Keine guten Ausssichten

Großstadttristesse und die illusorische Hoffnung aufs kleine Glück: In Joris Mertens‘ tragikomischer Crime-Erzählung „Das große Los“ spült der Regen die Zukunft davon.

Immer wieder werden Comics veröffentlicht, die mich spontan begeistern: Manchmal liegt es an der Erzählweise, manchmal aber auch am Stil der einzelnen Zeichnungen oder Farben. Bei „Das große Los“ von Joris Mertens verbindet sich eine packende Geschichte mit originellen und verblüffenden Bildern. Der Comic-Band erschien im Frühjahr und zählt für mich zu den großen Überraschungen des Jahres.

Die Geschichte spielt in einer großen europäischen Stadt, die wie eine Mischung aus Brüssel und Paris anmutet; die Handlung scheint in den 70er-Jahren angesiedelt zu sein, wenn man die Autos als Maßstab heranzieht. Hauptfigur der Geschichte ist Francois, ein einsamer Mann, der viel zu viel raucht und viel zu wenig auf seine Gesundheit achtet. Er arbeitet als Fahrer für eine Wäscherei, bekommt seit Jahren keine Gehaltserhöhung und hofft auf ein wenig Glück für sich. Seine Hoffnung ist das Lottospielen, er träumt vom großen Los. Irgendwann, so glaubt er, wird es kommen, und danach kann er sich auch vorstellen, die attraktive Kioskbesitzerin und ihr Kind einzuladen. Aber er stößt auf einen Mordfall, mit dem er natürlich nichts zu tun hat, und findet eine Tasche mit einer Unmenge von Geld. Damit könnte er sein Leben auf einen Schlag verändern…

© Splitter Verlag

Joris Mertens erzählt seine Geschichte mit einem lakonischen Grundton. Der Autor kommt ohne lange Dialoge aus, die Figuren unterhalten sich meist knapp. Es gibt Seiten, auf denen kein einziges Wort gesprochen wird, die nur von den kargen Gesten der Figuren oder einem Blick in das zerknitterte Gesicht von Francois beherrscht werden. Die Handlung ist vor allem am Anfang eher hoffnungslos, behält aber eine Spannung bei, die bis zum Ende anhält. Und wenn man den Comic zuklappt, hallt in einem der „Sound“ der Geschichte noch länger nach. Das liegt natürlich auch an den Bildern. Mertens hat einen Stil, wie es ihn selten gibt. Er ist realistisch, allerdings mit leichten Verzerrungen. Viele Seiten wirken, als seien sie nur grob schraffiert worden. Das zeigt sich besonders bei den großen Ansichten der Stadt, der Häuser oder der nächtlichen Straßen.

Der ununterbrochene Regen, der die Geschichte als tragikomisches Element begleitet, wird durch die künstlerische Darstellung zu einem zentralen Thema. Das ist eindrucksvoll und originell – das muss man echt gesehen haben!

Dieser Text erschien zuerst auf: perry-rhodan.net

Joris Mertens: Das große Los • Aus dem Niederländischen von Axel Rothkamm • Splitter Verlag, Bielefeld 2023 • 144 Seiten • Hardcover • 35,00 Euro

Klaus N. Frick ist Chefredakteur der Science-Fiction-Heftroman-Serie „Perry Rhodan“ sowie Autor zahlreicher SF-Romane und -Kurzgeschichten.