Mann unter Rechtfertigungsdruck

© Universal Pictures International Germany GmbH

Was tun, wenn man das Ende eines Helden erzählen muss, dessen selling point darin besteht, dass er sich aus garantiert jeder misslichen Situation hinaus lavieren kann? Der aus hermetisch abgeriegelten Räumen einen Ausgang findet, jeden Verfolger abhängt und sich durch einen beherzten Sprung von der Brücke nicht in den sicher geglaubten Tod, sondern nur ins nächste Abenteuer stürzt? Es bleibt doch kaum eine andere Möglichkeit, als ihn von innen heraus an sich selbst scheitern zu lassen. Noch vor dem Intro von „Keine Zeit zu sterben“, seinem fünften und letzten Bond-Film, den Daniel Craig eigentlich schon gar nicht mehr drehen wollte, gibt es eine Szene, in der er seine Geliebte Madeleine Swann (Léa Seydoux) nach einem Vertrauensbruch in einen Zug setzt. Der fährt an und sie beginnt im sich beschleunigenden Waggon gegen die Fahrtrichtung zu rennen, sodass Bond, den sie von Tränenschleiern und einem wehen Herzen verschwommen durchs Fenster hinaus anfleht, auf der Stelle zu stehen scheint, während die Welt um ihn davonfliegt.

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Kurz zuvor hatte Bond gemeinsam mit Madeleine in seinem Aston Martin gesessen, eingekreist von schwer bewaffneten Verfolgern und mit nur wenigen Millimetern Panzerglas zwischen sich und den Kugeln ihrer Maschinenpistolen. Auch da hatte Bond einfach ausgeharrt. Alles andere als in sich ruhend, eher: es darauf ankommen lassend. Erst im letzten Moment entscheidet er sich um und feuert zurück, ein Verhaltensmuster, das in „Keine Zeit zu sterben“ zur Gewohnheit wird. Fünf Jahre später vertreibt sich Bond im Ruhestand die Zeit auf Jamaica mit Fische fangen, als sein alter CIA-Kumpel Felix Leiter (Jeffrey Wright) auftaucht und versucht, ihn für einen letzten Job zurückzuholen. Aber breitschlagen lässt er sich erst aus Trotz, als der neue M (Ralph Fiennes) ihm klarmacht, dass er sich gefälligst rauszuhalten hat. Die Nummer 007 ist längst an die neue Agentin Nomi (Lashana Lynch) vergeben. Und so ist Bond plötzlich ein Mann unter Rechtfertigungsdruck, der beim MI6 ein Besucherschildchen um den Hals gehangen bekommt, hin- und hergerissen zwischen altem Reckenstolz und offensichtlicher Müdigkeit.

„Wir haben alle Zeit der Welt.“ Was Louis Armstrong nicht nur als Echo aus der Vergangenheit im Abspann singt, sondern Bond auch in einem seiner wenigen glücklichen Momente mehr zu sich selbst als zu Madeleine sagt, ist ein leeres Mantra, glatter Selbstbetrug. In den ersten Minuten des Films sah die Welt für kurze Zeit rosig aus: Das glückliche Paar in der süditalienischen Welterbestadt Matera, Streicher, Sonnenuntergänge und Großaufnahmen, die in ihrer ausgestellten Autowerbungsästhetik beinahe unangenehm aufdringlich wirkten. Aber ausgehend von diesem grenzkitschigen Auftakt entpuppt sich „Keine Zeit zu sterben“ als eine kontinuierliche Bewegung hinein ins Abstrakte. „Früher haben wir noch mit dem Feind im selben Raum gesessen und ihm in die Augen geschaut“, sinniert M an einer Stelle. Diesmal ist der eigentliche Feind unsichtbar. Nicht Blofeld (Christoph Waltz), der in einer großartigen Szene im Hochsicherheitstrakt auf Bond trifft: zwei sichtlich ramponierte Typen. Auch nicht wirklich Lyutsifer Safin (Rami Malek), der mit vernarbtem Gesicht und seinen Weltzerstörungsfantasien letztlich dem Bösen nur den nötigen Schub gibt: Eine unglücklicherweise aus Geheimlaboren des MI6 stammende Technologie, die mithilfe von Nanobots, die auf eine spezifische DNA angesetzt werden können, Großbritannien ein effizientes Mordinstrument ohne Kollateralschäden bescheren soll, in den falschen Händen jedoch zur hochinfektiösen Massenvernichtungswaffe wird.

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Hätte die Arbeit am Drehbuch nicht schon 2018 begonnen, wäre es einfach, „Keine Zeit zu sterben“ als Kommentar zur Pandemie zu lesen: Eine Waffe, die wie ein Virus unsichtbar und tödlich von Mensch zu Mensch übertragen wird; Weltkarten, auf denen wie zu Beginn der Krise rot aufblühende Cluster potentielle Ausbruchszentren anzeigen; gegen Ende bekommen Bond und Nomi einen Stoff gespritzt, der die körpereigenen Widerstandskräfte erhöht und rund um die Uhr alle Vitalwerte überwacht. Aber der Film ist in seiner gewaltigen, fast dreistündigen Laufzeit ein viel zu widerständiges, dichtes und zugleich lückenhaftes Konvolut, als dass er eins zu eins als Parabel taugte. Irgendwann taucht ein Mädchen auf, die kleine Mathilde, möglicherweise Bonds Tochter, aber nichts genaues weiß man nicht. Da wird das frühkindliche Trauma der Gewalterfahrung, an dem sich mindestens zwei der Protagonisten hier abarbeiten, verlässlich an die nächste Generation vererbt. Mathilde fühlt man sich lange Zeit sogar am nächsten, wenn sie, ihren Stoffhasen an sich geklammert, auf dem Rücksitz eines verfolgten, beschossenen Jeeps kauert und nicht weiß wie ihr geschieht. Das weiß man in den Actionszenen generell häufig nicht. Immer wieder tarnt sich Bond durch Nebelschwaden, durch Rauch, durch aufspritzendes Wasser, als wollte er sich auch dem Blick seines Publikums am liebsten frühzeitig entziehen.

Und so endet diese Odyssee, die in Italien begonnen hatte und mit einem kleinen Abstecher nach Kuba (in einer Nebenrolle mit umwerfender Kampfchoreografie stiehlt Ana de Armas dort Craig beinahe die Show) kurz die alten Frontlinien des Kalten Krieges aufleuchten lässt, auf einer kargen Insel inmitten umstrittener Gewässer zwischen Russland und Japan, wo Safin aus einer Geheimbasis aus dem Zweiten Weltkrieg heraus am globalen Kollaps arbeitet. Von den steinernen Höhlen im Heiligen Land des Genres geht es zu den brutalistischen Betonstrukturen des modernen Blockbusterkinos à la Denis Villeneuve. Sein Einsatz sorge inzwischen für internationale Aufmerksamkeit, hört Bond dort über seinen Knopf im Ohr, aber da ist er längst von der Leine gelassen, ein trauriger Mann mehr im Bunker. Wenn man sich jetzt mit Diplomatie aufhalte statt zu handeln, gäbe es bald nichts mehr, worüber man noch diskutieren könne, bügelt er Ms Einwände ab und klingt dabei kurz wie ein Fridays-for-Future-Aktivist. Die Ära Daniel Craig endet mit einem Überschuss an male melodrama, mit einem Bond, der die Welt nicht mehr durch Muskeln, Gadgets und coole Sprüche verändert, sondern vor allem durch seine Tränen.

Diese Kritik erschien zuerst am 30.09.2021 auf: perlentaucher.de

James Bond 007 – Keine Zeit zu sterben
OT: No Time To Die
USA/Großbritannien 2020

R: Cary Joji Fukunaga – B: Neal Purvis, Robert Wade, Cary Joji Fukunaga, Phoebe Waller-Bridge – P: Barbara Broccoli, Michael G. Wilson – K: Linus Sandgren – Sch: Tom Cross, Elliot Graham – M: Hans Zimmer – V: Universal Pictures – L: 163 Min – FSK: ab 12 – D: Daniel Craig, Naomie Harris, Jeffrey Wright, Rami Malek, Léa Seydoux, Christoph Waltz, Ralph Fiennes, Rory Kinnear, Ana de Armas – Filmstart (D): 30.09.2021

Katrin Doerksen, Jahrgang 1991, hat Filmwissenschaft nebst Ethnologie und Afrikastudien in Mainz und Berlin studiert. Neben redaktioneller Arbeit für Deutschlandfunk Kultur und Kino-Zeit.de schreibt sie über Comics, aber auch über Film, Fotografie und Kriminalliteratur. Texte erscheinen unter anderem im Perlentaucher, im Tagesspiegel oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie lebt in Berlin.