„Ich kann mit Superhelden nichts anfangen…“

„Freaks“ ist eine urbane, erwachsene Superhelden-Mär im Noir-Gewand. Frank Schmolke erzählt von Wendy, einer jungen Mutter, deren Leben seit Jahren von Psychopharmaka und Therapeutenbesuchen geprägt ist. Als sie nach einer bedrohlichen Begegnung ihre Medikamente absetzt, macht sie eine unglaubliche Entdeckung: Die Medikamente haben nicht nur ihre Emotionen und Wutausbrüche unterdrückt, sondern auch übermenschliche Kräfte. Zunächst kann Wendy kaum fassen, wie ihr geschieht, doch bald findet sie Gefallen an den neugewonnenen Superkräften.

Die Graphic Novel „Freaks“ entstand als eine Art crossmediale Erweiterung der Netflix/ZDF-Produktion „Freaks – Du bist eine von uns“ (Regie: Felix Binder, Drehbuch: Marc O. Seng), die seit September bei dem Streamingdienst zu sehen ist und 2021 im ZDF gezeigt werden wird. Marc O. Seng ist einer der Autoren der ZDF-Serie „Lerchenberg“ sowie Autor der gefeierten Netflix-Serie „Dark“. Anhand seines Drehbuchs zu „Freaks“ durfte Frank Schmolke eine komplett eigenständige Geschichte erzählen, die neue Figuren einführt, Konflikte schärft und den Plot mit einer unheilschwangeren Noir-Atmosphäre, wie man sie aus seiner letzten Graphic Novel „Nachts im Paradies“ kennt, anreichert. Wir präsentieren das folgende Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung der Edition Moderne.

Lieber Frank, du hast gerade erst vor wenigen Stunden die letzten Zeichnungen an deinem neuen Comic „Freaks“ vollendet, und schon sitzt du wieder am Schreibtisch und antwortest auf unsere Fragen. Vielen Dank für deinen Einsatz! Könntest du uns eingangs über die Hintergründe und die Entstehung deiner neuen Comicerzählung erzählen? Wie kam das Projekt zustande?

Der Produzent Florian Schneider und der Drehbuchautor Marc O. Seng, der an allen drei Staffeln von „Dark“ mitgeschrieben hatte, haben mich kontaktiert. Wir trafen uns im Sommer 2019 im Münchner Hirschgarten. Sie erzählten mir, dass sie Fans von „Nachts im Paradies“ waren und mitten in den Dreharbeiten zu einer Art Superhelden-Film wären, und fragten, ob ich mir vorstellen könnte, aus dem Drehbuch zu „Freaks – Du bist eine von uns“ eine Graphic Novel zu machen. Dass der Film auf Netflix laufen würde, erwähnten sie nur beiläufig.

Superhelden aus ihrem Spandex-Kontext herauszunehmen und mit dem Genre zu spielen, ist ja keine neue Idee. Vor einigen Jahren hat die TV-Serie „Heroes“ schon „normale“ Menschen mit Superkräften die Welt retten lassen. Filme und Serien wie „Midnight Special“ oder „I‘m not okay with this“ erzählen von Menschen mit Superkräften. Was hat dich an dem Projekt „Freaks – Du bist eine von uns“ fasziniert und deine künstlerische Neugier geweckt?

Florian und Marc betonten mehrmals, dass sie kein PR-Produkt zum Film wollten, sondern einen eigenständigen Comic. Ich konnte also, während die Dreharbeiten zu „Freaks“ noch liefen, parallel dazu meine Version des Stoffes entwickeln. Gegenwärtiger kann ein Comic nicht sein, finde ich. Comiczeichner sind ja ein bisschen auch Regisseure. Gut, sie leiten kein Set mit 40 Mitarbeitern, aber sie casten ihre Schauspieler, suchen sich ihre Drehorte aus, setzen das Licht und versuchen den Ton für ihre Geschichte zu finden. Ich wollte schon immer Regisseur sein! (lacht)

Frank Schmolke (Autor und Zeichner): „Freaks“.
Edition Moderne, Zürich 2020. 240 Seiten. 28 Euro

Wie stehst du selbst zum Superhelden-Genre? Bist du damit aufgewachsen? Was bedeutet es heute für dich als Comickünstler und als Comicfan?

Mich nervt das Genre. Es ist für mich das Wiederkäuen der immer gleichen Figuren und Handlungen. Ich kann nichts mit Marvel oder DC anfangen. Für mich hat es nichts Echtes. Hinzu kommt wie die Mega-Industrie mit einigen Erschaffern des Heldenuniversums umgeht. Die Ausbeutung Jack Kirbys ist da nur ein Beispiel von vielen. Dass ich kein Superheldenfan bin, wussten Florian und Marc aber von Anfang an. Seltsamerweise hat sie das gar nicht gestört.

Wie war die Zusammenarbeit mit dem Team von „Freaks“? Was war deine Vision für die Comic-Adaption, welche Vorgaben und Freiheiten hattest du seitens der Film-Kreativen?

Nach unserem Treffen im Sommer 2019 verging viel Zeit, im März 2020 kam dann das Go. Da der Film schon am 2. September 2020 starten sollte, hatte ich ein Problem. Zu wenig Zeit. (lacht) Ich machte mich also sofort ans Storyboard. Eine Geschichte entwickeln, ist immer der Part, der mir am leichtesten von der Hand geht. Die Zeichnerei ist die meiste Arbeit und mitunter sehr langweilig. Ich hatte, was Optik und Adaption des Drehbuchs anging, alle Freiheiten. Am Ende sollte man den Kern der Geschichte noch erkennen. Das war Segen und Fluch zugleich, da ich total ins Fabulieren geraten bin. Ab Seite 200 im Storyboard (kein Ende in Sicht) sagte ich mir: Okay, wenn du so weitermachst, wird der Comic 500 Seiten dick. Es wurden dann 250 Seiten und es war schon Anfang April. Knapp vier Monate für die Reinzeichnungen. Viel Spaß. Das Storyboard wurde gottlob mit ein paar kleinen Änderungen abgesegnet. Das war richtig cool, da ich schon ziemlich vom eigentlichen Plot abgewichen bin. Überhaupt war die Zusammenarbeit mit Florian und Marc sehr angenehm und lässig. Marc und ich haben zwei, drei Mal miteinander telefoniert, das war‘s. Mehr war gar nicht nötig.

Seite aus „Freaks“ (Edition Moderne)

Du verfolgst bei „Freaks“ einen wirklich interessanten narrativen Ansatz. Deine Graphic Novel ist keine klassische Adaption und auch keine freie Weiterführung des Ursprungsstoffs oder ein Spin-Off, sondern eher eine Coverversion: Du nimmst das Handlungsgerüst des Films und erzählt die Story neu, mit anderen Figuren, einer wesentlich bedrohlicheren Atmosphäre und Noir-Elementen. Warum hast du dich entschieden, den Stoff so umzusetzen?

Wir haben uns gleich am Anfang des Projekts darauf geeinigt, dass ich mir den Rohschnitt nicht ansehe, auch keine Setfotos. Ich habe bis heute keine Ahnung, wie der Film eigentlich aussieht. Meine Version der Freaks sollte düster werden, da steh ich einfach drauf. Wendy sollte härter sein, ihrer kleinen Familie sollte es wirklich nicht gutgehen. Die Brutalität und Sexualität im Comic gibt es nicht so explizit im Drehbuch. Es sollte alles auf ein Drama hinauslaufen. Wahrscheinlich bin ich ein Tragiker.

Der augenfälligste Unterschied zur Filmvorlage ist sicherlich die Superkraft der Protagonistin. Im Film hat die von Cornelia Gröschel gespielte Wendy Superstärke, deine Version ist eine reißende Bestie, die an die hinduistische Todesgöttin Kali erinnert. Was kannst du uns über deine Wendy erzählen?

Mit Ende zwanzig war ich eine Zeit in Indien, das war vielleicht der Auslöser. Kali kommt in zwei kurzen Einstellungen im Drehbuch vor, als Bild an der Wand. Das hat mich sofort inspiriert. Es ist auch das erste Panel im Comic. Von Kali aus habe ich mich Stück für Stück in die Geschichte gezeichnet. Kali die Zornesgöttin ist für mich auch eine Art Superheldin, nur im schrecklichsten Sinn. Meine Yoga-Lehrerin hat einen Kontakt zu einer indischen Freundin hergestellt, da konnte ich mich weiter über Kali informieren, ich wollte keiner Religion zu nahe treten und alles richtig darstellen.

Sowohl die Filmversion als auch der Comic lesen sich ein bisschen wie das erste Kapitel in einer größeren Geschichte über Superhelden in Deutschland. Würde dich eine Fortsetzung reizen?

Ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich mal wieder an die frische Luft komme und meine Familie sehe. Die letzten vier Monate gingen mir schon an die Substanz, also für mich erst mal keine Fortsetzung. Vielleicht wenn ein bisschen Zeit vergangen ist und ich absehen kann, ob sich der ganze Aufwand ein wenig gelohnt hat.

Seite aus „Freaks“ (Edition Moderne)