Taiyo Matsumoto verarbeitet in „Sunny“ seine Erfahrungen aus einem Kinderheim, in dem er aufgewachsen ist, zu berührenden Persönlichkeitsstudien. Sein Manga ist für den Max und Moritz-Preis 2022 nominiert.
Die Titelfigur dieses Manga ist ein gelber Nissan Sunny, der im Garten des Kinderheims steht. Ein Autowrack, dass zum Rückzugsort für die Waisen und Pflegekinder geworden ist. Hier träumen die Kinder von ihrer ganz persönlichen heilen Welt: Davon, wie sie als coole Helden durch die Wüste streifen und immer alles in der Hand haben. Davon, wie erste Verliebtheiten ganz unschuldig ihre Erfüllung finden. Oder davon, dass ihre Eltern sie wirklich lieben und endlich zu sich nach Hause nehmen.
Es ist keine heile Welt, in der die Kinder leben. Jedes Kind hat eine eigene Strategie, mit der Zurückweisung oder dem Verlust der Eltern umzugehen. Haruo ist besonders rüde und hat sich eine so harte Schale zugelegt, dass ihn nichts mehr berühren kann. Sei ist neu im Heim und muss immer wieder weinen. Kiko erfindet Geschichten von Männern, die sie im Auto entführt haben, um auf sich aufmerksam zu machen. Und Kenji will es immer allen recht machen.
Die Geschichten der Kinder verwebt Taiyo Matsumoto kunstvoll – auch auf der Bildebene. Manche Seiten wirken wie Collagen, in denen sich alles überlagert: das Geschrei der Kinder, der Nissan Sunny im Garten, der Freiheit in Gedanken verspricht, und ein vierblättriges Kleeblatt, dass eingekreist am Bildrand steht. Später sehen wir zwei Geschwister, die nach vierblättrigen Kleeblättern suchen. Und noch ein paar Episoden später erfahren wir, dass diese Geschwister ganz fest daran glauben, dass ihre schwerkranke Mutter wieder gesund wird, wenn die beiden nur genug vierblättrige Kleeblätter für sie sammeln.
Taiyo Matsumoto montiert diese Erzählung wie allerfeinstes Arthaus-Kino. Eine weitere Stärke: Er zeichnet den Kindern lebensechte Emotionen ins Gesicht. All die Hoffnung, die sie in sich tragen – und eben auch die Wut und Verzweiflung. Der rüde Haruo zum Beispiel heult im wahrsten Sinne des Wortes Rotz und Wasser, als er seine Mutter wiedertrifft – weil er genau weiß, dass er nicht bei ihr bleiben darf. Taiyo Matsumoto zeigt die Nöte, die Haruo aussteht, als er seine Mutter trifft – und er zeigt, wie die Mutter vollkommen kontrolliert daneben sitzt und Zeitung liest.
Diese Szene entfaltet eine noch heftigere Wucht, wenn man im Nachwort liest, dass die Mutter des Mangakünstlers – die ihn ins Kinderheim gegeben hat – eine erfolgreiche Kinderbuchautorin war. Matsumoto verurteilt nicht, er zeigt einfach das Leben und die Beziehungen der Kinder – das macht den Manga „Sunny“ ungeheuer stark. Und dass er die Heimkinder nicht als Hilfsbedürftige zeichnet, sondern als Menschen mit all ihren Nöten und Hoffnungen.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 03.02.2021 auf: kulturradio rbb
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.