Darwins Enkel – „Die Insel des Dr. Moreau“

Die schiffbrüchige Biologin Ellie Prendick wähnt sich noch glücklich im Unglück, als sie am Strand einer bewohnten Insel angespült wird. Ihre Retter scheinen kultiviert zu sein und sprechen Englisch. Alle paar Monate soll hier sogar ein Schiff vom Festland anlegen. Anscheinend ist sie wirklich noch mal mit dem Schrecken davongekommen. Nach und nach offenbaren sich ihre Gastgeber ebenfalls als Akademiker, überdies kundig in Ellies Fachgebiet. Vom dubiosen Dr. Moreau und seinen Machenschaften hatte sie bereits zuvor gelesen. Aber erst als dieser Ellie im direkten Gespräch von seinem Ethik-Verständnis und seinen grausamen Experimenten berichtet, wird ihr klar, dass sie sicher nicht das Glück hierhergeführt hat…

Gabriel Rodriguez (Zeichner), Ted Adams (Autor): „Die Insel des Dr. Moreau“.
Panini, Stuttgart 2020. 108 Seiten. 25 Euro

Neben „Krieg der Welten“ oder „Die Zeitmaschine“ ist „Die Insel des Dr. Moreau“ ein weiterer von vielen Science-Fiction-Klassikern aus der Feder des britischen Schriftstellers Herbert George Wells. Seine Werke inspirierten zahlreiche andere Künstler, Filmemacher, Spieleproduzenten und natürlich auch Comiczeichner. Bei Splitter ist gar eine sechsbändige Reihe erschienen, die sich ausschließlich Umsetzungen von Wells-Geschichten widmet.

Das Aufregende an dieser nun bei Panini erschienenen US-Adaption des Stoffes sind natürlich die dynamischen Bilder aus der Tuschefeder von „Locke & Key“-Künstler Gabriel Rodriguez. In gewohnt gewaltiger Ausdrucksstärke und mit seinen charmant-dezent deformierten Charakteren beweist er auch ohne zusätzliche Informationen aus den beigefügten Interviews, dass ihm die Umsetzung dieses Stoffes besonders am Herzen lag, dass er viel Liebe in die Visualisierung seiner liebsten Momente investiert hat. An der Liebe hat es sicher auch beim Szenario, bei der textlichen Übersetzung nicht gemangelt, die Rodriguez gemeinsam mit IDW-Mitbegründer Ted Adams selbst in die Hand genommen hat.

Allerdings ist es den beiden nicht gelungen, Moreaus Wahnsinn, das Dilemma der ethischen Entscheidungen, die wichtige Frage danach, wo Menschlichkeit beginnt und endet, zu erfassen und mit gebührender Intensität in das Medium Comic zu übertragen. So bleibt am Ende eine visuell absolut großartige, aber gehetzt und gekürzt wirkende Comic-Version des Grusel-Klassikers. Der auf den ersten Blick interessante Austausch des Geschlechts der Hauptfigur wird zudem nur genutzt, um Frau Prendick zur Beute der angespannten Annäherungsversuche von Moreaus Assistenten zu machen. Dann hätte man es auch einfach lassen können, wenn man nicht mehr mit einer nun weiblichen Heldin anzufangen weiß. Schade. Es bleiben tolle und intensive Bilder, die mit mehr Raum und dramaturgischem Feinschliff die Grundlage für eine exzellente Graphic Novel hätten sein können.

Dieser Text erschien zuerst auf: DeinAntiheld.de

Mattes Penkert-Hennig ist Betreiber des Online-Comicmagazins DeinAntiHeld.de, Autor für Comic.de und den Berliner Tagesspiegel, war Juror beim „Rudolph Dirks Award“, Panelmoderator auf Comicmessen und hat zahlreiche Video-Interviews mit internationalen Comic-Künstlen geführt. Darüber hinaus produziert er animierte Video-Trailer für Comics und artverwandte Medien.

Seite aus „Die Insel des Dr. Moreau“ (Panini)