Fast Forward – Rewind – Play – „Reset“

Italien versinkt allmählich im Meer, in China bricht ein Grippevirus aus und die USA befinden sich im offenen Bürgerkrieg. Was wie die Kurzfassung einer Tagesschau von vor zwei Monaten klingt, ist die Zukunft des Jahres 2084 in dem ersten Band von Fred Duvals und Emems Trilogie „Reset“, deren erster Band nun bei Splitter erschienen ist.

Auf einem fernen Planeten, der ebenso unaussprechlich ist wie die Namen seiner Bewohner*innen, entscheidet die politische Elite, dass auf der Erde allmählich Schluss sein muss mit dem ökologischen Raubbau, dem politischen Kindergarten, dem militärischen Säbelrasseln. Sie statten der Erde also einen Besuch ab, noch nicht ganz einig, ob sie lieber die Erde oder deren Bewohner*innen retten wollen. Eventuell geht ja auch beides, und wenn nicht, sind die Aliens so überlegen, dass menschlicher Widerstand kein großes Problem zu werden droht. So oder so versprechen sie, mit ihnen werde ein „Reset“ kommen. Während uns die ökologiebewussten Aliens, allen voran das Ehepaar Swänn und Sätie, mit ihren Sitten und Gebräuchen ausführlich nähergebracht werden, erfahren wir über die menschlichen Hauptfiguren, die texanische Liz und Helen aus Paris, viel weniger.

Fred Duval (Autor), Emem (Zeichner): „Reset 1 – Die Entwurzelten“.
Aus dem Französischen von Tanja Krämling. Splitter Verlag, Bielefeld 2020. 64 Seiten. 16 Euro

In Texas wie Paris treffen die Invasoren erwartungsgemäß auf menschlichen Widerstand, zumal die Intentionen der Fremden für die Erdlinge nicht leicht zu durchschauen sind. Wie genau die außerirdische „Rettungsmission“ aussehen soll, wird im ersten Band auch dem Leser bzw. der Leserin noch nicht verraten. Ebenso unklar bleibt, was es mit einem mysteriösen Virus auf sich hat, der auf der Erde grassiert und die Aliens sehr hellhörig macht. Liz macht sich auf den Weg, um ihre Familie zu suchen, als Duval den Band mit einem Cliffhanger enden lässt.

Der Comic führt bildhaft vor Augen, dass ein weltweites Hochwasser zuerst die Kleinodien der Baukunst zu verschlucken droht und nur die „Perlen“ der gigantomanischen Großstadtarchitektur dem postapokalyptischen Stadtbild erhalten bleiben: Es werden 15-stöckige Wohnknäste und noch größere Finanztürme, in denen sich der Himmel spiegelt, während drinnen die Hölle tobt, die Postkartenmotive der lebensunwerten Zukunft prägen. Wenn es noch Postkarten gäbe, denn die Welt von „Reset“ sieht nicht mehr so aus, als stünde den Menschen der Sinn nach Tourismus.

Die auf drei Alben angelegte Serie, im französischen Original unter dem Titel „Renaissance“, erscheint seit 2018 bei Dargaud. Der zweite Band erschien zwölf Monate nach dem Auftaktband, und der Abschluss steht bis heute noch aus. Splitter plant die Fortsetzung für August 2020. Während Duvals „Wonderball“-Serie mich tatsächlich gepackt hatte, konnte ich für seine „Tag-X“-Reihe weitaus weniger Sympathie aufbringen. Die aktuelle Mischung aus einem extraterrestrischen Fantasy-Setting und einer Ökodystopie mit SF-Invasions-Plot klingt zwar unglaublich wild, funktioniert so weit aber sehr gut und steht in einer langen Tradition von Ecological Science Fiction in Literatur, Film und Comic.

Die Zeichnungen und Kolorierung von Emem (d. i. Mathieu Ménage) machen insbesondere im Falle der außerirdischen Szenen durchaus Eindruck. Diese Zusammenarbeit ist kein Pilotprojekt, sondern das Ergebnis einer künstlerischen Koproduktion über Jahre hinweg, so etwa ab 2009 an der Science-Fiction-Serie „Carmen McCallum“.

Duval hat den ersten Band weitgehend für die Exposition der Figuren vorgesehen, ihre Motivationen, ihre grundsätzlichen Werte. Das ist zunächst einmal eine gute Grundlage für eine Story, die mehr zu bieten hat als ein Gegeneinander von modernitätsverliebtem Naturraubbau auf der Erde und Heimat- wie Naturverbundenheit als Ideal der außerirdischen Gesellschaft. Das nämlich wäre in seiner Schlichtheit fast schon gruselig, aber warten wir ab. Im August folgt die Fortsetzung.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Seite aus „Reset, Band 1“ (Splitter Verlag)