Wenn die Kränkungen überhandnehmen

„Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ – Im Titel des (Lang-)Comicdebüts der Mainzer Illustratorin Julia Bernhard verbirgt sich bereits bittere Ironie, denn in den Gesprächen, die die 25jährige namenlose Protagonistin in zehn Kapiteln führt, übernimmt sie meist den defensiven Part der Zuhörerin. Lakonisch erträgt sie die eloquenten Klagen einer Freundin, die voller Abscheu jede Geste ihres offensichtlich schwer egozentrischen Partners zerpflückt, aber sofort umschwenkt, als der sich per SMS einlädt. Sie überhört die beleidigenden Kommentare ihrer Oma. Sie lässt sich von einem narzisstischen Typen erklären – der nur Sex will, aber tiefgründig daherredet – dass sie nie in einer Beziehung gewesen seien: „Nur weil ich gesagt habe, ich sähe da in Zukunft Potenzial für eine Beziehung. Daten ist wie Wahlkampf. Da erzählt man halt, was der andere hören will. Aber es käme doch auch kein Mensch auf die Idee, Wahlkämpfe ernst zu nehmen, oder?“

Julia Bernhard (Autorin und Zeichnerin): „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“.
Avant-Verlag, Berlin 2019. 96 Seiten. 20 Euro

Die Gespräche sind also keinesfalls schön, die Partner herablassend, widersprüchlich, oft auch beleidigend, ohne es zu bemerken. In der Zurückhaltung der Protagonistin spiegelt sich der stille gesellschaftliche Konsens, dass Frauen geduldig und einsichtig auf die noch gröbste verbale Scheiße zu reagieren haben. Die Monologe sind fast noch schlimmer: Zu Hause handelt sie sich vom schmorenden Toaster oder einer vertrockneten Zimmerpflanze Vorwürfe ein. Die Zeichnungen folgen einigen illustrativen Schemata: Hintergründe und Bilder des Interieurs zeigen nur die Panels, in denen geschwiegen wird, beide Sprechende besitzen in allen Passagen eine eigene Hintergrundfarbe, Gegenstände und weitere Figuren geraten nur dann ins Bild, wenn die Protagonistin auf sie blickt, deren Antlitz wir aber während der Unterhaltungen nicht sehen, weil dann deren Perspektive eingenommen wird.

Der Erzählrhythmus diktiert eine bedrückende Ordnung, aus der sich offensichtlich nicht entkommen lässt. Sehr wohl bietet sie uns bei der Lektüre Orientierung, aber für die Protagonistin stiftet sie den erbarmungslosen Takt des Immergleichen, zwischen den Panels ist kein Raum für irgendein utopisches Anderssein. Zum Schluss wiederholen sich sogar die Kapitelzählungen: Auf acht folgt neun folgt acht und die Protagonistin wälzt sich auf ihrem Sofa, bis sie buchstäblich davon verschlungen wird und verschwunden ist, auf dem Poster darüber steht „Eat. Shit. Die.“. Dieser metaphorische Rückzug lässt sich auch als Reaktion auf die selbstherrlichen Worte eines Mackers nach dem Sex ein paar Kapitel zuvor verstehen: „Ich bin ja ein sehr spiritueller Mensch. Emotionale Bindung behindert mich total in meiner Entwicklung. (…) Vögeln ist okay, aber ich will nicht angerufen werden, wenn du angefahren worden bist oder so.“ Wenn die Kränkungen überhandnehmen – der eigene Körper etwa nur als Fickmaterial taugt, solange er und seine Trägerin unversehrt sind und keine Schicksalsschläge nerven –, bleibt manchmal nur die Flucht nach innen. Auch dies ist eine geschlechtsspezifisch antrainierte.

Nanna Johansson (Autorin und Zeichnerin): „Natürliche Schönheit“.
Aus dem Schwedischen von von Katharina Erben. Avant-Verlag, Berlin 2019. 152 Seiten. 20 Euro

Die schwedische Comickünstlerin, Autorin und Radiomoderatorin Nanna Johansson geht in „Natürliche Schönheit“ weitaus rüder, aber auch weniger pointiert zu Werke. Der Band ist ein Kompendium humoristischer Arbeiten und versammelt verschiedenste Formen: Cartoons, Kurzcomics, Werbeanzeigen- und Magazincover-Parodien, verfremdete Fotos. Die Zeichnungen sind schnell und reduktionistisch, die Farben grell. Es geht um Schönheitsideale und -normen, Selbstoptimierung und -vermarktung, Geschlechterverhältnisse und medialen Schwachsinn, sei es die „Stahlgewitter“-Unterhaltung der alten Medien oder ihr Fortwesen im uneigentlichen Influencer-Gestammel.

Die Themen sitzen, die Pointen nicht immer. Witzig sind die Momente, in denen Johansson Beobachtetes mit Absurdem und Kritik kreuzt. Etwa „Der Typ mit der klitzekleinen Freundin erzählt von seiner Freundin – während sie dabei ist“. Oder eine wichtige Information der Optimierungsbehörde über Oberschenkellücken: „Für gewöhnlich empfehlen wir eine Lücke, durch die ein sehr kleiner Berufssoldat mit Bürstenhaarschnitt hindurchpasst, ohne mit Haar oder Ohren gegen Ihre Oberschenkel zu stoßen.“. Recht bieder bleibt’s, wenn die Kritik selbst die Pointe bildet („Was für ein toller Hund!“ – „Ja, wenn nur sein Arsch nicht so fett wäre!“). Vielleicht weil es daran erinnert, dass der Feminismus im 90er-Comic-Underground viel radikaler und energischer war, wenn beispielsweise Julie Doucet aus Wut über ihre Periode zu Godzilla mutiert und die ganze Stadt mit Menstruationsblut ersäuft. Oder aus Roberta Gregory in „Bitchy Bitch“ ein grölendes, kackendes Riesenbaby platzt: „Ich hab mehr Rechte als du, Mama! Ich werde meinem Abgeordneten schreiben! Ich will Nintendo!“ Ihre Reihen erschienen nicht ohne Grund im Eigenverlag. Dagegen nimmt sich Johanssons Ansatz aus wie eine Emma-Ausgabe im Zahnarztwarteraum.

Dieser Text erschien zuerst in: Junge Welt, Literaturbeilage 12.03.2020

Hier gibt es ein Interview mit Julia Bernhard.

Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Junge Welt, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.

Seite aus „Natürliche Schönheit“ (Avant-Verlag)