Was sind die Existenzängste eines gestressten hypothetischen Elementarteilchens? Was die Alpträume eines Lepidopterologen, vulgo Schmetterlingsforschers? Und was geht eigentlich in einer unentdeckten Spezies vor? Der Schotte Tom Gauld, einer der bekanntesten Karikaturisten Großbritanniens, hat herrlich verquere Antworten darauf.
In „Abteilung für irre Theorien“ versammelt er 150 Cartoons, die ursprünglich im „New Scientist Magazine“ erschienen sind. In den mal minimalistisch-abstrahierten, dann wieder detailliertest gezeichneten Bildgeschichten nimmt er ungeahnte Perspektiven ein, die sowohl den Wissenschaftsbetrieb an sich als auch die Klischees darüber ordentlich aufs Korn nehmen.
Da dürfen reihenweise Witze über gescheiterte Experimente zwischen komplexen Steam-Punk-Maschinen und irregeleiteten Robotern nicht fehlten. Aber so richtig in Höchstform läuft Gauld auf, wenn er in Picto- und Diagrammen, in Rätseln und kurzen Bildabfolgen kleine und große Momente der Forschung skizziert, sich die Verheißungen der Zukunft ausmalt – und dabei auch vor schrägem Nonsense nicht haltmacht.Da werden „heilige Reliquien verehrter Wissenschaftler“ präsentiert – darunter die Kerne von Newtons Apfel –, oder die Feindschaft zwischen einem Komet und einem Asteroid thematisiert. Wir lernen den Turing Test 4.0 und die „Guter-Teilchenphysiker/Böser-Teilchenphysiker-Methode“ kennen und erfahren, was passiert, wenn eine Statistikerin und ein Statistiker auf das Knusperhäuschen einer bösen Hexe treffen. Der wissenschaftliche Erotik-Buchclub brilliert mit „Fifty Shades of Graphene“ und „Die 120 Tage von Sodium“.
Bei allem Klamauk lässt Tom Gauld aber auch die realen Verhältnisse nicht außer acht: Das nicht immer leichte Verhältnis zum Wissenschaftsjournalismus und die Mühen von Peer Review kriegen ihren Platz im Witzekabinett ebenso wie Nobelpreis- und andere Erfolgshoffnungen, die meist eng verzahnt sind mit dem schlichten Scheitern.
Oder, wie es im Cartoon „Feedback“ heißt: „Die Prämisse ihrer Arbeit ist mangelhaft, die Daten sind fragwürdig, die Schlussfolgerungen gefährlich. Positiv ist hingegen anzumerken, dass das ganze so hermetisch formuliert ist, dass es nie jemand verstehen wird.“
Diese Kritik erschien zuerst am 18.10.2020 auf dem Standard-Comicblog Pictotop.
Karin Krichmayr arbeitet als Wissenschaftsredakteurin für Der Standard. Außerdem betreibt sie für die österreichische Tageszeitung den Comicblog Pictotop.