Kampf um Selbstbestimmung

In seiner Trilogie „Bella Ciao“ schildert Comickünstler Baru das Leben der italienischen Arbeitsmigranten in Frankreich. Nun ist der zweite band erschienen.

Italiener in Frankreich: erst Einwanderer, dann Gastarbeiter und schließlich irgendwann Franzosen. Auch Autor und Zeichner Baru ist der Sohn eines italienischen Einwanderers. In den Episoden seines autobiografisch gefärbten Dreiteilers „Bella Ciao“, von dem kürzlich der zweite Band erschien, beleuchtet er beispielhaft Geschichte, Leben und Schicksale von Italienern, die es nach Frankreich verschlagen hat, in das Nachbarland und dennoch eine vermeintliche Ewigkeit von der Heimat entfernt. Anders als in Band 1 ist der zweite Teil zwar auch episodisch angelegt, jedoch inhaltlich geschlossener und damit besser zugänglich. Der Großteil des Plots konzentriert sich auf die Familie Martini, die wir bereits aus dem ersten Band kennen, insbesondere auf die Kommunionsfeier von Teo Martini, von der aus immer wieder in Rückblenden Teile der Familien-Historie geschildert werden.

Doch zuerst widmet sich Baru in „Camizia Rossa“ einem historischen Kapitel, einer Kuriosität aus dem Ersten Weltkrieg. In der Legion Garibaldia, die nur ein halbes Jahr bestand und Teil der Fremdenlegion war, kämpften damals (1914) Italiener für Frankreich gegen die Deutschen, unter der Führung eines Sohnes des italienischen Freiheitskämpfers und Allround-Revoluzzers Giuseppe Garibaldi. Auch Großvater Martini trat als Jungspund voller Begeisterung der Truppe bei und gehört zu den Glücklichen, die das Gemetzel in den Argonnen überlebten.

Bild aus „Bella Ciao“ (Edition 52)

In „Mortadelle“ kehren wir noch einmal in dunkle Zeiten zurück, zu einer tragischen Episode, in der während des Zweiten Weltkrieges ein schwarzes Schaf der Familie mit den Deutschen kollaboriert und ein Familienmitglied denunziert. Mit „Saint-Lundi“ folgt dann wieder leichterer Stoff. Weiterhin wird die Kommmunion gefeiert, Teo darf aufbleiben so lange er möchte und erfährt von dem blauen Montag, an dem selbst er die Schule schwänzen darf. Und gegen Ende blickt Baru auf das Leben zweier alter Eigenbrötler. Der eine träumt noch immer von einer Rückkehr nach Italien, kommt aber mit seinem Fahrrad immer nur ein paar Kilometer weit, der andere holt seine alte Heimat gewissermaßen zu sich, indem er sich absichtlich auf einem kargen Stück Land als Bauer niederlässt.

Martinis Kommunion dient als Kulisse, in der und von der aus immer wieder die Geschichten ihren Lauf nehmen. Freud und Leid liegen darin eng beisammen, Tragik und Wehmut, voller Schmerz und Humor, wehen durch die Seiten. Man träumt bittersüß von der alten Heimat, pflegt deren Sprache und Traditionen über Jahrzehnte, versucht, die Identität zu bewahren, bis man sich der Realität stellt und sich eingestehen muss, dass man in Frankreich längst Wurzeln geschlagen hat und dass die Gespräche über eine Rückkehr längst Gewohnheit und leere Routine geworden sind. Barus lockerer Zeichenstil, in wunderbaren Farben, pointiert, dynamisch, in großzügigen Panels und dabei unnachahmlich, ist abermals ein Genuss.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Baru: Bella Ciao. Band 2 • Edition 52, Wuppertal 2023 • 134 Seiten • Hardcover • 20,00 Euro

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.