Pop als Befreiungsschlag

Popkultur und vor allem Musiker waren schon immer ein besonderes Interesse von Reinhard Kleist. Immer wieder hat er deren Songs in seine Comics eingebaut – so auch hier. Etwa David Bowies ersten Hit „Major Tom“. Zu Beginn sieht man Bowie in einem Konzert, als er den Song vorstellt. Der Saal ist klein, eher leer, und David Bowie sieht mit seinem Hemd und Ringelpulli so gar nicht aus wie der Star, der er einmal werden wird. Diese Konzertszene hat Reinhard Kleist in Brauntönen gezeichnet.

Sobald die ersten Takte gesungen sind, geht der Zauber los: Aus dem Gitarrenhals startet eine Rakete, dann schwebt ein Astronaut in den blauen Weiten des Weltalls. Das steht sinnbildlich für den Karrierestart von David Bowie. Und zugleich rekapituliert Reinhard Kleist zu diesen Bildern das Leben des Popstars: Da war der kleine Junge, der vorm Radio von der weiten Welt träumte. Der eigensinnige Musiker, dessen Kariere nicht gut lief. Und dann all das Potential, das in ihm steckte und mit „Major Tom“ zum ersten Mal für die Welt sichtbar wurde.

Reinhard Kleist: „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“.
Carlsen, Hamburg 2021. 176 Seiten. 25 Euro

Diese Art Songs zu inszenieren, ist typisch für Reinhard Kleist und einer er ersten Höhepunkte des Comics. Kleist erzählt den Aufstieg von Bowie als eine Geschichte von einem, der sich durchbeißt. Wir sehen, wie er Musik machen will. Wie er sich eine Band aus Gleichgesinnten sucht. Wie die kompromisslos das spielen, was sie gut finden und damit kaum Erfolg haben, auch weil die Musikproduzenten sich nicht vorstellen können, wie man so eine Musik vermarkten kann.

Das verschränkt Reinhard Kleist geschickt mit Rückblenden aus Bowies Kindheit, die zeigen, wie eng und lieblos sein Elternhaus war. Wie sehr sein Bruder ihm zum Vorbild wurde, der ihn mit zu Konzerten nahm und eine andere Welt eröffnete. Und wie er später Erfolg hatte, weil er eben doch konsequent das machte, was er für richtig hielt und die Kunstfigur Ziggy Stardust erschuf. Popmusik inszeniert Reinhard Kleist als Befreiungsschlag.

Reinhard Kleist nimmt sich in seinem Comic nicht nur den Starrummel vor, sondern hat auch recherchiert, wie sich sein Verhältnis zu seiner Familie entwickelt. Vor allem seinem Bruder Terry bleibt er verbunden, der an Schizophrenie erkrankt. Er ist nicht der einzige in der Familie, der psychisch krank wird. Reinhard Kleist arbeitet eine interessante Verbindung zwischen der Familiengeschichte und Bowies Selbstinszenierung heraus.

In Interviews hatte David Bowie über Ziggy Stardust geredet, wie über eine fremde Person, eine die ihm gefährlich werden würde, weil die Menschen nur noch Ziggy sehen und nicht mehr Bowie. Bowie sprach sogar davon, Ziggy deshalb umbringen zu müssen. Sind solche Aussagen ein ironisches Spiel mit seiner Inszenierung oder entwickelt seine Inszenierung ein Eigenleben, das an die psychische Krankheit seines Bruders erinnert?

Die unterschiedlichen Aspekte der Inszenierung von Ziggy Stardust, die David Bowie zum Weltstar gemacht haben, nimmt sich Reinhard Kleist immer wieder vor. Außerdem zeichnet er die Posen von David Bowie ungeheuer authentisch. Zum Beispiel wenn Bowie mit seinem Finger so direkt in die Kamera zeigt, dass man noch heute das Gefühl hat – der meint mich.

Reinhard Kleist entzündet in seinem Comic ein Farbfeuerwerk der Siebzigerjahre. Dafür hat er sich den in der Comicszene hochgeschätzten Thomas Gilke an die Seite geholt. Der ist ein Meister der Kolorierung und er lässt David Bowie in knallbuntem Glamour erstrahlen. Er feiert die Popkultur in der Ästhetik von billigen Pulp-Heften und dem Eskapismus von Bowies Outfits. So wird der Comic „Starman“ nicht nur zu einer vielschichtigen Auseinandersetzung um Identität und Vermarktung von David Bowie, sondern auch zu einem Denkmal für die Popkultur des 20. Jahrhunderts.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 08.12.2021 auf: kulturradio rbb

Hier gibt es ein Video-Interview mit Reinhard Kleist und Thomas Gilke.

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

Seite aus Reinhard Kleists „Starman“ (Carlsen)