Vom Schietwetter zum Sonnenstaat

In ihrem autobiographischen Bericht führt Nacha Vollenweider ihre Leser*innen von der Alster bis nach Argentinien. Bitte einsteigen – oder doch nicht?

„Zurück in die Heimat“ (avant-verlag 2022) ist Nacha Vollenweiders zweiter Langcomic nach ihrem erfolgreichen Debüt „Fußnoten“ (avant-verlag 2017). Beide wurden von der Jury der Berthold-Leibinger Stiftung unter die Finalisten des Comicbuchpreises 2016 bzw. 2020 gewählt. In dem autobiographischen „Zurück in die Heimat“ schildert Vollenweider ihr Leben zwischen Deutschland und Argentinien. Wir erleben mit ihr, wie sie die allmähliche Trennung von ihrer Frau Chini verarbeitet, die allmählich schwindenden Erinnerungsorte ihrer Kindheit in Cordoba aufsucht und sich an die Jahre in Hamburg zurückerinnert, während derer sie bei Anke Feuchtenberger studiert hat. Ein unerwarteter Bücherfund auf dem Dachboden ihrer Großmutter lässt die deutsch-argentinische Familiengeschichte kurz wieder aufleben, und Oma Antonia selbst berichtet ausführlich, was zur Vervollständigung der Familienchronik notwendig ist. Wer Vollenweiders „Fußnoten“ kennt, wird bei dieser Beschreibung daran zurückdenken müssen, und in der Tat wirkt der Comic wie eine Ergänzung zu ihrem erfolgreichen Debüt.

Diese Geschichte bietet sich an, um den Begriff der Heimat in verschiedenen Dimensionen zu reflektieren, und so kündigt es der Umschlagtext auch an. Nacha Vollenweiders (Familien-)Biographie ist von verschiedenen Herkunftsorten geprägt, denn ihr Urgroßvater mütterlicherseits hat deutsche Wurzeln, während sie in Argentinien großgeworden ist, aber wiederum eine Weile in Hamburg gelebt hat. Indem sie frei zwischen Europa und Südamerika hin- und herreist, erscheinen politische Grenzen als sehr durchlässig, aber das ist natürlich trügerisch, denn die kulturellen Unterschiede bleiben bei aller Reisefreiheit natürlich bestehen.

Bild aus „Zurück in die Heimat“ (avant-verlag)

Aber um welche Unterschiede geht es? In Hamburg „war es kalt und der Himmel fast immer bewölkt“. Cordoba hingegen ist eine Stadt, „in der der Himmel immer blau ist“. Schietwetter und Sonnenstaat – und bliebe es bei diesen Beobachtungen über das Klima und würde der Comic nicht mehr zu bieten haben als die wenig überraschenden Wetterdaten beider Heimatorte, dann wäre das enttäuschend.

Auch die Gegenüberstellung deutscher Pünktlichkeit mit der südamerikanischen Flexibilität im Straßenverkehr ist, vorsichtig gesagt, nicht allzu unerwartet, und aus den Beobachtungen über den Umgang mit Heiligenfiguren zieht Vollenweider keine besonderen Schlüsse: „Diese Figuren erinnern mich an die katholischen Heiligenfiguren, die in Mamas Familie allgegenwärtig waren.“ Auch die Konfrontation mit kolonialistisch und rassistisch geprägten Texten der 1930er Jahre erzeugen kein Aufeinanderprallen der Kulturen außer der Feststellung: „Harter Tobak! Und für meine Vorfahren damals war es ganz gewöhnlicher Lesestoff.“ Nacha flaniert durch die Szenen und Dialoge, erzählt sprunghaft von diesem und jenen bzw., wie der Umschlagtext es formuliert, „assoziativ“.

Der charakteristische, grobe Schwarz-Weiß-Stil knüpft so nahtlos wie die Erzählung selbst an „Fußnoten“ an, scheitert aber auch so manches Mal. Die groben Schraffuren der Schweizer Gletscherlandschaft lassen die Flächen weder wie Felsformationen noch etwa wie Eisflächen erscheinen. An stärkeren Stellen wiederum, etwa als eine Krähe zur Manifestation von Nachas Ängsten mutiert, um dann Symbol ihres Ausbruchsverlangens zu werden, meint man die Ausbildung von Anke Feuchtenberger durchscheinen zu sehen.

„Zurück nach Hause“ bietet keine vielschichtige Reflexion von „Heimat“ und produziert auch nicht genügend spannende Beobachtungen, um den Leser*innen selbst die Reflexionen zu überlassen. Diese Form des „assoziativen Essays“ hat eben auch seine Tücken. Entsprechend beliebig wirkt auch das Ende: „Was noch alles schiefgehen kann … weiß ich nicht. Höchstens eine weltweite Pandemie oder ein Krieg, der das System überfordert.“ Spätestens das ist die steile Kurve, die den Comic aus der Bahn wirft.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Nacha Vollenweider: „Zurück in die Heimat“. avant-verlag 2022. 200 Seiten. 22 Euro