Wenn es um Preise geht, hat es Genre-Literatur etwas schwer. Das konnte man gerade wieder sehen, als man in Angoulême – beim größten Comic-Festival Europas – dem Belgier Hermann Huppen den Grand Prix verlieh, den Preis, den in diesem Jahr eigentlich gar keiner haben wollte. Und nun bekam ihn auch noch jemand, der Zeit seines Lebens vor allem Genre-Comics gemacht hat, der nie im Ruf stand, die große Kunst zu produzieren. Und wenn sich Hermann dann mal der großen relevanten Themen annahm, dann geschah es eher unsubtil, auf Stammtischniveau und meistens ebenfalls im Genre-Gewand – das jedenfalls ist die verbreitete Meinung.
Aber sieht man unvoreingenommen hin, muss man anerkennen, dass praktisch jede der großen Comic-Serien des 1938 geborenen Zeichners ein bis zwei Meisterwerke aufweist, und das obwohl seine Helden aus grundverschiedenen Genren kamen. Da waren Abenteurer und Weltenbummler (Andy Morgan: Der Hafen der Verrückten; 1977), Westernhelden (Comanche: Das Geheimnis von Algernon Brown; 1982), Überlebende der Apokalypse (Jeremiah: Explosive Beute; 1985) und Ritter ohne Land (Die Türme von Bos-Maury: Williams Irrweg; 1990). Seit einigen Jahren arbeitet Hermann auch gern mit seinem Sohn Yves H. als Szenarist, und mindestens ein Band ihrer USA-Trilogie (Manhattan Beach 1957; 2002) reiht sich nahtlos in diese Galerie von Klassikern ein.
Und in diese Galerie gehört auch sein jüngster Einzelband, der wieder mit Yves H. entstanden ist. „Old Pa Anderson“ spielt zu Beginn der 1950er in Mississippi und ist ein geradezu unfassbar abgehangen erzählter, unerbittlicher Rache-Thriller, der in jeder Sekunde Genre ist. Dies ist eine klar definierte Welt, in der die Schwarzen und die Weißen ihren Platz kennen. Eine andere Welt kann man sich nicht einmal vorstellen. Aber als Old Pa Anderson erfährt, was seiner Enkelin vor acht Jahren passiert ist, attackiert er diese Welt mit dem einzigen Mittel, das ihm zur Verfügung steht: roher Gewalt.
Nichts ist hier clever oder subtil, alles ist total „matter-of-fact“, nie hat man das Gefühl, dass diese Geschichte einen anderen Verlauf nehmen oder gar anders ausgehen könnte. Wer Überraschungen sucht oder einen genialen Twist, ist hier völlig falsch. Am Ende ist die gewohnte Ordnung des Südens wiederhergestellt. Die letzten Seiten sind in ihrer Nüchternheit geradezu erschlagend. So funktioniert Genre auf einem Niveau, das nur wenige beherrschen. Und auch Hermann erreicht es nicht immer. Aber wenn, dann steht man mit offenem Mund da.
Yves H., Herman: Old Pa Anderson. Erko-Verlag, Wuppertal 2016. 56 Seiten, € 14,95