No Future

Irgendwann in einer nicht näher bestimmten Zukunft ist die Erde mal wieder größtenteils hinüber. Die Städte liegen in Ruinen, das Klima spinnt und allerorts herrscht bei den Überlebenden Frust, Mangel, Armut und dementsprechend das Recht des Stärkeren. In dieser unwirtlichen Welt suchen Solal und dessen kleine Schwester Eva ihr Heil in Eden. Eden liegt hinter einer schier unbezwingbaren, gigantischen Mauer irgendwo im ausgetrockneten Mittelmeer und es heißt, dass niemand je von dort zurückkam. Ein gutes oder ein schlechtes Omen? Doch Eva braucht dringend Medizin, die es in den Ruinen und in der Wüstenei nicht mehr gibt, weshalb das Ziel der beiden alternativlos ist. Eher unfreiwillig schließen sich die Geschwister der Gruppe von B.A.S.T.A.R.D. an – einem gewissenlosen Raubein -, und gemeinsam versucht man, die Mauer zu überwinden, was die Gegenseite wie immer mit massivem Aufwand zu verhindern versucht…

Mario Alberti: Die Mauer Band 1″.
Aus dem Französischen von Tanja Krämling. Splitter Verlag, Bielefeld 2021. 64 Seiten. 16 Euro

Nach „Morgana“ (2006 bei Carlsen) und „Redhand“ (2008 bei Cross Cult) und einem Ausflug in die US-Comics zu Marvel legt der Italiener Mario Alberti mit „Die Mauer“ nun seine neue Serie vor. Die postapokalyptische Dystopie vereint – zumindest im Auftaktband – diverse bekannte Genre-Motive: Die Suche nach dem unerreichbaren „gelobten Land“, wie wir es beispielsweise von „Waterworld“ oder „Elysium“ kennen. Eine Zivilisation in Trümmern, die den Namen nicht mehr verdient. Trostlose Landschaften, Ruinen und heruntergekommene und gleichsam futuristische Vehikel, die in „Mad Max“-Manier zu fahrenden Waffen umgestaltet wurden. Die riesige Mauer erinnert an die mächtige Eiswand in „Game of Thrones“. Und irgendwo am ehemaligen Mittelmeer verweist ein Schild auf Atlantropa, das irrwitzige Staudamm-Projekt eines deutschen Architekten. Dazu dann mehr in Band 2.

Unser Held Solal, der junge und talentierte Mechaniker, kümmert sich um seine Schwester und trotzt dabei allen Gefahren, anfangs eher passiv. Aus der Begegnung mit B.A.S.T.A.R.D. machen die beiden das Beste, Hauptsache der Weg führt weiter Richtung Eden, gegen alle Widerstände und Logiken. Als Nebencharaktere begegnen wir Chandra und Karl, deren Sohn gerade gestorben ist und die ebenfalls ihr Heil in Eden suchen wollen. Später konzentriert sich die Story ganz auf Solal – nicht ohne Grund. Und am Ende steht ein gelungener Twist, der die Story in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Mario Alberti gestaltet seine Serie nach einem Plot des französischen Film- und Videogame-Machers Antoine Charreyon, der, wie uns sein Vorwort verrät, bereits seit 2011 mit der Story schwanger geht. Anfangs als Film geplant, wurde jetzt ein Comic daraus. Nicht die schlechteste Lösung.

Alberti und Charreyon haben auch aktuelle Bezüge eingebaut: Migranten, die sich vom sprichwörtlichen Garten Eden ein besseres Leben erhoffen und die dort alles andere als willkommen sind. Und die Mauer, wie sie ein mittlerweile gottlob Ex-Präsident bauen wollte. Mario Alberti stellt seine gescheiterte und geschundene Welt sehr eindringlich dar. Seine Panels sind voller Schutt, Ruinen und Dreck. Zerstörte Gebäude, verbogenes Metall oder geborstener Beton, keine Spur von Grün. Alles trostlos und finster. Der Grund des ehemaligen Mittelmeers ist voller Schiffswracks. Gekippte Bohrinseln dienen als Unterschlupf. Die Kämpfe sind in furiosen Action-Sequenzen inszeniert – manchmal ist ein zweiter Blick vonnöten, um das Geschehen zu überblicken. Und die Story verspricht – vor allem durch die überraschende Wendung am Schluss – auch in Band 2 einiges an Spannung und neuen Impulsen.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „Die Mauer Band 1“ (Splitter Verlag)