Bücherliebe, Königspferde, Zombies hinterm Deich

Bild aus Miguel Robitzkys "Mein Leben unter Ludwig II." (Rowohlt)

„Die Liebe ist stärker als der Tod“ (Scherz & Schund, 96 Seiten, 20 Euro) lautet die aktuelle Cartoon-Sammlung von Oliver Ottitsch, und sie ist insofern bemerkenswert, als der in Wien lebende Künstler sein Repertoire nun auch um Comics erweitert hat. Ein Glücksfall, denn gerät der Zwang zur Pointe bei den Cartoons manchmal vorhersehbar brachial, verfällt Ottitsch in den Comic-Storys einer delirierenden Lust am Absurden. Mein Highlight: Die Geschichte „Viva la Vegetation!“, in der eine Eiche mithilfe eines Alchimisten Bewusstwerdung entwickelt und den Kampf gegen die herrschende Klasse antritt, zuvor aber ihrem Schöpfer zum Dank noch einen runterholt: „Dann putzte sich der Baum das Geäst im Gras und zog davon.“

Wer über Hannes Richerts Comics (bekannt aus TITANIC) nicht lacht, hat, oje, ein Humordefizit. Da hilft auch keine Fortbildung. Versammelt sind die jüngsten Ein- und Zweiseiter in seiner bereits zweiten Buchveröffentlichung „Die Party ist vorbei“ (Edition Moderne, 88 Seiten, 24 Euro). Einfach so oft lesen, bis der Groschen fällt. Am Ende gewinnt das Leben.

Miguel Robitzky arbeitet im Autor*innenteam von Jan Böhmermann, ist im Neo Magazin Royale auch gelegentlich als Darsteller zu sehen, hat Karikaturen in Neon und TITANIC veröffentlicht und 2021 seine erste Graphic Novel „Mein Leben unter Ludwig II.“ (Rowohlt, 292 Seiten, 28 Euro). Untertitel: „Memoiren eines Leibreitpferdes“. Der Blick auf einen Außenseiter der Geschichte also, jedenfalls im Vergleich zum Bayernkönig. Des Ludwigs liebstes Reitpferd hat es schließlich auf einige Gemälde geschafft und steht heute präpariert im Marstallmuseum in Nymphenburg. Robitzky erzählt etwas ausschweifend und stilistisch zitierfreudig ihre Buddy-Geschichte mit traurigem Ausgang.

Tom Gauld huldigt in seinen Comics der Wissenschaft, der US-amerikanische Kieferorthopäde und Zeichner Grant Snider wiederum hat sich recht artverwandt der Liebe zum Buch verschrieben. Davon steckt in „Dein Bücherregal verrät dich“ (Penguin, 128 Seiten, 16 Euro) jede Menge. Ein bisschen braver als bei Gauld, ältere Lehrer werden sich gewiss inkludiert fühlen, das mag auch am anachronistischen Sujet liegen. Eine Lanze für das schöne Buch zu brechen, wird die Zukunft zweifellos weniger verrohen.

Zombies, sie sind im Kaufhaus, in der Stadt, auf dem Land, in der Wüste, im Militärbunker, Weltall, Hochhaus, natürlich auf dem Friedhof, aber doch selten hinterm Deich. Der Weissblech Verlag schließt die Lücke und hat alle „Horrorschocker“-Storys mit regionaler Küstenanbindung in der schnickschnacklosen Anthologie „Zombies hinterm Deich“ (Weissblech Comics, 96 Seiten, 15,90 Euro) vereint.

Nimmt man das Gros der hiesigen Flut an Gesamtausgaben als Maßstab, könnte der Eindruck entstehen, Comicgeschichte erschöpfe sich in einstmaligen „Zack“- und „Schwermetall“-Veröffentlichungen, also frankobelgischem Material der 60er bis 90er. Und so obliegt es dem auf Popkultur, aber keinesfalls auf Comics spezialisierten Hannibal Verlag, Alex Raymonds US-amerikanischen Zeitungscomic „Flash Gordon“ ins Deutsche zu übertragen. Aus diesem Klumpen Lehm hat George Lucas seine „Star Wars“-Mythologie geformt. Mittlerweile ist still und leise der dritte und vorletzte Band (Hannibal, 208 Seiten, 35 Euro) dieser mustergültigen Edition erschienen. Solch gewissenhafte Pflege des besonders alten Comicerbes kennt man sonst nur vom Bocola Verlag, wo Alex Raymonds zweiter Klassiker „Rip Kirby“ mittlerweile komplett vorliegt.

Skizzenbücher haben einen schweren Stand, darum hat der Designer, Zeichner und Medienkünstler Jens Maria Weber sein neuestes kurzerhand im Selbstverlag herausgebracht. Man kennt seine Arbeit bspw. aus Kai Meyers „Krone der Sterne“-Romanen, die von Webers filigranen Zeichnungen eröffnet werden. „Skizzenbuch Z“ (220 Seiten, 24,90 Euro) schwelgt in Illustrationskunst der Phantastik. Es sind Stimmungsbilder des Abgründigen, begleitet von kurzen Essays, die dieses Denken in Zeichnungen thematisch ergänzen. Monster, die in stillgelegten Eisenbahntunneln lauern, und sich im Schatten der Ruhrpottlaternen versteckende Riesenkäfer raunen dir zu, beim Durchblättern unbedingt Bohren & der Club of Gore aufzulegen.

Comiczeichner Andre Lux und Autor Johannes Floehr stellten die Frage: „Was war dein beschissenster Bühnenauftritt?“. Ihr Buch „Abendkasse. Eure schlimmsten Bühnenstorys“ (Lektora, 252 Seiten, 19,80 Euro) archiviert über 200 Anekdoten, zu denen auch Comickünstler*innen (Sarah Burrini, Hauck & Bauer, Krieg & Freitag, Miriam Wurster, Ralph Ruthe) beigetragen haben. Manche der Geschichten sind so erschreckend (gut), dass man sie nie mehr vergessen wird. Wie muss es da erst den Beteiligten ergehen? Der gesamte Erlös geht an #handforahand, eine Initiative für freiberufliche Bühnenarbeiter*innen, Licht- und Tontechniker*innen, Stage Hands und Veranstaltungshelfenden.

Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.