Vermittler zwischen Menschen und Monstern

Shigeru Mizukis Manga-Reihe „Kitaro“ spielt in einer Welt voller Geisterwesen und ist in Japan ein Klassiker. Jetzt erscheint der sechste Band.

Vom Lehrer in die Ecke verbannt, entdeckt der einäugige Junge Kitaro am Fenster einen seltsamen Rattenmann, der ihn zum Zweikampf in der Pause auffordert — und dann von einer Mitschülerin, die sich plötzlich in eine Katze verwandelt, fortgejagt wird. Wer ist der geheimnisvolle Rattenmann und wie kann Kitaro das Mädchen von der Katzenkrankheit heilen?

Für Kitaro – Hauptfigur der gleichnamigen Mangaserie des Zeichners Shigeru Mizuki (1922–2015) – sind Ereignisse wie diese ganz normal. Er ist das Kind zweier Yôkai: Geisterwesen und Monstern, die nach japanischem Volksglauben zwischen Dies- und Jenseits existieren.

Nach dem Tod der Mutter wächst er bei menschlichen Pflegeeltern auf, doch von ihnen unbemerkt ist sein Vater, ein Yôkai in Form eines Augapfels, immer bei ihm. Als die Pflegeeltern Kitaros Reisen in die Unterwelt verbieten wollen, gehen er und sein Vater fort und ziehen durchs Land. Auf ihren Stationen erleben sie zahlreiche Prüfungen und Abenteuer in der Welt der Yôkai — und Kitaro wird bald zum gefragten Vermittler zwischen den Menschen und den Geisterwesen.

Wer die „Addams Family“ mochte, wird den hässlichen Kitaro lieben. Seit September 2021 erscheint die Kult-Manga-Reihe auf Deutsch bei Reprodukt. Darin trifft er Hexen, Vampire, einen Katzeneremiten und wird in einen Krieg verwickelt.

Bild aus „Kitaro Bd. 5“ (Reprodukt)

Die Geschichten machen bald Lust auf mehr, nicht zuletzt durch die Cliffhanger am Ende jedes Bandes. Angefangen bei Kitaros Geburt bauen sie aufeinander auf. Mit düsterem Humor und liebenswert schrägen Figuren wurde Shigeru Mizuki ab 1959 mit „GeGeGe no Kitarô“ populär. Seit den 60ern werden Kitaros Abenteuer immer wieder neu filmisch umgesetzt und erreichen bis heute ein großes Publikum.

Schon als Kind wurde Shigeru Mizuki stark geprägt durch die Erzählungen der alten „Tante NonNon“, die ihm die Welt der Yôkai und Geschichten vom Jenseits nahebrachte. Seine Lust an der Darstellung der schrecklichen oder auch lustigen Geister erinnert an historische Holzschnitte.

Die Yôkai sind ein bedeutendes Kulturgut in Japan und spielten lange eine große Rolle im Volksglauben. Als sie angesichts der voranschreitenden Moderne in Vergessenheit zu geraten drohten, griff Mizuki den Stoff auf und überführte die dämonischen Gestalten ins 20. Jahrhundert. Noch kurz vor seinem Tod veröffentlichte er eine Yôkai-Enzyklopädie. In Japan wird Shigeru Mizuki bis heute als Bewahrer der Yôkai-Geschichten verehrt, vor allem in seiner Heimatstadt Sakaiminato wird er wie ein Held gefeiert. Eine Straße, in der über 150 Figuren seiner Yôkai aufgestellt sind, wurde nach ihm benannt.

Diese Kritik erschien zuerst am 15.12.2021 in: Der Tagesspiegel

Rilana Kubassa, geb. 1980, ist Literatur- und Medienwissenschaftlerin und lebt als Journalistin, Autorin und freie Lektorin in Berlin. Ihre Texte über Comics erscheinen auch im Tagesspiegel und bei Closure.

Shigeru Mizuki: „Kitaro“ Bd. 1-6. Aus dem Japanischen von Gandalf Bartholomäus. Reprodukt, Berlin 2021-2022. Je 192 Seiten. Je 7,90 Euro