Lockdown-Metapher

Trostloser kann man Provinz kaum zeichnen: Die Landschaft besteht aus endlosen Feldern, die so reizlos sind, dass sich selbst heimische Rettungswagenfahrer in dieser Einöde verfahren. So zeichnet Anna Haifisch die Eingangssequenz zum Comic „Residenz Fahrenbühl“, der eigentlich in einer Künstlerresidenz in Ohio entstehen sollte. Doch dann kam Corona und Anna Haifisch hat den Comic in ihrem Leipziger Atelier gezeichnet – und er wirkt so deutsch wie kein Comic von ihr zuvor.

„Ich wollte das Entlegene, Ländliche darstellen, und da fehlen mir vielleicht die Bezüge, das jetzt in die USA zu verlegen aus dem Kopf heraus“, erzählt Haifisch. Deshalb habe sie Fahrenbühl erfunden: „Das konnte ich ganz gut abrufen – dieses Ländliche, Mitteldeutschland, so ein flaches Gebiet – wie man das zeichnet.“

Anna Haifisch: „Residenz Fahrenbühl“.
Spector Books, Leipzig 2021. 150 Seiten. 14 Euro

Anna Haifisch persifliert in ihren Comics vor allem den Kunstbetrieb, meist aus der Sicht der gebeutelten Künstlerseele. Die Figuren zeichnet sie grundsätzlich als Tiere. Das ist auch in dem aktuellen Comic so: Es geht um zwei Mäuse in einer abgelegenen Künstlerresidenz, die nebeneinander arbeiten, sich austauschen, die Angst vor kreativen Blockaden vor der anderen geheim halten und sich mächtig auf die Nerven gehen. „Das ist ein Abbild auch von Beziehungen, die mehr oder minder versehentlich auch recht eng werden durch die ganze Lockdown-Geschichte“, so Haifisch. „Dass das nicht immer gut ausgeht, das wissen wir ja mittlerweile.“

Die reizlose Provinz als Metapher für den Lockdown. Anna Haifisch zeichnet ihre „Residenz Fahrenbühl“ mit krakeligem lila Strich. Das wirkt wie ein Tagebuch, das flüchtig mit einem Kugelschreiber aufgezeichnet wurde. Und sie inszeniert die Geschichte als Thriller. Denn eine der Mäuse findet die Zweisamkeit so gut, dass sie den Kontakt zur Außenwelt sabotiert. Die Internetverbindung wird gekappt, der Postkasten umgeworfen – und dass der Krankenwagen vom Beginn des Comics in die Irre fährt, hat auch die Maus eingefädelt. Das erfahren die Leserinnen und Leser aber erst am Schluss, wenn es um Leben und Tod geht.

Der Comic erscheint in der Volte-Reihe im Leipziger Spector-Verlag. Auf dem Cover der Reihe ist lediglich ein Foto zu sehen. Für „Residenz Fahrenbühl“ ist es eine Mausefalle – „wirklich eines der passendsten Motive zu dem ganzen Buch“, findet die Künstlerin. Wirklich gut wird die Geschichte aber, weil sie nicht eindeutig ist: Die Provinz ist nicht nur eine Mausefalle, sondern bietet auch Chancen. Unbeobachtet vom gnadenlosen Kunstbetrieb können die beiden Mäuse ausgelassen sein. Es gibt kreative Momente. Und dann kippt die Stimmung.

Grundsätzlich seien Künstlerresidenzen eigentlich ganz paradiesische Orte, findet Haifisch: „Das sind die letzten Orte, die Wohlstand, Freiheit und Sicherheit bieten. Und dass dann die eine Maus sozusagen im Buch das ein bisschen missversteht und durchdreht aus verschiedenen Gründen, und das so sabotiert, das habe ich dazu erfunden, aber soll natürlich nicht die Künstlerresidenz an sich sabotieren. Aber es muss natürlich was passieren, in so einer Geschichte.“

Dieser Beitrag erschien zuerst am 02.04.2021 auf: MDR Kultur

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.