Rob Marshalls Neuverfilmung von Disneys „Arielle, die Meerjungfrau“ leidet darunter, dass die Technik inzwischen einen Hyperrealismus erreicht, der keinen Raum mehr für Fantasie lässt. Dass Arielle jetzt schwarz ist, ändert nichts an einer altmodischen Geschichte, in der eine junge Frau ihre Lebensweise aufgeben muss, um seine anzunehmen.
Disneys „Arielle, die Meerjungfrau“ war der erste Film, den ich je in einem Kino gesehen habe; dementsprechend tief sind seine Bilder in meinem Unterbewusstsein verankert. Arielle, die sich, von einer brechenden Welle gerahmt, auf einen Felsen hochstemmt, um der Welt der Menschen nah zu sein, Trompete spielende Meeresschnecken und die Hexe Ursula, die sich von Muränen umschwärmt in ihrer Höhle räkelt. Der 2023er Live-Action-Film gleichen Titels ist ein Remake, das mehrheitlich eins zu eins auf den alten Plot, die alten Ideen und selbst einzelne Bildkompositionen zurückgreift: Die alte und ja auch heute zweifellos relevante Geschichte über einen Generationenkonflikt, in der junge Leute mit den besten Intentionen für eine bessere, von Liebe und Gleichheit erfüllte Welt von einer reaktionären Herrscherkaste aufgerieben werden.
Kurz gesagt: Alles, was am Animationsfilm von 1989 toll ist, ist auch an der 2023er Version (Regie: Rob Marshall) toll. Die mitunter schwelgerischsten Musicalsongs des Disney-Universums (teils aktualisiert und ergänzt um neue Lyrics von Lin-Manuel Miranda), liebenswerte Sidekicks und ein nicht zu übersehender Hang zum Flamboyanten. Schon die Original-Ursula war eine Hommage an Drag-Legende Divine (Melissa McCarthy spielt die Rolle übrigens einwandfrei aber dennoch: Lizzo was robbed) und je mehr sich der Film in dieses Überkandidelte, Ausgelassene hineinlehnt, desto besser.
Dass jedoch die einzige substanzielle Neuerung der partielle race-swap ist, reproduziert auch alles Problematische, das schon der Animationsfilm hatte – oder lässt es sogar wie unter einem Brennglas umso deutlicher hervortreten. Darüber, dass die sieben nun multiethnischen Töchter von König Triton (Javier Bardem) die Frage nach der Anzahl der im Spiel befindlichen Mütter aufwerfen, lässt sich noch am leichtesten hinwegsehen. Aber die eilfertige Krabbe Sebastian (Daveed Diggs) im Dienste des Königs weckt mit ihrem jamaikanischen Akzent noch immer Uncle-Tom-Assoziationen. Gegen das Gute, Reine, natürlich Schöne erhebt sich mit Ursula etwas Böses, das sich durch verschmähte, nicht normschöne, dafür künstlich überbordende Weiblichkeit auszeichnet. Und Arielle (Halle Bailey) himmelt immer noch eine elitäre, für sie scheinbar unerreichbare Art an, gibt ihre Stimme auf, um sich von einem weißen Dude die Welt erklären zu lassen und verabschiedet sich am Ende von ihrer Lebensweise, um seine anzunehmen. Nur, dass sie dabei jetzt eben schwarz ist.
Neben der alten Arielle hat noch ein zweiter Unterwasserfilm einen Logenplatz in meinem Herzen. Im Making-of zu Pixars „Findet Nemo“ erklärt das Animationsteam, dass sie schon kurz nach der Jahrtausendwende einen Weg gefunden hatten, um Wasser mithilfe von CGI-Effekten extrem realistisch darzustellen. Sie entschieden sich nur bewusst dagegen, um den Ozean fantastischer aussehen zu lassen; besonders verspielt und eben immer auch ein bisschen fremd. Mit „Avatar 2“ und nun „Arielle, die Meerjungfrau“ sind diese Zeiten endgültig vorbei. An die Stelle genuin kreativer Handschrift ist ein technisch beeindruckender Hyperrealismus getreten, der mit der Anmutung einer BBC-Blue-Planet-Doku nur dann effektvoll bricht, wenn farbenfrohes Meeresgekreuch sich zum Tanz synchronisiert und ein perfekt in einen Schwarm zartrosa Quallen schneidender Lichtstrahl dafür die ideale Kulisse bildet.
Das ist eine ähnlich naive Utopie wie das karibische Inselkönigreich, in dem eine royale Patchworkfamilie mit schwarzem Elternpaar und weißem Adoptivprinzen in gut gelaunter Eintracht mit seinem Volk lebt, das ein bescheidenes aber ausreichendes Auskommen als Fischer und Marktverkäufer findet, unterbrochen nur von Schläfchen in der Sonne und ausgelassenen Tänzen. Nichts gegen naive Märchenwelten, nur reibt sich diese hier unübersehbar am durch den stilistischen Realismus und das zeitgeistige Casting behaupteten Selbstanspruch. Wenn Prinz Eric (Jonah Hauer-King) ankündigt, er wolle künftig den Austausch mit den weit entfernten Ländern Europas wieder aufnehmen, frage ich mich, wie seine gemischte Ehe wohl bei den dortigen Königshäusern ankommen wird (das hat ja schon bei Harry und Meghan nicht geklappt).
Wenn wir Millennials, die wir die eindeutige Zielgruppe von Disneys nostalgischen Zeichentrickremakes sind, über die Jahre zwei Dinge verstanden haben, dann erstens, dass Traumblasen am Ende obligatorisch platzen, unter anderem, weil zweitens alles immer teurer wird. „Arielle, die Meerjungfrau“ als Film, dessen Botschaft am Ende kaum auf mehr hinausläuft als auf eine luxuriös schimmernde Traumblase, ist so gesehen vor allem ein pointiertes Argument dafür, die Drehbuchautoren mehr wertzuschätzen, die aktuell in Hollywood streiken, weil ihre originellen Ideen nicht fair bezahlt werden.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 25.05.2023 auf: perlentaucher.de
Arielle, die Meerjungfrau
The Little Mermaid
USA 2023
R: Rob Marshall – B: David Magee – P: Marc Platt, Lin-Manuel Miranda, Rob Marshall – K: Dion Beebe- Sch: Wyatt Smith – M: Alan Menken – V: Walt Disney – L: 135 Min – D: Halle Bailey, Melissa McCarthy, Awkwafina, Jonah Hauer-King, Jacob Tremblay, Daveed Diggs, Javier Bardem – Kinostart: 25.05.2023
Katrin Doerksen, Jahrgang 1991, hat Filmwissenschaft nebst Ethnologie und Afrikastudien in Mainz und Berlin studiert. Neben redaktioneller Arbeit für Deutschlandfunk Kultur und Kino-Zeit.de schreibt sie über Comics, aber auch über Film, Fotografie und Kriminalliteratur. Texte erscheinen unter anderem im Perlentaucher, im Tagesspiegel oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie lebt in Berlin.