Kino als Aufmerksamkeitsstörungssyndrom

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Der Name: Ramona, eine Telefonummer, darunter siebenmal: x. Scott Pilgrim ist glücklich: Die Frau seiner Träume hat ihn erhört. Aus dem siebenmal x macht er sich erstmal nix. Er ahnt nicht, dass sich darin die Handlungsblaupause für die Abenteuer verbirgt, die er einen ganzen Film lang abzuarbeiten hat wie der Held eines frühneuzeitlichen Romans (irgendwo ist da im Hintergrund beim Briten Edgar Wright sicher ein Spurenelement Resterinnerung an John Bunyans christlich-allegorische „Pilgerreise“) – oder eben, das ist die viel offensichtlichere Referenz, wie der Avatar eines Videospiels. Siebenmal nämlich wird im Laufe des Films Scott Pilgrim zum Avatar seiner selbst und muss halbvirtuelle Kämpfe bestehen gegen die Ex-Freunde (Ex-FreundInnen, um genau zu sein) seiner genrehalber geliebten Ramona mit ihren flott wechselnden Haarfarben.

Avatar seiner selbst: So viel Spaltung muss sein. „Scott Pilgrim vs. The World“ schickt seinen Helden auf eine Reise durch eine multimedial angereicherte Wirklichkeit. Ein Comic liegt dem ganzen zugrunde, was man an viel in die Bilder hineingeschriebenen Kiss-Kiss-Bang-Bangs auch hinter die Ohren geschrieben bekommt. Eine eigentlich sinnlose Verdopplung, denn man liest ja genau das, was man, anders als im Medium Comic, gleichzeitig hört. Eine redundante Geste also, die nur eins signalisiert: Ich, lieber Betrachter, bin als Film ein Hybrid. Und das kann (und wird) „Scott Pilgrim“ laut sagen. Neben den Comicsoundinschriften tritt ins Bild aber auch der videospielübliche Level- und Restleben- und Punktestand-Firlefanz.

Hybrid heißt: Es gibt fortwährende Medienwechsel (Film, Comic, Videospiel), dies allerdings nicht in der schön separierenden Eröffnung und Schließung mehr oder weniger realer Separaträume, sondern direkt als Inschrift von Wörtern und Bildern in der Oberfläche des Filmbilds. Das verliert so seine Stabilität. Von einem Raum in den anderen purzeln die Figuren, im Splitscreen werden sie beliebig gruppiert, der Regisseur wird mit seinem Haupthelfershelfer, dem Cutter, zum VJ sich überstürzender Bilder. Aus der Vergangenheit tauchen die Exfreunde auf und in der Gegenwart muss Scott Pilgrim sie mit den Mitteln des Videospielvirtuosen bekämpfen. Adoleszenzliebesdrama meets vergleichsweise archaisches Videogame. (Alles beginnt, wie es sich gehört, mit Pacman-Vergleichen.)

Wer da eine Handlung wieder zusammenbuchstabiert, die im Film ständig auseinanderfällt, der lügt schon. Die Aufzählung – nicht die Erzählung kommt dem Seheindruck nahe: Da ist Scott, der seine Beinahe-Irgendwie-Wasweißich-Freundin Knives mit Ramona betrügt. Da ist sein schwuler Mitbewohner Wallace mit ironischem Durchblick. Da ist die Band Sexbob-omb, deren klischeemäßig wie unbeteiligt am Instrument rumstehenden Bassisten Scott gibt. Da ist die Frau, der er seit einem Jahr nachtrauert. Da ist – irgendwie, irgendwo – auch Toronto als Spielort. Es gibt Dialoge, die sind millimetertief, aber jugendkulturanspielungsreich. All das (und noch viel mehr) ergibt aber kein ganzes Bild mehr, keine ganze Geschichte und keinen ganzen Film. „Scott Pilgrim“ ist eine Bildspuckmaschine, die aus allen Rohren feuert und kaum mal eine Minute zur Ruhe kommt. Einen Spannungsbogen gibt es naturgemäß nicht: Ein Ex nach dem andern wird mit den Mitteln der Videospielkampfkunst besiegt. Der Film schaltet für diese Szenen einfach spezialeffektfreudig in den Videomodus um; dann wieder zurück.

Das Drehbuch hat Lüste und Launen, meist recht unmotiviert. Einmal etwa wird eine Dialogszene einfach so in den Sitcom-Modus inklusive eingespieltem Hintergrundlachen versetzt. Edgar Wright hat überhaupt eine Idee nach der andern, einfallsreich ist gar kein Ausdruck dafür. Ramona auf Schlittschuhen, die davongleitend den Schnee zum Schmelzen bringt. Liebe steht als rosa Wölkchenwort mitten im Bild. Immerzu Tempo, ein Ex nach dem andern, eine Frau neben der andern, Splitscreen, ein paar Takte heftiger Rockmusik, eine Todesvision (Endlevel) und am Schluss als Ramonas Ex/Nichtmehrex Jason Schwartzman: ein Rockstar in Weiß mit Namen Gideon. All sowas zaubert der Film im Stakkato aus dem Hut. „Scott Pilgrim“ ist Filmegucken als Rezeptions-Multitasking auf einer Hybridscreenleinwand. Kino als Aufmerksamkeitsstörungssyndrom. Brutal zielgruppenorientiert. US-Einspiel sehr mäßig. Am Ende, natürlich, alles auf Anfang.

Dieser Text ist zuerst am 20.10.2010 erschienen in: perlentaucher.de

Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt
OT: Scott Pilgrim vs. the World
USA 2010 – 112 min.

Regie: Edgar Wright – Drehbuch: Michael Bacall – Produktion: Marc E. Platt, Scott Stuber, Edgar Wright, Nira Park, Eric Gitter – Kamera: Bill Pope – Schnitt: Jonathan Amos, Paul Machliss – Musik: Nigel Godrich – Verleih: Universal Pictures – Altersfreigabe: ab 12 Jahre – Besetzung: Michael Cera, Mary Elizabeth Winstead, Kieran Culkin, Chris Evans, Brandon Routh, Brie Larson, Mae Whitman – Kinostart (D): 21.10.2010

Ekkehard Knörer, geboren 1971, in Würzburg, Austin (Texas) und Frankfurt (Oder) Deutsch, Englisch, Philosophie, Kulturwissenschaften studiert. Promoviert zur Theorie von Ingenium und Witz von Gracián bis Jean Paul. Von 1998 bis 2008 die Filmkritik-Website Jump Cut betrieben. Texte zu Film, Theater, Literatur für Perlentaucher, taz, Freitag, diverse andere Medien. Seit 2012 Redakteur, seit 2017 auch Mitherausgeber des Merkur. Ebenfalls Mitherausgeber des Filmmagazins Cargo.