„Alles ist besser im Bermudadreieck“

Lust auf was Schräges, ja so richtig Skurriles? Dann willkommen auf Spy Island. Diese überschaubare Insel irgendwo am Rande des Bermudadreiecks ist ein Tummelplatz für schrille Agenten und Spione jeglicher Couleur. Und: Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Von den unterseeischen Ruinen von Atlantis und außerirdischen Artefakten bis hin zu bissigen Meerjungfrauen, Riesenkraken und seltsamen Sandflöhen. Aber der Reihe nach: Nora Freud ist Spionin. Natürlich. Gerade hat sie erfolgreich einen Konkurrenten „gewässert“. Außerdem ist sie Harry Fauntleroy zugetan – zumindest scheint es so -, der für den britischen MI-6 arbeitet. Eines Tages kommt mit dem Schiff, das immer montags anlegt und die einzige Verbindung zur Außenwelt darstellt (Telefon und Internet gibt es hier nicht), Noras Schwester Connie auf die Insel. Die ist Meereskryptozoologin und soll ungewöhnliche Meerjungfrauenaktivitäten erkunden. Doch wie bei Spionen üblich, ist hier nichts so wie es scheint…

Bild aus „Spy Island“ (Splitter Verlag)

Um den Band, der alle vier Teile der Dark-Horse-Miniserie umfasst, genießen zu können, braucht es einen gewissen Humor und ein Faible für das Groteske. Denn Autorin Chelsea Cain, die bereits diverse Kriminalromane schrieb, vermischt hier so ziemlich alles, was man üblicherweise nicht vermischen kann, freilich ohne groß Begründungen zu liefern, erst recht nicht logische. Warum sich die Agenten auf der Insel tummeln? Keine Ahnung. Auch ist deren Outfit bisweilen mindestens kurios. Beispielsweise gibt es einen Pantomimen im Marcel-Marceau-Dress; ein weiterer Spion trägt ständig Maske und Harry tritt mit Union Jack Unterhose auf – manchmal auch ohne. Der Kern der Story bleibt eine ganze Weile unklar, man ist beim Lesen sowieso ständig abgelenkt, weil überall Gags lauern. Dennoch bildet sich später eine Handlung heraus, die einige Fäden zusammenzieht, freilich ohne sich allzu ernst zu nehmen.

So ist der Band sicher nicht für jedes Spaßgemüt geeignet und vermag durchaus Unverständnis hervorrufen. Style over Substance? Fest steht jedenfalls: Der Band ist aus einem Guss und bildet trotz der ganzen Wildheit eine visuelle und inhaltliche Einheit. Denn immer wieder werden die Comicseiten durch fiktive Prospekte, Hinweis- und Warnschilder, Werbung und Publikationen unterbrochen, die konsequent in das gleiche spaßig-schräge Horn blasen wie die Story. Mit grobkörnigen, altmodischen Fotos gespickt, werden hier u. a. die Vorzüge der Insel beworben, immer mit einem ironischen Unterton („Alles ist besser im Bermudadreieck“). Was konsequent bis zum Schluss durchgehalten wird – selbst die Lobeshymnen auf dem Backcover sind fake. Auch die Comicseiten und Farben von Elise McCall, Lia Miternique und Rachelle Rosenberg kommen schrill und bunt daher, samt origineller Perspektiven und Stilmittel. Und die Cover der einzelnen Hefte sind mal wirklich stylish. Keine Ahnung, was sich die Damenriege beim Machen des Comics eingeworfen hat. Aber es hat sich gelohnt.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Chelsea Cain (Autorin), Elise McCall (Zeichnerin): „Spy Island“. Splitter Verlag, Bielefeld 2021. 144 Seiten. 22 Euro