Mehr Gefühl! – The Fantastic Four monströs

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Die Zusammenarbeit von Stan Lee und Jack Kirby ist eine der besonders kreativen Kollaborationen in der Comicszene. Diesem dynamischen Duo verdanken wir die Fantastic Four. Nun sind die ersten 20 Hefte mit ihren Abenteuern als Coffee Table Book erschienen

Über den Ursprung der Fantastic Four gibt es verschiedene Meinungen: Stan Lee beanspruchte die Entwicklung der Figuren praktisch für sich allein, während sein Zeichner Jack Kirby seinen eigenen kreativen Anteil wesentlich höher einschätzte, als Stan Lee dies behauptete. Die beiden gingen schließlich im Streit auseinander. Einigkeit besteht wiederum darin, dass der erste Impuls zu der Erfindung dieses Team-up von Atlas-Firmenchef (Atlas ist die Marvel-Vorgängerfirma) Martin Goodman kam, der wiederum von Jack Liebowitz erfuhr, wie erfolgreich das DC-Team-Up „Justice League“ sich verkaufe. Nachahmungen spielten in der Comicgeschichte schon immer eine große Rolle.

Ob Goodman dies wirklich beim gemeinsamen Golfspielen mit Liebowitz erfahren habe, wie der Autor des Vorworts, Mark Waid („The Flash“, „Kingdom Come“), beschreibt, oder bei einer anderen Gelegenheit, darüber gehen die Meinungen auseinander. Im Kern aber ist der Fortgang kein Geheimnis. Goodman beauftragte seinen Angestellten Stan Lee mit einer eigenen Version der JLA: „Can you come up with a team of super heroes like the Justice League?“ Dieser großformatige bei TASCHEN veröffentlichte Band („Fantastic Four. Vol. 1: 1961–1963″) umfasst neben den 20 ersten Comics (#1-19 der Serie und das Annual #1) auch die Werbeanzeigen und vollständigen bibliographischen Angaben.

In dem ausführlichen Vorwort Mark Waids ist Stan Lees Zusammenfassung der ersten Story veröffentlicht, die zugleich einen Einblick in Lees Geheimnis seiner Produktivität gibt und ein Erfolgsrezept für seine Zusammenarbeit mit kreativen Zeichnern darstellt: die „Marvel method“. Darunter versteht man Stan Lees pragmatisches Verfahren, eine Story nur knapp zu skizzieren und dem Zeichner erhebliche Freiheiten in der Gestaltung zu überlassen. Lee ergänzte am Ende die Texte in den Sprechblasen und Textboxen. Dies ermöglichte Lee, eine Vielzahl von Projekten parallel voranzubringen, und darüber hinaus profitierte er von den Fähigkeiten von Zeichnern, die zugleich gute Storyteller waren. Natürlich führte dies auch zu Uneinigkeit darüber, wie groß der jeweilige Anteil an den Figuren war. Keine Frage, Jack Kirby und Stan Lee waren über lange Zeit ein unglaublich dynamisches Duo.

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Die „Fantastic Four“ gelten als höchst einflussreiche und nachhaltig erfolgreiche Kollaboration der beiden, oder wie Mark Waid es euphorisch formuliert: Der Band enthält „20 comic books that changed the face of Americans pop culture. Without their success, there’d be no Avengers, no Hulk, no Marvel television shows or theme parks or blockbuster billion-dollar-grossing-movies.“

Gleich in #1 lesen wir die Origin Story der vier Charaktere, Mr. Fantastic, The Thing, Invisible Girl und The Torch, die ihre Superkräfte bei einem Versuch erlangen, das Space Race gegen die Sowjetunion für sich zu entscheiden. Kosmische Strahlung verwandelt die Wissenschaftler*innen in die seltsamen Gestalten, deren Erscheinung die Bevölkerung in Panik versetzt, als seien sie Superschurken. Wir Leser*innen werden rasch aufgeklärt, dass sie nur Gutes im Sinn haben: „We’ve got to use that power to help mankind, right?“, fragt Ben (aka The Thing) und formuliert damit die Kernaufgabe des Teams. In den frühen Ausgaben der „Fantastic Four“ werden die Held*innen ebenso wie einige der zentralen Superschurken*innen der Serie eingeführt (darunter Doctor Doom). Außerdem wird die besondere Held*innenkonzeption für die Marvel-Zukunft prägend sein: Anstelle von strahlenden Held*innen wie Superman hat Marvel weniger flache Charaktere mit mehr psychischer Tiefe eingeführt und damit einen entscheidenden Beitrag zu einer Renaissance des Superheld*innen-Genres in den 1960er-Jahren geleistet: Es folgten „Spider-Man“, „Thor“, „Hulk“ (1962), die „Avengers“, die „X-Men“ und „Iron Man“ (1963) – allesamt von Stan Lee und Jack Kirby.

Im vorliegenden Band sind neben den (mitunter höchst skurrilen) Werbeanzeigen auch die Fan Pages als interessantes Dokument ihrer Zeit abgedruckt. Diese waren in der Neuausgabe der „Marvel Masterworks“ (2018) nicht enthalten und erlauben nun einen Einblick in die Fankultur und vor allem in Stan Lees Konzept der Fan-Partizipation. Darüber hinaus zeigen die noch nicht kolorierten Seiten, die das Vorwort illustrieren, das exzellente Artwork Kirbys, das unter den Farben oft unterzugehen droht, wie auch die Schwarzweiß-Ausgaben von EC-Klassikern bei Fantagraphics eine Ausdruckskraft haben, die den kolorierten Ausgaben manchmal abgeht. Und die Größe des Bandes (28 x 39,5 cm) kommt den Zeichnungen natürlich besonders zugute.

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Man könnte das gigantomanische Projekt als Verkörperung des kapitalistischen Wachstumscredos interpretieren: mehr, mehr, mehr. Der Preis der TASCHEN-Ausgaben von 150 Euro gibt dem Argument auf den ersten Blick recht, aber man muss auch eingestehen, dass die Bücher sich eher an Sammler*innen als an Leser*innen richten. Immerhin ist das 4,77 Kilogramm schwere Buch weder S-Bahn-tauglich noch wirklich für die Bettlektüre geeignet.

Man könnte aber auch etwas wohlwollender sagen, dass der Omnibus-Trend als Ausdruck der Wertschätzung (im ideellen wie im materiellen Sinne) für das Medium zu verstehen ist. Der Frage, welche Perspektive nun besser sei, darf man gern ausweichen, denn die Wirklichkeit erlaubt ja differenziertere Antworten, als Elon Musk sie in seinem Twitterverse einfordert. Sammeln und Lesen sind sicherlich zwei Paar Schuhe, stehen aber im selben Schrank.

Das Sammeln von Comics hat immerhin eine lange Tradition seit den 1970er-Jahren, die den Comic-Markt erheblich verändert hat und deren Effekt auch in der Publikation von Omnibus-Bänden besteht, die sich vor allem an Sammler*innen richten. Bei Panini erscheinen seit einiger Zeit diverse ältere Titel in solchen höherpreisigen Gesamtausgaben. Und auch bei TASCHEN hat dieses Konzept seit einigen Jahren Konjunktur: In den letzten Jahren sind großformatige Ausgaben der „Avengers“ sowie von „Spider-Man“ erschienen, darüber hinaus sind Bände über George Herrimans „Krazy Kat“ und Winsor McCays „Little Nemo“ erschienen, herausgegeben vom deutschen Comic-Experten Alexander Braun und mit sehr ausführlichen wie lesenswerten Essays über die Comics versehen. Aber die Ähnlichkeiten zwischen den Marvel-Neuausgaben und den Braun-Veröffentlichungen sind nur äußerlich (Größe und Gewicht), wohingegen Inhalt, Genre und das Begleitmaterial kaum unterschiedlicher sein könnten. Gemeinsam haben die Bände aber, dass sie bei der Verleihung der Eisner Awards sehr erfolgreich waren: Alexander Braun wurde 2015 für sein Buch über „Little Nemo“ und 2020 für seine „Krazy Kat“-Ausgabe mit je einem Award ausgezeichnet. 2022 wurde schließlich auch die Neuausgabe von „Spider-Man“ prämiert.

Diese Ausgabe der „Fantastic Four“ richtet sich an Leser*innen mit starken Armen, an Sammler*innen mit einem größeren Budget und an Comic-Enthusiast*innen mit einem Hang für die Geschichte von Superheld*innen.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Stan Lee (Text) und Jack Kirby (Zeichnungen): „Marvel Comics Library. The Fantastic Four. Vol. 1. 1961–1963“. Englisch. Taschen Verlag, Köln 2022. 700 Seiten. 150 Euro