Der Berliner Zeichner und Reprodukt-Urgestein Markus „Mawil“ Witzel („Kinderland“, „Lucky Luke sattelt um“) zelebriert sein 30-jähriges Jubiläum als Comickünstler (datiert zurück auf den ersten fotokopierten Mawil-Comic, der anno 1991 in seiner Kirchengemeinde die Runde machte). Mawil hat sich zu einem der profiliertesten Comicschaffenden Deutschlands hochgezeichnet und wurde zuletzt mit dem renommierten Wilhelm-Busch-Preis für satirische und humoristische Zeichenkunst und Versdichtung geehrt.
Dies ist vom 6. bis 28. November 2021 Anlass einer großen Mawil-Werkschau in der Berliner Galerie Neurotitan (in der, munkelt man, auch das besagte 1991-Pionierswerk zu sehen sein wird). Die Ausstellung zeigt Originalzeichnungen, Objekte, Skizzen, Veröffentlichtes und Verworfenes, Erinnerungsstücke und andere Arbeiten aus drei Jahrzehnten seines Schaffens. Dort werden auch Originalseiten aus Mawils niegelnagelneuen Kinderbüchern zu sehen sein, die dieser Tage in Auslieferung gehen: „Mauer, Leiter, Bauarbeiter“ und „Power-Prinzessinnen-Patrouille“. Wir präsentieren das folgende Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung des Reprodukt Verlags.
Lieber Mawil, dein letztes Buch war eine kleine Sensation: Als erster deutscher Comiczeichner durftest du den einsamen Cowboy Lucky Luke zeichnen. Diesen Sommer ist der Comic sogar auf Französisch erschienen und steht damit in einer Reihe von Größen wie Goscinny, Morris, Achdé und anderen. Wie war das für dich, an so einem Ausnahmeprojekt zu arbeiten?
Ja, „Lucky Luke sattelt um“ war auf jeden Fall was Besonderes, da hatte ich erst mal gehörigen Respekt als kleiner ehemaliger Fanboy. Das Buch ist ja inzwischen bereits in Dänemark, Schweden, Norwegen, Italien, Portugal und den Niederlanden erschienen, aber wegen Corona sind dort alle Ausstellungen, Release-Events und Comicfestivals ausgefallen. Jetzt geht der Rummel endlich wieder los, und über Frankreich freue ich mich natürlich ganz besonders, aber es gibt noch viele andere Comics, die jetzt auch endlich wieder live präsentiert werden wollen, und da ist man dann in Frankreich nur einer von vielen. Aber ich komme gerade von einem sehr netten Festival in Amadora (Lissabon) zurück und hatte dort gut zu signieren.
„Lucky Luke sattelt um“, „Kinderland“: Deine letzten Comics richteten sich an ein All-Ages- oder jugendliches Publikum, mit „Power-Prinzessinnen-Patrouille“ und „Mauer, Leiter, Bauarbeiter“ hast du nun deine ersten richtigen Kindercomics vorgelegt. Wie kam es zu diesen Projekten?
Natürlich waren das die eigenen Kinder und die vielen Bücher, die seitdem bei uns rumliegen. Und dann kostet so ein kleines Buch mit ein paar Doppelseiten-Illus genauso viel wie eine Graphic Novel. Wer will denn da noch 100 Seiten mit je 6, 7, 8 Panels vollmalen?
War das für dich eine Herausforderung, für ein sehr junges, relativ klar abgestecktes Publikum zu texten? Was sind für einen Erzähler die Vor- und was die Nachteile, wenn man für Kinder und nicht wie bei „Kinderland“ für eine breitere Leser*innenschaft erzählt?Ich muss gestehen, dass ich die Bücher in erster Linie für die armen übermüdeten Erwachsenen gemacht habe, die sich Abend für Abend durch „Bobo muss ins Bett“ quälen müssen (Gibt‘s das überhaupt?). Die sollen auch mal was zu lachen haben. Und dann gefällt‘s hoffentlich auch den Kleinen.
Erzähl uns doch ein bisschen über die beiden Bücher. Wenn man die Bauarbeiter und die Prinzessinnen im Buchhandel liegen sieht, wird einem wohl erst mal die Farbgebung auffallen: blau und pink. Die klassischen Gender-Farben sind hier aber nur eine große, verschmitzte Nebelkerze – das Jungs- und Mädchen-Schema wird hier gehörig auf den Kopf gestellt…
Die ursprüngliche größenwahnsinnige Idee war ja, das ultimative Kinderbuch zu machen und dort wirklich alle Kinderbuch-Themen und -Figuren reinzuprügeln, nur leider fehlte dazu die passende Geschichte. Aus irgendeinem Grund hab ich irgendwann angefangen, Bob dem Baumeister so einen Hipsterbart anzumalen und ihn in eine Liebesgeschichte zu stecken, und es hat einfach Spaß gemacht, und die Prinzessinnen sind dann als Gegenpart fast von selbst entstanden.
Mir ist natürlich klar, dass ich das ganze Gender-Thema damit nicht wirklich weiterbringe, indem ich einfach nur die Klischees mal umdrehe, aber ich bin sehr gespannt auf irritierte Amazon-Rezensionen, und mein Sohn mag schon mal die Prinzessinnen lieber als die Bauarbeiter – wegen der Drachen.
Du machst mit Kinderbüchern weiter, munkelt man… Kannst du uns verraten, auf welche coolen Kids-Bücher wir uns 2022 freuen können?
Während Corona fielen alle Lesungen, Workshops und Veranstaltungen weg, ich saß ungewohnt regelmäßig im Atelier und musste mich effektiv vor der nächsten großen Graphic Novel drücken. Dabei sind dann als Übersprungshandlung eine Handvoll Konzepte für Kinderbücher entstanden, die hoffentlich peu à peu die nächsten Jahre umgesetzt werden. Im Frühjahr kommt im selben Format wie die „Prinzessinnen“ und „Bauarbeiter“ ein Buch mit dem vielversprechenden Titel „Papa macht alles falsch“.
Dein Einstand als Kinderbuchautor ist aber nicht das Einzige, was dich gerade umtreibt: Ab dem 6. November wird in Berlin in der Galerie Neurotitan eine große Werkschau von dir gezeigt. Anlass ist der 30. Geburtstag deiner Comiczeichnerkarriere. 1991 also nahm alles seinen Anfang, richtig? Kannst du uns etwas über deine Pionierarbeit erzählen? Was war das für ein Comic? Und wird man ihn auch in der Ausstellung sehen?Bei den Pionieren hab ich nicht so viel gearbeitet, aber meine Eltern haben neben den üblichen Kinderzeichnungen auch ein kleines Heft aufgehoben, angeblich von 1984, namens „Der Roboter und der Engel“ (wahrscheinlich inspiriert durch katholische und zukunftsgewandte sozialistische Erziehung), und diese beiden erleben da erste kleine Abenteuer auf mehreren Seiten. Anfang der 90er hab ich Illus und Comics für diverse Ostberliner Schülerzeitungen und die katholische Kirchenjugend„szene“ gemacht, bis dann unser Jugendseelsorger Kaplan „Käptn“ Höhle auf die Idee kam, im Gemeindebüro auf dem neu angeschafften Westkopierer die ersten 35 Hefte meiner „Crowers“-Geschichten zu vervielfältigen. Die durfte ich dann im Freundeskreis verschenken/tauschen/verkaufen, und so fing im Prinzip alles an.
Wie war das als angehender Comiczeichner Ende der 1990er Jahre in Berlin? Kannst du dich an deine Anfangszeit erinnern? Gab es schon eine Szene, in die man sich wie ins gemachte Nest fallen lassen konnte, oder musstet ihr alles noch aufbauen?
Glücklicherweise bin ich in Berlin Mitte aufgewachsen, denn ich war immer eher der zurückhaltendere Chäracter und wurde meist von anderen Leuten angeschubst. So saß z. B. neben mir im Religionsuntererricht der Andreas „AHA“ Hartung, der erste andere Comiczeichner, den ich traf, der mich in seinem neu gegründeten Comicmagazin „Epidermophytie“ veröffentlichte und zu den ersten Comic- und Fanzinefestivals mitgenommen hat. Außerdem war bei uns um die Ecke die „Comicbibliothek Renate“, heute immer noch die einzige ihrer Art, in der ich alle Comics der Welt lesen und auch meine eigenen Hefte auslegen konnte. Damals gab‘s ja noch kein Internet, und es war ein Riesenereignis, wenn man mal jemanden getroffen hat, der jemanden kannte, der dein Heft auf irgendeinem WG-Klo entdeckt hatte. Später nach der Schule kam dann noch die Kunsthochschule Berlin dazu, eine neue Comicclique namens „Monogatari“ u. a. mit Jens Harder, Ulli Lust und Tim Dinter und vielen neuen Einflüssen, und dort in Semesterprojekten haben wir uns dann zum ersten Mal mit länger zusammenhängenden Geschichten beschäftigt.
In 30 Jahren sammeln sich bestimmt viele potenzielle Exponate an. Was wird in der Ausstellung zu sehen sein und war es schwierig, eine Auswahl zu treffen?
Ja, voll! Wir haben leider kein Geld für einen professionellen Kurator, und das Neurotitan ist groß, daher folge ich dem bewährten Ausstellungsprinzip „Masse statt Klasse“. Ich hab mich die letzten zwei Wochen durch Massen von Skizzen, Storyboards, Drucken, Unikaten, Jugendsünden und Frühwerken gewühlt, das ganze Atelier ist voll mit Papier, und ich kann einfach nichts wegschmeißen. Immer denkt man, vielleicht freut sich noch mal jemand drüber. Also falls jemand irgendwelche Seiten kaufen will, meldet euch schnell, bevor ich das ganze Zeug in einem spontanen Anfall verbrenne.
Und zum Schluss, was würdest du dem nächsten Mawil, der mit 14 Jahren seine ersten Comics in Umlauf bringen will, raten und mit auf den Weg geben?
Wahrscheinlich ist es heute um einiges einfacher, seine Sachen per Instagram in die Welt zu jagen, aber das wissen die 14-jährigen von heute sicher besser als ich.