Diese Kritik erschien zuerst 2004 auf: Jump Cut Magazin
„American Splendor“ ist ein Film über den Sozialtypus Nerd. Eine Rehabilitation des Nerds, die einem nicht vormacht, Nerds seien angenehme Menschen. Man erlebt sie besser aus der Distanz. „I am depressing“, sagt Harvey Pekar und man glaubt ihm aufs Wort. „I am a Nerd“, sagt Toby Radloff und ein Blick genügt. Man hört es auch mit geschlossenen Augen, denn in Wahrheit sagt er „I am a Niard“ und diese Abweichung fasst zusammen, was den Nerd ausmacht: Er ist unmöglich. Er weiß sich nicht zu benehmen. Er ist seltsam und das auf total uncoole Art. Ja, der Nerd ist das Gegenteil von cool, weil seine Abweichung nichts Heroisches hat. Die psychischen Mechanismen liegen offen zu Tage, und genau darin liegt der Grund, dass seine Sublimationen scheitern müssen, ohne allen Glanz, ja, noch die Selbsterkenntnis des Nerds ist eine traurige Sache, sie weckt Mitleid, im besten Fall. Am Scheitern des Nerds an sich und der Welt gibt es nichts zu bewundern. Der Nerd ist ein hoffnungsloser Fall, noch wenn er bei David Letterman auftaucht oder bei MTV: Missverständnisse, die sich schnell aufklären.

© Tiberius Film

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Man kann den Nerd nicht lieben, weil man in seinem Angesicht vor dem Nerd in sich, dem ganz und gar nicht liebenswerten Autisten, den keiner kennt außer dir selbst, erschrickt. Du verspottest den Nerd und meinst dich selbst. Umso bewundernswerter sind Filme wie „American Splendor“ oder „Crumb“ oder, mit Abstrichen, „Cinemania“, die es dir möglich machen, den Nerd in dir zu akzeptieren. Es liegt nicht weniger als die Utopie des Zwischenmenschlichen darin zu sehen, wie die Nerds Harvey Pekar und Toby Radloff und Joyce Brabner einander haben wie die Stachelschweine, die sich gegenseitig wärmen. „American Splendor“ macht es möglich, mehr als Mitleid zu empfinden für die Nerds, die du nicht lieben kannst. Eine Nähe, eine Wärme, eine Zärtlichkeit, die etwas beinahe Utopisches hat, weil sie auf alle Sentimentalitäten und Romantisierungen entschlossen verzichtet, verzichten muss.
American Splendor
USA 2003
Regie: Shari Springer Berman, Robert Pulcini – Buch: Shari Springer Berman, Robert Pulcini – Kamera: Terry Stacey – Musik: Mark Suozzo – Schnitt: Robert Pulcini – Darsteller: Paul Giamatti, Harvey Pekar, Hope Davis, Judah Friedlander, Chris Ambrose, Joey Krajcar – Länge: 101 Minuten – Kinostart: 28.10.2004 – DVD-Start: 29.06.2005 – Verleih: Meteor Film – Verleih (DVD): Sunfilm
Ekkehard Knörer, geboren 1971, in Würzburg, Austin (Texas) und Frankfurt (Oder) Deutsch, Englisch, Philosophie, Kulturwissenschaften studiert. Promoviert zur Theorie von Ingenium und Witz von Gracián bis Jean Paul. Von 1998 bis 2008 die Filmkritik-Website Jump Cut betrieben. Texte zu Film, Theater, Literatur für Perlentaucher, taz, Freitag, diverse andere Medien. Seit 2012 Redakteur, seit 2017 auch Mitherausgeber des Merkur. Ebenfalls Mitherausgeber des Filmmagazins Cargo.