (bis hin zum „Satelllitentelefon“ in T-Rex-Scheiße von „Jurassic Park III“) – ablöst: Hieß es damals in Gelb-Rot „Life will find a way!“, so begnügt sich der heutige silbergrau-blaue Krisenvitalismus mit dem Bündnisprogramm „Let’s stick together for survival“.

Diese Kritik erschien zuerst am 12.06.2015 auf: filmgazette.de

Jurassic World
USA 2015 – 124 min.

Regie: Colin Trevorrow – Drehbuch: Derek Connolly, Colin Trevorrow, Michael Crichton – Produktion: Patrick Crowley, Jon Jashni, Frank Marshall, Steven Spielberg, Thomas Tull – Bildgestaltung: John Schwartzman – Montage: Kevin Stitt – Musik: Michael Giacchino – Verleih: Universal Pictures Germany – FSK: ab 12 Jahren – Besetzung: Chris Pratt, Bryce Dallas Howard, Jake Johnson, Judy Greer, Vincent D’Onofrio, Katie McGrath, Nick Robinson, Lauren Lapkus, Omar Sy, BD Wong, Eddie J. Fernandez, Irrfan Khan, Brian Tee, Ty Simpkins, Matty Cardarople
Kinostart (D): 11.06.2015

Drehli Robnik, geb. 1967, Theoretiker in Sachen Film und Politik, Edutainer, Kritiker, Disk-Jockey. Doktorat Universität Amsterdam (2007). Universitäre Lehrtätigkeit in A, D, CZ, FL 1992-2015. Monografien zu Stauffenberg im Film, zu Jacques Rancière und zur Regierungs-Inszenierung im Kontrollhorrorkino. Herausgeber der Film-Schriften von Siegfried Mattl. In Arbeit: DemoKRACy: Siegfried Kracauers Politik[Film]Theorie. Kürzlich erschien von ihm bei Neofelis „Ansteckkino. Eine politische Philosophie und Geschichte des Pandemie-Spielfilms von 1919 bis Covid-19“.