„Die meisten Bücher sind viel zu dick…“

Nicolas Mahler hat sich vor allem mit seinen eigenwilligen, minimalistischen Literatur-Adaptionen bei Suhrkamp einen Namen gemacht, rasiermesserscharfen Persiflagen und entschlackten Variationen von kanonisierten Werken von Musil und Marcel Proust und anderen. Pro Jahr veröffentlicht er mehrere Bücher, neben seinen Literaturadaptionen erscheinen u. a. Cartoons bei Edition Moderne, autobiografische Erzählungen bei Reprodukt, ein Buch über Romy Schneider für btb, Lyrik, illustrierte Kinderbücher (z. B. „Der kleine Prinz“). 2015 wurde er für sein unermüdliches Schaffen mit dem Preis der Literaturhäuser ausgezeichnet.

Dieser Tage erscheint mit „Akira Kurosawa und der meditierende Frosch“ ein neuer Band mit autobiografischen Geschichten und Comic-Anekdoten aus der deutschsprachigen Literatur- und Kulturlandschaft. Darin macht er sich u. a. über das Literarische Quartett lustig, watscht den Kunstmarkt ab, erzählt über seine Anfäge im Schweizer Avantgarde-Comic-Magazin STRAPAZIN, zeigt sich befremdet über die seltsame neue Seriosität des Comics und taucht schließlich in die Comic- und Kulturwelt Japans ein.

Kommende Woche wird im Literaturhaus Leipzig eine Ausstellung zu Nicolas Mahlers Literaturadaptionen eröffnen (Vernissage: 9. März, Ausstellung: 10. März–29. April), die direkt in die Leipziger Buchmesse münden wird. Am 10. März präsentiert Nicolas sein neues Buch in der Pablo Neruda Bibliothek in Berlin. Und dann folgen über den März und April verteilt Termine in München, Stuttgart, Wien und Frankfurt (s. Fyler rechts). Im Presse-Interview blickt er zurück auf seine Anfangsjahre im Comicgeschäft.

Lieber Nicolas, danke, dass du dir die Zeit nimmst für unser Gespräch. In deinem neuen Comicband erzählst du u. a. über deine Anfänge als Comiczeichner. Magst du für uns noch weiter in deine Vergangenheit blicken? Bist du mit Comics aufgewachsen? Was hat dein Interesse an dem Medium geweckt?

Comics hab ich in den 80er-Jahren gelesen wie die meisten Kinder, was man eben in der Trafik so bekommen konnte. Richtig Feuer gefangen habe ich dann aber erst mit Gotlib (der „Witzbold-Sammelband“ war das wahrscheinlich wichtigste Buch für mich Ende der 80er). Danach haben mich dann alte amerikanische Zeitungsstrips fasziniert („Krazy Kat“ etc.). Klassische Comicalben habe ich davor zwar gelesen, aber so richtig interessiert haben mich eher kurze Nonsens-Sachen, wie Gotlib eben. Ich habe immer gern gezeichnet, war aber bestimmt kein großes Talent. Ich bin aber schnell draufgekommen, dass es das zeichnerische Talent beim Comic gar nicht braucht, wenn man genug Ideen für Nonsens und Witze hat.

In den 1990ern hast du mit der Edition Brunft deine ersten Comics, darunter „Du Falott, Baby“ und „Lone Racer“, noch selbst verlegt und hast sogar einen Comic-Verkaufsautomaten in Wien betrieben. Kannst du uns ein bisschen über diese Anfangszeit erzählen? Was haben dich deine Verlegerjahre über die Comicbranche gelehrt?

In jedem Fall habe ich daraus gelernt, dass niemand auf mich gewartet hat. Die Buchhandlungen waren damals sehr ablehnend und das Interesse von Journalisten war auch endenwollend. Wenn jemand darüber schreiben wollte, ist es meist daran gescheitert, dass man nicht wusste, wohin damit. Damals erschienen kurze Artikel über meine Comics teilweise im Chronikteil, weil die Redaktion sie nicht im Kulturteil sehen wollte.

Welche Rolle spielte damals das STRAPAZIN für die deutschsprachige/europäische Comicszene? Was hat dich an dem Magazin und seinem Ansatz interessiert? Was hat die Zusammenarbeit mit dem Magazin und seinem Kollektiv für deine künstlerische Laufbahn bedeutet?

Das Tolle an STRAPAZIN war und ist natürlich die regelmäßige Erscheinungsweise. Dadurch ist es möglich, viel auszuprobieren. L’association hat auch viele kleine Hefte herausgegeben, das hat mir entsprochen, weil ich immer viel produzieren und probieren wollte, und nie auf das „Meisterwerk“ geschielt habe. Meisterwerke langweilen mich nämlich meistens, mir ist eine Reihe von „Nebenwerken“ lieber, von denen das eine oder andere durch Zufall besonders gut gelingt. Bei L’association ist so was durch die verschiedenen kleinen Formate (ab 24 Seiten aufwärts) möglich gewesen. Die Zusammenarbeit ist auf meine Initiative zurückgegangen. Ich habe die Bücher in Paris gesehen und mir gedacht: Da gehöre ich hin. Ich hab „Lone Racer“ selbst ins Englische übersetzt und an Lewis Trondheim direkt geschickt. Ein paar Monate später wurde es dann schon auf Französisch bei L’association publiziert.

Seit den Brunft-Jahren hat sich ja einiges am deutschsprachigen Comicmarkt getan. Wie nimmst du die Entwicklungen in den letzten Jahren wahr? Wie zentral war und ist der Begriff „Graphic Novel“ für die Wahrnehmung des Comics in unseren Breitengraden?

„Graphic Novel“ ist für mich, ich denke, wie für die meisten Zeichner meiner Generation, die sich von Anfang an als Comiczeichner verstanden haben, ein Marktbegriff, um irgendwo im Buchhandel und bei den Medien anzukommen. Manchmal funktioniert‘s, manchmal nicht. Leider ist der Buchhandel zumindest für meine Sachen immer noch ein großes Problem. Falls man meine Bücher sucht, ein heißer Tipp: Nicht bei Graphic Novels suchen, sondern bei den Witzbüchern, meistens landen meine Sachen dort, selbst wenn es sich um eine Adaption von „Ulysses“ handelt.

2011 ist deine erste Literaturadaption bei Suhrkamp erschienen, „Alte Meister“ nach Thomas Bernhard. Über die Jahre folgten Adaptionen von Musil, Joyce und Proust. Worin liegt für dich der Reiz und die Sinnhaftigkeit in der Beschäftigung mit Literaturklassikern und dem „Runterbrechen“ von Prosa in Bildersequenzen?

Der Reiz ist natürlich, dass ich durch die Texte neue Inspiration für mein Schaffen bekomme. Ich bin eher ein schlampiger Leser, der nur wenig vom Gelesenen behält. Außerdem finde ich die meisten Bücher viel zu dick. Bei den Adaptionen entschlacke ich ganz ordentlich und lasse nur drin, was mich wirklich interessiert. Ich bin ja Verfechter von dünnen Büchern und erstelle mir sozusagen bei meinen Adaptionen eine verschlankte Bibliothek dieser dicken Klassiker.

Die längste Geschichte in deinem neuen Buch handelt von deiner Reise nach Kyoto, wo du 2015 eine Ausstellung hattest. Was fasziniert dich (und andere europäische Comiczeichner wie Igort oder Catherine Meurisse) an Japan und seiner Kunst- und Kulturgeschichte?

In erster Linie natürlich das Andersartige. Die japanische Kultur ist für mich einigermaßen fremd und deshalb ansprechend. Wenn man wie ich schon über 50 ist, hängt einem die europäische Kultur schon zum Hals raus, da kann man sich in Japan wieder etwas frisch machen.

Bereits in deinem ersten autobiografischen Comicband, „Kunsttheorie versus Frau Goldgruber“ (2003), hast du dich über das Phänomen Comic-Ausstellung („Das Original ist wertlos – das Buch ist das Original“) mokiert. Bist du im Jahre 2023, unzählige Ausstellungen später, mit diesem Konzept versöhnt? Was erwartet uns in der Ausstellung im Literaturhaus Leipzig, die am 9. März eröffnen wird?

Natürlich kann man auch unterhaltsame Comicausstellungen machen. Je mehr da eine Zeichnung für sich steht, desto besser. Aneinanderreihungen von Comicseiten machen für mich wenig Sinn. Eine Ausstellung kann einen Einblick in den Arbeitsprozess geben und bestimmte Aspekte eines Werks besonders betonen. In Leipzig wird man ebendas sehen: ein paar für mich wichtige Originale, einige Drucke, und dazu Einblicke in Skizzenhefte und Arbeitsmaterialien. Für mich ist eine Ausstellung immer noch dann gelungen, wenn danach Bücher gekauft werden.

Woran arbeitest du gerade?

An zwei Büchern zu Franz Kafka, die 2024 erscheinen sollen.

Nicolas Mahler: Akira Kurosawa und der meditierende Frosch • Reprodukt, Berlin 2023 • 128 Seiten • Softcover • 16,00 Euro