Batman und kein Ende – „Der letzte Kreuzzug“ und „Joker/Harley“

Kein Superheld scheint sich derart für das DC-Imprint „Black Label“ anzubieten wie der von Haus aus düster-darke Knight aus Gotham City. Seit 2018 sind bislang 24 Black-Label-Titel veröffentlicht worden, und die meisten davon drehen sich um den Dunklen Ritter oder dessen schurkische Konkurrenz, so etwa „Damned“, „Der weiße Ritter“ oder „Der letzte Ritter auf Erden“. Mit Sean Murphy, Scott Snyder, Frank Miller, Jeff Lemire oder Brian Azzarello wurden schon einige der profiliertesten Superhelden-Autoren für das Imprint gewonnen. Bei Panini sind gerade Frank Millers, Brian Azzarellos und John Romita juniors „Batman – Der letzte Kreuzzug“ sowie „Joker/Harley – Psychogramm des Grauens“ (Bd. 1) von Kami Garcia, Mico Suayan und Mike Mayhew erschienen.

Der letzte Kreuzzug

Frank Miller Name ist unsterblich mit dem Dunklen Ritter verknüpft, seitdem er 1986 mit „The Dark Knight Returns“ jenen Batman-Meilenstein veröffentlichte, der das Superheldengenre veränderte. Dem gealterten, zynischen und gebrochenen Helden, durch dessen Konzeption Miller mit diversen Superhelden-Konventionen brach, verdanken wir die Atmosphäre der Tim-Burton- ebenso wie der Christopher-Nolan-Filme. „Der letzte Kreuzzug“ erzählt nun dessen Vorgeschichte.

Frank Miller, Brian Azzarello (Autoren), John Romita Jr. (Zeichner): „Batman – Der letzte Kreuzzug“.
Aus dem Englischen von Ralph Kruhm. Panini, Stuttgart 2020. 68 Seiten. 15 Euro

Batman und Robin nehmen den Joker – mal wieder – in Haft und lassen ihn in seine Wahlzwangsumgebung, das Arkham Asylum, einweisen. Wie ein triumphierender Fürst stolziert der Joker durch die überfüllte Anstalt und thront inmitten des tosenden Chaos mit der Gelassenheit eines Herrschers über Menschen und Dingen. Die Massenmedien, von deren Bildaufnahmen die Verhaftung begleitet worden ist, begegnen Batmans pädagogischem Konzept mit tiefer Skepsis, sie fürchten in Robin das „Kindeswohl“ gefährdet. Während für den Joker alles nach einem geheimen und perfiden Plan zu verlaufen scheint, machen Batman seine Kämpfe körperlich zu schaffen. Killer Croc kommentiert Batmans physischen Zustand (wenig wortgewandt): „Das war’s? Mann, Alter…“ Zudem quält Bruce Wayne die Ungewissheit, ob er die Entwicklung von Jason Todd alias Robin wirklich zu dessen Besten beeinflusst. Oder haben seine Kritiker vielleicht recht?

Ein TV-Werbespot der Organisation MGB (Mütter gegen Batman) stellt die Legitimität von Batmans Handeln, an Millers Original von 1986 erinnernd, vehement in Frage: „Wer keine Autorität hat, ist auch keine Autorität.“ Wer keine institutionelle Autorität innehat, dem stehe auch keine moralische Autorität zu. Während es Batman nicht einmal gelingt, seinen sich emanzipierenden Schützling Jason Todd in den Griff zu bekommen, tanzen alle Arkham-Asylum-Insassen nach des Jokers Pfeife. Sein „Erziehungsmodell“ dient noch weniger dem „Kindeswohl“, ist aber weitaus erfolgreicher: Die Insassen proben den Aufstand und verhelfen dem Joker zur Freiheit.

„Der letzte Kreuzzug“, in den USA bereits 2016 nach mehrfachen Verzögerungen erschienen, stellt die Vorgeschichte zu „The Dark Knight Returns“ dar: Was hat Batman zu seinem Rückzug ins Private bewogen, von dem er wiederum in „The Dark Knight Returns“ zurücktritt? Der schmale Band im großzügigen Albenformat (dem Dark Label sei Dank) endet mit dem sich ankündigenden Tod von Jason Todd, dem „Death in the Family“, der 1988 von Jim Starlin und Jim Aparo erzählt worden ist. Wir beobachten Jason Todd, der ein Gespräch zwischen Batman und Alfred belauscht und daraufhin beschließt, den Joker zu stellen. Diese Mission wird nun also sein „letzter Kreuzzug“ sein…

Frank Millers Batman-Publikationsgeschichte ist so prominent wie streitbar. Ich muss gestehen, dass meine Faszination für Millers legendären „The Dark Knight Returns“, den ich sehr oft gelesen habe, nur für das erste der vier Hefte reicht. Nach der Etablierung des Settings und einigen grandiosen Einzelseiten verliert sich der Comic in einer austauschbaren und mich nicht besonders fesselnden Action-Geschichte. Es überrascht mich immer wieder, wie stark das Gefälle zwischen den herrlichen Seiten der Exposition und den lahmen Kampfsequenzen der folgenden Hefte ist. Auch Millers spätere Versuche, mit mehreren Nachfolgebänden an seinen Batman-Erfolg anzuknüpfen, „The Dark Knight Strikes Again“ (2001), „The Master Race“ (2015-17) und „Golden Child“ (2019), scheiterten ziemlich kolossal: Mehr ist nicht immer besser.

Seite aus „Batman – Der letzte Kreuzzug“ (Panini)

Außerhalb von Millers DK-Reihe hat er mit „Year One“ (1987, mit David Mazzucchelli) und „All-Star Batman“ (2005-08, zusammen mit Jim Lee) zwei wesentlich lesbarere Batman-Geschichten vorgelegt. In „Year One“ führt er die Leser*innen in die Zeit der ersten Fälle Batmans und der zivilen Origin Story von Jim Gordon zurück. In „All-Star Batman“ reanimiert Miller den grimmigen Dark Knight seines Klassikers, übersteigert dessen düstere Seiten weiter und schildert das Kennenlernen dieses brutalen Batman mit dem schutzlosen Dick Grayson. Diese Darstellung eines Batman, dem man als Leser*in nur wenig Sympathie entgegenbringen kann, führte zu einer breiten (und, wie ich finde, nicht gut begründeten) Ablehnung des Comics seitens der Fans. An diese provokante Charakterisierung knüpft Miller mit „Der letzte Kreuzzug“ nahtlos an und grenzt sich davon wiederum ab: Dieser Batman ist reumütig.

Bei „The Master Race“ habe, nach Millers Aussage bei „The Beat“, vor allem Azzarello das Ruder in der Hand gehabt. Wie auch immer die kreative Arbeitsteilung bei „Der letzte Kreuzzug“ ausgesehen hat, es ist eine konzentrierte Geschichte dabei herausgekommen, der man nachsagen kann, sie präsentiere inhaltlich wenig Spektakuläres. Im Gegensatz zu den drei wirren und überladenen Fortsetzungen von „The Dark Knight Returns“ aber ist diese Reduktion in diesem Prequel sehr wohltuend.

Zeichner John Romita jr. lässt in so manchen der wunderschönen Panels, die sich von vielen anderen Batman-Visualisierungen abheben, immer mal wieder das Original von 1986 durchscheinen, und auch das Albumformat tut den Zeichnungen sehr gut. Indem Miller außerdem an „All-Star Batman“ anknüpft, indem er die Vater-Sohn-Konstellation lediglich umwidmet (von Dick Grayson auf Jason Todd), fügt „Der letzte Kreuzzug“ sich in das Miller-Universum gut ein.

Seite aus „Batman – Der letzte Kreuzzug“ (Panini)

In einer Sequenz, die den Joker im Arkham Asylum zeigt, wird der Kern der Erzählung fokussiert: Auf zwölf Panels sehen wir den Joker in Nahaufnahmen, wie er eine Geschichte erzählt, aber deren Pointe verweigert. Üblicherweise müssten die Leser*innen einen Witz erwarten, aber stattdessen erzählt der Joker die Geschichte eines Jungen, der unter einem gebrochenen Hals leidet und daher seinen Blick nicht auf etwas konzentrieren kann: „Nie ‘ne feste Perspektive. Niemals.“ Die Ärzte finden eine Lösung, indem sie seinen Hals fixieren. Was aus dem Patienten wird, erfahren wir nicht, der Joker, Frank Miller und Brian Azzarello lassen uns im Dunkeln.

Der Comic kreist um die Frage, ob Batman seinen Schützling im quasi-elterlichen Griff hat, während der Joker alle in seinem Umfeld nach seiner Pfeife tanzen lässt. Welche Macht steht wem eigentlich zu? „Wer keine Autorität hat, ist auch keine Autorität.“ Institutionelle Gewalt und moralische Integrität gehen aber im Batman-Kosmos fast nie miteinander einher. Miller schreibt Batman nun die Zweifel in seine Seele, die bei „All-Star Batman“ den Fans so sehr fehlten. Wem die DK-Comics I-IV zu überladen sind, wird mehr Freude an „Year One“ und „All-Star Batman“ finden. Und nun auch an „Der letzte Kreuzzug“.

Joker / Harley: Psychogramm des Grauens

Die amerikanische Roman- und Comic-Autorin Kami Garcia ist Spezialistin für All-Age-Erzählungen („Teen Titans“), aber dieser Titel geriet ihr bei der Recherche zu dark, und so wurde aus dem „Young-Adult-Fiction“-Projekt (YA) ein Black-Label-Titel, der in drei Bänden abgeschlossen werden soll. Der erste Band, die drei ersten amerikanischen Hefte („Criminal Sanity“ #1-3, Oktober 2019 bis Februar 2020) umfassend, ist im August auf Deutsch erschienen: „Joker / Harley: Psychogramm des Grauens“.

Harley Quinn arbeitet als Forensische Psychiaterin und Verhaltensanalytikerin in Gotham City, als sie mit einem Mordfall konfrontiert wird, den ihre älteren und weniger kompetenten Kollegen für einen belanglosen Gangmord halten. Weitere Morde folgen, und der Killer erweist seine Brutalität wie auch kunsthistorische Expertise, indem er die Opfer anhand von bekannten Motiven der Kulturgeschichte arrangiert: Leonardo Da Vincis „Der vitruvianische Mensch“, Salvador Dalis „Adel der Zeit“ sowie dessen „Venus mit Schubladen“.

Kami Garcia (Autorin), Mico Suayan, Mike Mayhew, JasonBadower (Zeichner): „Joker / Harley: Psychogramm des Grauens“. Band 1 (von 3).

Aus dem Englischen von Josef Rother. Panini, Stuttgart 2020. 108 Seiten. 20 Euro

Parallel hierzu werden in Rückblenden die Kindheitsbiografien von Harley Quinn sowie von John Kelly erzählt, den wir nach Lektüre des ersten Bandes für den Joker halten müssen. Johns Vater, Mick Kelly, ist ein Kleinkrimineller, der seinem Sohn die Schuld am Tod von dessen Mutter gibt – tatsächlich aber trägt Batman die Verantwortung für die unglücklichen Umstände. Der alleinerziehende Vater misshandelt seinen Sohn, bis dieser sich zu wehren versteht. In der Schule lernt er, wie er sich vom bemitleidenswerten Mobbing-Opfer zum raffinierten Rächer entwickelt. An der Wayne School, für die der begabte Schüler ein Stipendium erhält, fällt er durch sein Einzelgängertum wie auch seine hohe Intelligenz auf.

Die junge Harley hingegen leidet unter ihrer kaltherzigen und kontrollwütigen Mutter, die auf die Einhaltung ihrer Hausregeln besteht, bar jeder Verhältnismäßigkeit: „Du bleibst hier, bis du aufgegessen hast.“ Als Harley anderthalb Tage später noch am Platz sitzt, wissen wir sowohl um ihre Willensstärke als auch das Zwangsverhalten ihrer Mutter.

Die Rückblenden bzw. Erinnerungen werden von Mike Mayhew fotorealistisch inszeniert, wovon sich die Erzählgegenwart im gezeichneten Schwarz-weiß Mico Suayans abhebt – eine ungewöhnliche (und irritierende) ästhetische Gestaltung, die sich im dritten Teil des ersten Bandes so plötzlich wie markant verändert: Die Rückblenden werden nicht länger von Mike Mayhew, stattdessen von Jason Badower ins Bild gesetzt, und das sieht auch schon wesentlich besser aus, wenngleich die Irritation zum Konzept gepasst hatte. Denn auch die Autorin Garcia bürstet Harley Quinn kräftig gegen den Strich: Nicht nur verspricht sie in einem Interview, dass Harley sich nicht in den Joker verlieben werde, auch Batman spielt abgesehen von einem kurzen Cameo-Auftritt im ersten Band keine Rolle für die Handlung: All eyes on Harley.

Für die forensische Akkuratesse bei „Joker / Haryley“ sorgte der amerikanische Psychiater Dr. Edward Kurz, der Garcia in Hinblick auf die Spurenermittlung beriet und mit dem sie schon an einem Akte-X-Jugendroman zusammenarbeitete. „Forces of Geek“, so wirbt die Buchrückseite, schreibt: „Fans von Harley und True Crime müssen das lesen.“ Das ist bestimmt nicht falsch, aber genauso richtig wie: „Fußkranke und Rechtsanwälte sollten das lesen.“ Mit True Crime hat dieser Comic herzlich wenig zu tun, abgesehen von dem Bemühen um sachliche Genauigkeit und der (etwas unvermittelten) Schilderung amerikanischer Serienmorde: Ed Gein, Richard Chase, Ted Bundy, John Gacy.

Unter den Harley-Quinn-Storys sticht Garcias Geschichte allemal hervor, und die kommende Ausgabe (April 2021) wird zeigen, wie die Serie sich entwickeln kann. Die Parallel-Origin-Story von Harley und Joker klingt zumindest vielversprechend.

Hier gibt es einen weiteren Text zu „Batman – Der letzte Kreuzzug“.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Seite aus „Joker / Harley: Psychogramm des Grauens“ (Panini)