Dem Bürotrott ein Denkmal setzen – „Birgit“

Die Neue – sie nimmt gleich die ganze erste Seite ein und wirkt doch ein bisschen naiv mit ihrer riesengroßen runden Brille und der blauen Latzhose.

Max Baitinger: „Ich glaube, es ist so eine Art von Jugendlichkeit, die sie nach außen trägt, und ich dachte, das trägt vielleicht zu ihrem Charakter bei, dass sie so ein bisschen spritziger rüberkommen möchte, obwohl sie die Chefin ist. Es gibt ja auch diesen Moment, den ich so ein bisschen versucht habe zu erreichen, das das am Anfang nicht ganz klar ist, ob das jetzt die neue Kollegin ist, die eigentlich geschult werden muss und am Ende ist das die Chefin. Da gibt es die ersten paar Seiten, auf denen das noch nicht ganz klar ist.“

Feines Spiel um Macht und Werte

Max Baitinger spinnt aus dieser Konstellation ein feines Spiel um Macht und Werte, in der Birgit, die altgediente Verwaltungsfachangestellte, schon nach wenigen Worten der fidelen Chefin dichtmacht. Die plappert vom Jour Fix, hält mit früheren Erfolgen nicht hinterm Berg und heuchelt vermutlich eher Verständnis für Kollegen, die mehr Zeit brauchen. Birgit denkt indes darüber nach, dass sie der Neuen zeigen könnte, worauf es in diesem Mikrokosmos aus Büromaschinen und Personal ankommt. Könnte sie, vielleicht.

Max Baitinger (Autor und Zeichner): „Birgit“.
Reprodukt, Berlin 2017. 48 Seiten. 12 Euro

Max Baitinger: „Ich war mal HiWi im Institut für technische Chemie. Das war ein sehr kleines Büro mit insgesamt glaube ich sechs Leuten, und es war unmöglich, nicht das vollständige Privatleben der anderen Angestellten mitzubekommen. Ich saß da still drinnen und hab aufgenommen, wie die Leute sich ausgetauscht haben, die kannten sich zum Teil ewig lang – und für mich war das dramatisch –, ich weiß nicht, ob die Leute das selber so wahrgenommen haben, aber wenn du still dasitzt und bist nicht Teil der Konversationen, dann hab ich ja eine reine Zuhörerperspektive, über die ich schon eine Weile nachgedacht habe in der Straßenbahn auf dem Heimweg.“

Typisch Verwaltungscomics

Comics über Verwaltungsfachangestellte haben Tradition. Im Carlsen Verlag erschien zum 50. Verlagsjubiläum die Neuausgabe vom franko-belgischen „Gaston“, einem Büroangestellten, der immer wieder den überschaubar geordneten Büroalltag mit seinen verrückten Ideen sprengt, die natürlich allesamt schiefgehen. Genau das ist typisch für Verwaltungscomics: Der Trott wird erst dadurch interessant, dass er gestört wird. Max Baitinger macht es genau umgekehrt: Er setzt dem Büro-Trott ein Denkmal.

Max Baitinger: „Ich glaube, es hat sich wahnsinnig viel verändert mit Smartphones und ich wollte das vor der Smartphone-Zeit ansiedeln, weil ich immer das Gefühl habe, das Verhalten untereinander funktioniert anders, seit es Smartphones gibt. Und ich glaube, ich möchte auch diesen Übergang: Es gibt noch Karteikästen, es ist alles noch so ein bisschen digital, aber auch nicht richtig digital, es ist im Endeffekt noch eine dumme Maschine, die zwar am Strom angeschlossen ist, aber eigentlich ist es auch umständlich. Und ich glaube, ich mag dieses Umständliche auch so, das kommt ja in dem Buch mit vor, dass es alles so ein bisschen umständlich trotzdem ist.“

Analoge Verwaltung wird zu einem Sehnsuchtsort

„Birgit“ ist eine Art innerer Monolog in Comicform. Das heißt: Hier werden nicht die Gedankengänge der Figur nachvollziehbar, sondern ihre visuelle Wahrnehmung. Und da lösen sich Büro und Kollegen eben schon mal in geometrische Figuren auf, wenn Birgit die Gedanken abschweifen. Oder endlose Rohrleitungen bauen sich vor den Augen auf, wenn Birgit kontemplativ vorm Bildschirmschoner versinkt. Dann wieder zeichnet Max Baitinger Telefonanlage, Disketten und Aktenordner so präzise, als würde er eine technische Zeichnung anfertigen.

„Grundsätzlich versuche ich schon, erzählerische Kontraste herzustellen – und um im Bild Kontraste herzustellen, ist es ein Mittel, was ich zu Verfügung habe, dass ich amorphere Zeichnungen gegen ganz klare technische Zeichnungen entgegenstellen kann.“

Das ist so schön, dass man „Birgit“ immer wieder lesen kann. So wird – trotz aller Konflikte – die analoge Verwaltung zu einem Sehnsuchtsort, der ganz ohne Multitasking und soziale Netzwerke auskommt.

Dieser Text erschien zuerst am 19.04.2017 in: Deutschlandfunk

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

Seite aus „Birgit“ (Reprodukt)