Der belgische Comicautor, Schriftsteller und Redakteur André-Paul Duchâteau ist gestern, am 26. August 2020, 95-jährig gestorben. Um den Schöpfer von „Rick Master“ und vielen weiteren Comicserien ausführlich zu würdigen, präsentieren wir das folgende Porträt von Volker Hamann, das in den Bänden 6-8 der deutschsprachigen „Rick Master“-Gesamtausgabe (Splitter Verlag) veröffentlicht wurde. Das abschließende Kapitel wird im Dezember 2020 in Band 10 erscheinen.
Welche Bedeutung die Tätigkeit des Szenaristen bei der Entstehung einer Comic-Serie haben kann, beweist die Karriere des „Rick Master“-Autors André-Paul Duchâteau auf anschauliche Weise. An seinem Gesamtwerk lässt sich exemplarisch ablesen, wie die fleißige und unermüdliche Arbeit an einer Serienfigur zur glaubhaften und für den Leser immer wieder aufs Neue spannenden Charakterisierung führt.
Dabei war die Bekanntschaft und spätere Freundschaft zum Zeichner Tibet ein Glücksfall für den Szenaristen, denn ebenso wie er selbst war Tibet in der Lage, auf hohem Niveau eine beeindruckende Arbeitsleistung zu erbringen und Woche für Woche oftmals nicht nur eine, sondern gleich mehrere Serien mit Fortsetzungen zu versorgen. Bevor André-Paul Duchâteau 1955 zusammen mit Tibet den Grundstein für die mehr als 50-jährige Laufbahn des Reporter-Detektivs Rick Master legen konnte, hatte er als Schriftsteller und Szenarist weiterer Comics bereits ausreichend Erfahrung sammeln können; seinen ersten Roman z. B. hatte er schon im Alter von 15 Jahren verfasst und veröffentlicht.
André Edmond Ghislain Duchâteau wurde am 8. Mai 1925 im belgischen Tournai geboren, und schon früh war sein Leben geprägt von Büchern und gedruckter Sprache – oder vielmehr gedruckten Bildern, denn in Tournai war das Verlagshaus Casterman ansässig. Der Verlag mit einer langen Tradition war ab 1934 neben der Publikation der belgischen Telefonbücher und einer Reihe von Kinderbüchern auch für die Veröffentlichung der Albumausgaben von Hergés Comic- Serie „Tintin et Milou“ (dt. „Tim und Struppi“) verantwortlich, die zuvor in Le Petit Vingtième erschienen war, der Kinderbeilage der Tageszeitung Le Vingtième Siècle. André Duchâteau war von den abenteuerlichen Geschichten des pfiffigen Reporters Tim begeistert, und sie prägten ebenso wie die Serie „Winnie Winkle“ von Martin Branner, die im französischsprachigen Raum als „Bicot“ veröffentlicht wurde, und ab 1941 auch die Geschichten mit Jean Valhardi in Spirou seine Auffassung von spannender Lektüre. In den billig gedruckten und in rascher Folge veröffentlichten Romanheftserien wie Recits Express von Sacha Ivanov oder der Collection „Patrie“ mit Heldengeschichten aus dem Ersten Weltkrieg fand der junge André zusätzlich Zerstreuung.
Für den weiteren Lebensweg des Schriftstellers und Szenaristen Duchâteau war die Bekanntschaft mit dem Schriftsteller, Illustrator und Redakteur Stanislas-André Steeman von großer Bedeutung, der in der Zeitschrift Le Soir Illustré illustrierte Kriminalgeschichten veröffentlichte. Hier, in der Wochenbeilage der belgischen Tageszeitung Le Soir, in der auch Hergé nach der kriegsbedingten Einstellung von Le Petit Vingtième die weiteren Abenteuer von „Tintin et Milou“ publizieren konnte, entdeckte der junge André die Arbeiten seines Vorbildes Steeman zum ersten Mal. Ebenso wie Stanislas-André, der Vater des späteren Kabarettisten und größten Hergé-Sammlers Stéphane Steeman, legte sich auch André Duchâteau einen Künstlernamen zu, indem er seinem Vornamen den fiktiven Zweitnamen Paul beifügte – einfach, weil es einen guten Klang hatte. Und ebenso wie der Schriftsteller, dessen Werke später von Regisseuren wie Henri-Georges Clouzot oder Henri Verneuil für das Kino adaptiert wurden, versuchte sich Duchâteau an Krimi- Kurzgeschichten. Seine ersten Versuche schickte er an die Illustrierte Mon Copain, die von den Geschichten des jungen Autors überzeugt war und sie 1941 veröffentlichte. André Duchâteau war allerdings auch so selbstbewusst und schickte gleichzeitig weitere Entwürfe für Romane an sein Vorbild Steemann, der überraschenderweise einer Zusammenarbeit zustimmte und dem jungen Talent bei der Fertigstellung eines dieser Entwürfe half: Noch im selben Jahr erschien daraufhin in der von Steeman betreuten »Collection de romans policiers« Le Jury der Éditions A. Beirnaerdt in Brüssel der erste Roman mit dem Titel „Meurtre pour meurtre“, jetzt selbstbewusst signiert als André-Paul Duchâteau.
In den folgenden Jahren, bis zur Einstellung der Reihe Le Jury 1946, veröffentlichte der talentierte und einfallsreiche Jungautor Duchâteau hier noch einige weitere Romane, die die Öffentlichkeit und die Kritiker auf ihn aufmerksam machten. Sie waren sowohl gute Übung wie auch Zerstreuung für die hauptsächliche Tätigkeit, auf die er sich gleich nach seinem Schulabschluss konzentrierte: André-Paul Duchâteau wollte Journalist werden. Er fand im August 1945 Anstellung bei der gerade gegründeten, sozialistischen Tageszeitung Indépendance aus Charleroi, für die er allerdings nur wenige Monate tätig war, bis eine Stellenanzeige in der Zeitung sein Interesse weckte. Die von Marcel Basberg geführte Éditions de La Boétie aus Brüssel suchte einen Redakteur, und das gab Duchâteau die Möglichkeit, aus dem kleinstädtischen Betrieb in Charleroi herauszukommen. Der kleine Verlag von Basberg hatte nach Kriegsende keine Schwierigkeit, an gute belletristische Werke heranzukommen, und so redigierte Duchâteau Romane von Schriftstellern wie Aldous Huxley, Charlotte Brontë oder Émile Zola. Einmal in Brüssel angekommen und in der belgischen Hauptstadt niedergelassen, konnte der junge Autor sogleich weitere Angebote annehmen und seine Werke publizieren.
Darunter war auch ein ebenfalls neuer Verlag, Éditions Michel-Ange, der sich auf populäre und triviale Werke spezialisiert hatte. Hier machte Duchâteau die Bekanntschaft mit dem jungen Zeichner Louis Santels, der unter dem Pseudonym Tenas Comics für die bei Michel-Ange publizierte Serie Tommy gestaltete und auch für die Covergestaltung der Romanreihe L’Alibi verantwortlich war. Die schlecht produzierten Bildergeschichten in Tommy waren die erste Begegnung Duchâteaus mit Comics nach dem Krieg, und er traute sich durchaus zu, auch mal das eine oder andere Szenario zu schreiben. Doch die Arbeit für Éditions de La Boétie verhinderte die Umsetzung dieser Pläne zunächst, und um seine Veröffentlichungen für Michel-Ange und andere Herausgeber von seiner Tätigkeit für den „anspruchsvollen“ Literaturverlag abzusetzen, nutzte er zahlreiche Pseudonyme.
Der Ausstoß an Romanen und Kurzgeschichten von André-Paul Duchâteau war in den Jahren nach Kriegsende wirklich beeindruckend. Neben Geschichten für die hochauflagige Reihe „Capitaine Domingo“ oder die SF-Serie „Futurs“ schrieb der junge Szenarist ab 1947 auch endlich seine ersten Texte für Comics. Über den Zeichner Tenas, der sich inzwischen mit seinem Kollegen Raoul Livain zusammengetan hatte und das Studio Tenas-Rali führte, erhielt Duchâteau die Gelegenheit zum Verfassen von Szenarios der Serien „Capitaine Hardell“ und „Phill Blue-Eyes“, die im belgischen Comic-Magazin Bravo! erschienen. Das während des Krieges gestartete flämische Magazin hatte bereits zahlreiche internationale und heimische Comics veröffentlicht, darunter auch die ersten oder frühe Arbeiten von Edgar P. Jacobs, Bob De Moor oder Willy Vandersteen, und war nach Kriegsende mit frischem Elan in einer belgischen und einer französischen Ausgabe neu gestartet. Maßgeblich an der neuen Ausrichtung waren auch Tenas und Rali beteiligt, durch deren Vermittlung nun Autoren wie Duchâteau, Stanislas- André Steeman und der belgische Vielschreiber Raymundus Joannes de Kremer alias Jean Ray alias John Flanders für Bravo! arbeiteten.
Außerdem verstärkte ein ganz junger Zeichner namens Gilbert Gascard das Team des Studios Tenas-Rali, als 1947 noch zusätzlich Aufträge für die Magazinreihe Héroïc-Albums erledigt werden wollten. Duchâteau und Gascard, der seine Arbeiten mit dem ungewöhnlichen Pseudonym Tibet signierte, freundeten sich an und zogen nach getaner Arbeit durch die Straßen des nächtlichen Brüssel, spielten Billard und amüsierten sich in den Musikbars der Hauptstadt. Als erste gemeinsame Arbeit der späteren Väter von Rick Master gilt die zusammen mit Tenas und Rali realisierte Comic-Geschichte „Le Triangle de feu“, die zwar schon 1949 unter dem gemeinsamen Pseudonym D. Aisin entstand, aber erst ab 1952 in Spirou erscheinen sollte.
Da die Arbeit für Bravo! in der Zwischenzeit immer schlechter bezahlt wurde und die Zusammenarbeit mit den Herausgebern zu Unstimmigkeiten führte, hatten Tenas und Rali eine Kooperation mit der Imifi begonnen. Die Agentur unter der Leitung von Francois Prête, der in seinem Verlag Pont-Levis bereits das Magazin Story herausgab, bereitete Ende der 1940er-Jahre in Zusammenarbeit mit Armand Bigle und dessen belgischem Büro der Agentur Opera Mundi den Start von Mickey-Magazine vor, einer französischsprachigen Comic-Zeitschrift mit Disney-Material.
Da nicht ausschließlich auf altes Material der Disney-Studios zurückgegriffen werden sollte, wurden Tenas-Rali mit der Gestaltung neuer Geschichten beauftragt, und so entstand die nur in der französischen Serie publizierte Donald- und Micky-Episode „Les mystères de la Tour Eiffel“, für die André-Paul Duchâteau das Szenario schrieb und bei der sein Freund Tibet an der Fertigstellung der Zeichnungen mitarbeitete. Aber der junge Szenarist hatte noch weitaus mehr Vorteile aus der Zusammenarbeit mit Tenas-Rali, denn bei der Imifi arbeitete eine junge Frau namens Odette Paligot, in die sich Duchâteau verliebte und die 1953 seine Ehefrau wurde… Duchâteau verdiente als Szenarist von Comics nicht genug Geld, und zudem endete seine Zusammenarbeit mit Basberg und der Éditions de La Boétie durch die Einstellung des Verlagsprogramms. Daraufhin fand der Schriftsteller in der französischen Ausgabe der bekannten amerikanischen Romanreihe Ellery Queen’s Mystery Magazine eine neue Publikationsmöglichkeit. Das von Maurice Renault in seinem Verlag OPTA verlegte Magazin Mystère-Magazine bot Duchâteau zahlreiche Gelegenheiten, sein erzählerisches Talent für Kriminalgeschichten zu beweisen. Als weitere Folge seiner Tätigkeit für die Imifi wurde Marcel Duray, rechte Hand des Leiters der Agentur World’s Press, Georges Troisfontaines, für die Anfang der 1950er-Jahre auch spätere Kollegen von Duchâteau wie Charlier oder Goscinny arbeiteten, auf seine Geschichten aufmerksam. Duray war darüber hinaus Chefredakteur der vom Verlag Dupuis neben dem Spirou-Magazin herausgegebenen Frauenzeitschrift Bonnes Soirées, für die Duchâteau ab 1953 einige Kurzromane und illustrierte Geschichten schrieb.
Doch der Kontakt zum Comic-Verleger Dupuis blieb zunächst ebenso ohne Folgen für Duchâteau wie eine Zusammenarbeit mit Tibet für das flämische Magazin Ons Volkske. Für das von Karel van Millighem, dem Chefredakteur der flämischen Ausgabe von Tintin, betreute Magazin lieferten Tibet und Duchâteau 1951 dreizehn Seiten der Serie „De avonturen van Koenraad“. Für Tibet bedeutete das die Eintrittskarte in den Mitarbeiterkreis des renommierten Magazins Tintin, doch der junge Schriftsteller Duchâteau hatte andere Pläne. Ihm war erneut eine Anstellung als Journalist in Aussicht gestellt worden, dieses Mal von Raymond Naegels, einem Verleger der alten Schule und angesehener Herausgeber der Wochenzeitschrift Pourquoi Pas? Naegels und Duchâteau hatten sich ebenfalls über Imifi kennengelernt, und der Verleger bot dem Autor eine Mitarbeit an einer besonderen Ausgabe seiner Wochenzeitschrift an: Pourquoi Pas? sollte fortan auch in Belgisch-Kongo erscheinen, den Kolonien des belgischen Königreichs auf dem afrikanischen Kontinent. Also packte André-Paul zusammen mit seiner Frau Odette die Koffer und tauschte seinen Wohnsitz Brüssel gegen Leopoldville im Herzen Afrikas.
In Belgisch-Kongo lernte Duchâteau durch seine Arbeit eine Vielzahl von Afrikanern kennen, die nach der Unabhängigkeit des dann Zaire genannten Staates wichtige Rollen innehatten. Am meisten hat ihn wohl die Bekanntschaft mit Joseph-Désiré Mobutu bewegt, der Mitte der 1950er-Jahre noch als Redakteur bei L‘Avenir angestellt und damit ein Kollege des belgischen Schriftstellers war. Nach der Erklärung der Unabhängigkeit von Belgisch-Kongo 1960 wurde Mobutu Staatssekretär des Premierministers der Demokratischen Republik Kongo und war in der Folge am Militärputsch beteiligt, der zum Sturz der Regierung führte und ihn selbst 1965 zum Präsidenten machte. Mobutu galt bis zu seinem Tod 1997 als einer der korruptesten und langlebigsten Diktatoren Afrikas, und im Rückblick zeigte sich Duchâteau bestürzt über die Entwicklung des Staates und seines Führers, wovon während seiner Zeit im Kongo noch nichts zu spüren war.Während seiner Jahre im Kongo hatte André-Paul Duchâteau stets den Kontakt zu Zeichner Tibet gehalten. Die beiden jungen Männer freundeten sich über ihre Arbeit hinaus an und entdeckten viele Gemeinsamkeiten. So zog Tibet den Freund regelmäßig wegen seines Schnurrbartes auf, der Duchâteau zugegebenermaßen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Schauspieler Errol Flynn gab. Tibet soll so lange darauf gedrängt haben, bis sich der Szenarist den Schnurrbart durch seine Frau Odette abnehmen ließ. Von ihr ist der anschließende Ausspruch überliefert: „Oh, aber jetzt siehst du aus wie ein Mörder!“ Es ist unnötig zu erwähnen, dass sich Duchâteau den Haarschmuck daraufhin wieder stehen ließ; er wurde im Laufe der Jahre sogar zu seinem Markenzeichen.
Mit Tibet hatte Duchâteau bereits ab 1951 an der kurzlebigen Serie „De Avonturen van Koenraad“ für das neu gestartete flämische Magazin Ons Volkske zusammengearbeitet. Die Anerkennung, die Tibet und Duchâteau für ihre Serie ernteten, spornte sie an, sich im darauffolgenden Jahr mit einem neuen Serienentwurf bei Tintin-Herausgeber Raymond Leblanc vorzustellen, aus der schließlich der Funny-Western „Chick Bill“ hervorgehen sollte. Den realisierte Zeichner Tibet dann zwar zunächst im Alleingang, weil sein Szenarist inzwischen den Umzug in den Kongo vorbereitete, aber Duchâteau hatte einen Fuß in der Tür des renommierten Magazins.
1954 erschienen zwei erste Arbeiten des Szenaristen in Tintin. Das war zum einen die Kurzgeschichte „Les rivaux de la piste“ über ein Autorennen, die der spätere „Michel Vaillant“-Erfinder Jean Graton in Szene setzte und die 1959 auch in deutscher Übersetzung als „Schnelle Männer, schlechte Kerle“ in Pony Nr. 32 erschien. Und zum anderen eine von Raymond Reding illustrierte Kurzgeschichte mit dem Titel „La dictée révélatrice“, die Duchâteau unter dem Pseudonym Michel Vasseur ablieferte. Das Pseudonym diente ihm anfangs noch als willkommene Abgrenzung zu seiner Arbeit als Schriftsteller; später nutzte er es auch, um seinen enormen Ausstoß an wöchentlichen Comic-Fortsetzungen hinter dem Schleier verschiedener Identitäten zu verbergen.
Rückkehr nach Belgien
Aus Belgisch-Kongo versorgte Duchâteau lediglich seinen Freund Tibet mit Ideen und Szenarios für neue Comics. Darunter war auch die fünf Seiten lange Geschichte mit dem Titel „Ric Hochet mène le jeu“ („Rick Master macht das Spiel“) in Ausgabe 13/1955 von Tintin. Es war ein Abenteuer des bei der Tageszeitung „La Rafale“ angestellten Zeitungsjungen Richard Hochet, den alle nur Ric nannten und der durch seinen scharfen Verstand Aufmerksamkeit erregte. Offenbar kam das kurze Abenteuer bei den Lesern von Tintin gut an, denn vor seiner Rückkehr nach Belgien schrieb der Szenarist im Februar 1956 mit „Le mauvais oeil“ („Das böse Auge“) eine zweite Episode, in der Ric Hochet bereits einige Jahre älter ist.
Als Duchâteau im Dezember 1958 nach Brüssel zurückgekehrt war, ließen er und Tibet weitere Kriminalfälle mit Ric Hochet in Form von kurzen Comicgeschichten folgen, und sie riefen die Serie „Relevez le gant!“ ins Leben, kurze redaktionelle Beiträge von zumeist zwei Seiten Länge, auf denen die Leser zum Lösen eines Rätsels aufgefordert wurden. Doch erst nach der Veröffentlichung von drei weiteren Comic-Kurzgeschichten und unterstützt vom Erfolg der „Rick Master“-Fälle zum Mitraten wurde die Karriere des Hobbydetektivs auf den ausdrücklichen Wunsch vieler Tintin-Leser im Februar 1961 mit „Signé Caméléon“ („Das Chamäleon“) auch in den albumlangen Abenteuern fortgesetzt.Die Arbeit an „Ric Hochet“ hatte André-Paul Duchâteau ganz selbstverständlich in den Fokus der Tintin-Redaktion gerückt und ihn als verlässlichen und produktiven Mitarbeiter empfohlen. Das brachte ihm im Laufe der Zeit immer wieder Aufträge des Chefredakteurs Marcel Dehaye ein, der 1959 die Nachfolge von André Fernez angetreten hatte und dafür sorgte, dass „seine“ Zeichner und Autoren genügend ausgelastet waren. So arbeitete Duchâteau mit dem „Dan Cooper“-Zeichner Albert Weinberg an einer Science-Fiction-Kurzgeschichte („La terre aux encheres“, 1959) zusammen, unterstützte Jean Graton mit einer Idee für eine „Michel Vaillant“-Geschichte („Les ›Casse-Cou‹“, 1962; dt. „Die Draufgänger“) oder lieferte Szenarios für einige Kurzcomics, die vom Spanier J.-L. Fernàn (d. i. José Lopez Fernandez) umgesetzt wurden.
Am nachhaltigsten allerdings war die Zusammenarbeit mit Édouard Aidans, mit dem er 1960 die Rätsel- und Spieleserie um den rasenden Pressefotografen „Bob Binn“ entwickelte, die anfangs noch von einer gleichnamigen Comicserie begleitet wurde. Parallel dazu schrieb Duchâteau für Aidans einige Kurzgeschichten: „Das waren Auftragsarbeiten, und ich hatte keine Ahnung, wer die umsetzen würde“, erzählte der Szenarist später. „Es war der Chefredakteur, der die Art und den Umfang der Geschichten festlegte, einen Szenaristen beauftragte und sich darum kümmerte, dass das Skript von einem Zeichner seiner Wahl umgesetzt wurde.“
Seine Bekanntschaft zu René Goscinny und Jean-Michel Charlier, den beiden anderen großen frankobelgischen Szenaristen, die inzwischen mit dem Magazin Pilote Erfolge feierten und ihre Aktivitäten auf internationaler Bühne verstärkten, brachte Duchâteau zusätzliche Aufträge ein: Mit seinem Freund Édouard Aidans entstand 1965 eine Episode der vielversprechenden, realistischen Detektivserie „Alex Vainclair“ für Pilote. Zuvor hatte er für dasselbe Magazin zusammen mit Luc Mazel die James Bond-Parodie „O.K. 27.43“ gestaltet, und ab 1967 kam noch die Kriminalserie „Commissaire Jeudy“ dazu, die die Leser, ähnlich wie „Ric Hochet: Relevez le gant!“, zum Mitraten einluden. Das Konzept, den Leser (oder auch Zuhörer/Zuschauer) an der Lösung eines Kriminalfalls zu beteiligen, hatte Duchâteau schon immer fasziniert, nicht zuletzt als Mitarbeiter der Fernsehserie „L‘Inspecteur Leclerc enquête“ und von 1963 an auch für die Radiosendung „Les Enquêtes du commissaire Marin“, der zahlreiche Romane des Schriftstellers zugrunde liegen und die 1967, ebenfalls mit Zeichnungen von Antonio Parras, für die gleichnamige Comic-Serie in Charliers erfolglosem Magazinprojekt Illustré du Dimanche adaptiert wurde.
Bei Pilote hatte Duchâteau den Zeichner und Maler Henri Desclez kennengelernt, der 1969 Chefredakteur der Kinderbeilage Le Soir Jeunesse der belgischen Tageszeitung Le Soir wurde. Zusammen entwickelten sie Ideen für neue Serien, darunter „Mycroft et Klaxon“, die von Duchâteau geschrieben und Desclez selbst gezeichnet wurde, und „Yalek“, für die der Szenarist den jungen Christian Denayer verpflichtete, der seit einigen Jahren seinem Freund Tibet bei „Rick Master“ assistierte. Im Gegensatz zu diesen zumeist farbigen, im klassischen Albumformat gestalteten Serien für Le Soir Jeunesse versuchten sich Duchâteau und Denayer in Le Soir auch am Format eines Zeitungsstrips. Unter dem Pseudonym CAP (zusammengesetzt aus den Initialen ihrer Vornamen) erschienen von 1971 bis 1975 die ersten Abenteuer des Rennfahrers Alain Chevallier (dt. Rolf Thomsen). Alle drei Serien wurden nach ihrem Erscheinungszeitraum in Le Soir Jeunesse von anderen Publikationen fortgeführt, dazu kamen weitere Kurzgeschichten und -serien mit Henri Decoster („Richard Bantam“, 1971–1974), Franz (d. i. Franz Drappier, „Hugo des Ombres“, 1974), Jean Pleyers („Justice à Tombstone, 1970“) sowie dem jungen Schweizer Zeichner Cosey (d. i. Bernard Cosendai, „Monfreid et Tilbury“, 1971 bis 1972), der zusammen mit Duchâteau die ersten Stufen seiner Karriereleiter erklomm. Von der Fantasy/Science Fiction-Serie „Richard Bantam“ veröffentlichte André-Paul Duchâteau unter dem neuen Pseudonym Héric eine von Henri Desclez gezeichnete Episode 1970 in Spirou, und so entdeckte der damalige Chefredakteur Thierry Martens seine erzählerischen Talente. Er bat den Szenaristen, eine Serie von Kurzromanen zu schreiben, deren Titelheld der sogenannte „Inspecteur Spirou“ war. Die meist zweiseitigen Beiträge erschienen ab 1971 und waren als Kriminalgeschichten zum Mitraten der Leser konzipiert – und damit offensichtlich eine Kopie der „Relevez le gant!“-Serie mit Rick Master in Tintin. Immerhin kam die Serie bei den Lesern des belgischen Magazins so gut an, dass sie bis 1977 fortgesetzt wurde. Als Zeichner für die actionlastigen Illustrationen im realistischen Stil holte Duchâteau seinen Freund Christian Denayer dazu, mit dem er gleichzeitig auch an „Yalek“ und „Alain Chevallier“ für Le Soir Jeunesse arbeitete. Ein Szenario für die Abenteuerserie „Stany Derval“ des Zeichners Mitacq („Die Biber-Patrouille“) in Spirou war 1974 dann zugleich der zweite und letzte Anlass für Duchâteau zur Verwendung des Pseudonyms Héric.Ebenfalls in Spirou kam es zu einem kurzen Zwischenspiel mit den Zeichnern Jean Mariette alias Mittéï und Pierre Seron alias Foal, als Duchâteau 1972 das Szenario für die aus kurzen Episoden bestehende Detektivgeschichte „Les Cascadeurs“ mit eine inhaltlich härteren Gangart lieferte. Für Tintin begann Duchâteau 1971 die Zusammenarbeit mit Henri Ghion alias Géri an der von fantastischen Elementen durchzogenen Geheimagentenserie „Mr Magellan“, deren erste beiden Episoden noch von Jean Van Hamme getextet worden waren. Der spätere „XIII“-Szenarist konnte sich allerdings nie mit der immer wieder auch ins Komische abgleitenden Titelfigur anfreunden und überließ Duchâteau das Feld, der umso mehr Freude an den Abenteuern des stets eine dicke Zigarre rauchenden Magellan hatte; das Team Géri/Duchâteau setzte die Serie bis 1985 fort. Den Abenteuern des Piraten Yorik, die der Szenarist zusammen mit Eddy Paape, einem anderen festen Mitarbeiter von Tintin, in Szene setzte, war dagegen keine lange Laufzeit gegönnt. Nur sechs Kurzgeschichten wurden 1971 gestaltet, nachdem Paape und Duchâteau zuvor bereits an der Rätselseite „Voulez–vous jouer avec Toah?“ gearbeitet hatten. Es sollte allerdings nicht ihre letzte Kooperation bleiben.
Die Vernetzung seiner Kontakte und Freundschaften führte Anfang der 1970er-Jahre dazu, dass Duchâteau auch Kollegen aus anderen Publikationen in der Redaktion von Tintin vorstellte. Denn an dem „Haus-Magazin“ seines größten Erfolgs „Rick Master“ lag dem Schriftsteller und Szenaristen verständlicherweise immer noch am meisten. Le Soir Jeunesse-Chefredakteur Henri Desclez war einer der ersten, der von Duchâteau bei Tintin eingeführt wurde. Parallel zu „Richard Bantam“ in Spirou realisierten die beiden Freunde die Funny-Serie „Saint-Fauston“, von der nur drei Kurzgeschichten entstanden. Denn nur kurze Zeit danach wurde Desclez Chefredakteur der belgischen Ausgabe von Pilote, und er gründete sein eigenes Studio, in dem unter anderem die Comic-Adaption der damals populären „San Antonio“-Romane von Frédéric Dard entstand.Es folgte Franz Drappier, den Duchâteau als Zeichner eben der Comic-Adaptionen von „San Antonio“ und von dessen Zusammenarbeit mit Henri Desclez kannte: 1974 veröffentlichten sie die Kurzgeschichte „Opération ›Centaures‹“, in der ein gewisser Jockey mit Namen Lester Cockney seinen ersten Auftritt hatte. Um diese Figur herum entwickelte der unter dem Pseudonym Franz agierende Zeichner später eine seiner erfolgreichsten Serien.
Erfolge außerhalb der Comic-Welt
Abseits vom stetig wachsenden Ausstoß an neuen Comics verfolgte André-Paul Duchâteau seine Karriere als Schriftsteller mit großem Erfolg weiter. Nicht nur, dass er Kurzgeschichten fürs Feuilleton oder für Radioprogramme schrieb, er verfasste mit „De 5 à 7 avec la mort“ auch einen Roman, der 1971 in Mystère Magazine vorveröffentlicht wurde und bereits im Jahr darauf unter dem Titel „Les Dupes“ für das französische Fernsehen verfilmt wurde, bevor er 1974 auch als Buchausgabe erschien. Es sollte dieser Roman sein, für den Duchâteau im selben Jahr mit dem Grand prix de littérature policière ausgezeichnet wurde, einem Preis, der „mir am meisten Spaß gemacht hat“, wie der Autor feststellte. Und obwohl sich seine Karriere im Comic-Business mehr als erfreulich entwickelte und ihn schon bald andere Herausforderungen erwarteten, schrieb Duchâteau auch in den folgenden Jahren mehrere Kriminalromane, darunter den ebenfalls zu seinen Lieblingsgeschichten zählenden „La 139e victime“ von 1976, der im selben Jahr unter dem Titel „Das 139. Opfer“ auch in einer deutschen Übersetzung in der Reihe der Ullstein-Kriminalromane erschien. Im selben Jahr, als Duchâteau Preisträger des Grand prix de littérature policière wurde und sich damit in die Reihe von Autoren wie Léo Malet oder Jean-Patrick Manchette stellte, ging die langjährige und erfolgreiche Zeit des Szenaristen Michel Régnier alias Greg auf dem Posten des Chefredakteurs von Tintin zu Ende. Mit Aussicht auf einen lukrativen und verantwortungsvollen Posten als literarischer Leiter des Comicprogramms von Dargaud fiel es dem auch als Zeichner erfolgreichen Greg nicht schwer, die einflussreiche Leitung von Tintin einem jüngeren Kollegen zu überlassen. Die Wahl der Geschäftsleitung des Lombard Verlags fiel auf Henri Desclez, der mit seinen Aufgaben bei Le Soir Jeunesse und der belgischen Landesausgabe von Pilote bereits ausreichend Erfahrungen mitbrachte. Hätte man allerdings geahnt, dass sich Desclez seit längerer Zeit mit dem Gedanken befasste, nach Kanada auszuwandern, um dort seinen eigenen frankophonen Verlag zu gründen, wäre die Entscheidung wohl früher zugunsten von André-Paul Duchâteau getroffen worden. So dauerte es fast zwei Jahre länger, bis Desclez seinen Plan zur Emigration umgesetzt hatte und der „Rick Master“-Szenarist die Leitung bei Tintin übernahm. Auf dem Posten des Chefredakteurs des belgischen Magazins trat Duchâteau im November 1976 nicht nur in die Fußstapfen seines Vorgängers Greg, er führte auch dessen kongeniale Verknüpfung von Magazinleitung und Lancierung eigener Serien und Helden fort, die in den 1960er-Jahren bereits zu Publikumserfolgen wie „Andy Morgan“, „Bruno Brazil“ oder „Comanche“ geführt hatte.
Die Lancierung einer eigenen Serie, zusammen mit einem in Tintin noch unbekannten Zeichner, hatte Duchâteau bereits im Jahr zuvor erfolgreich ausprobiert, als er „Les Casseurs“ (dt. „Die Draufgänger“) startete. Als „Gegenentwurf“ zu ihrer Rennfahrerserie „Alain Chevallier“ angelegt, setzten die von Christian Denayer zeichnerisch umgesetzten und von Polizeiserien wie „Die Straßen von San Francisco“ oder „Starsky und Hutch“ inspirierten Abenteuer voll auf Action. Bis weit in die 1990er-Jahre hinein gestalteten Duchâteau und Denayer die Erlebnisse der beiden Ex-Polizisten Al und Brock, die nicht von ungefähr die Gesichtszüge der Schauspieler Michael Douglas und Karl Malden aus „Die Straßen von San Francisco“ tragen, und die später unter dem Namen der Protagonisten veröffentlicht wurden.Nachdem der „Rick Master“-Szenarist für den Inhalt von Tintin verantwortlich geworden war, legte er mit einer weiteren Serie nach, die er bereits seit einigen Jahren für Le Soir Jeunesse und ebenfalls zusammen mit dem Zeichner Christian Denayer gestaltet hatte: Ende 1976 debütierte auch die Rennfahrerserie „Alain Chevallier“ bei Lombard, nachdem Platzhirsch Michel Vaillant den Platz in Tintin und auf den Rennstrecken dieser Welt frei gemacht hatte. Nur dadurch, dass Autor Jean Graton Lombard verlassen hatte, um seinen eigenen Verlag zu gründen, drohte keine ernstzunehmende Konkurrenz mit einer weiteren Rennfahrerserie im Magazin, und Duchâteau und Denayer füllten die Lücke für viele Jahre mit Begeisterung. Die Leser in Deutschland dagegen hatten es nicht so gut: Da „Alain Chevallier“ unter dem Titel „Rolf Thomsen“ im deutschsprachigen Zack-Magazin in Konkurrenz zur eingeführten und beliebten „Michel Vaillant“-Serie trat, verschwand Duchâteaus und Denayers Serie nach nur zwei Episoden wieder aus dem Magazin.
Der Abschluss dieses Porträts erscheint im Dezember 2020 in Band 10 der „Rick Master“-Gesamtausgabe.