Ungekämmt und unrasiert

„Hewligans fiese Frise“ von Peter Milligan und Jamie Hewlett ist eine saulustige Meditation über die Untiefen des Absurden.

Ob im Sport, in der Politik oder in der Kunst: Oft sind die Kopfhaare von Prominenten das interessantere Thema als das, was sie eigentlich getan haben. Das kann man finden, wie man will, aber wer sich dafür interessiert, warum eine Frisur die ganze Welt auf den Kopf gestellt hat, muss Peter Milligans und Jamie Hewletts „Hewligans fiese Frise“ lesen.

Die Story erschien ursprünglich im britischen Magazin „2000AD“ in den Ausgaben 700 bis 707 (1990). Danach wurde sie unter dem Originaltitel „Hewligan’s Haircut“ u. a. in „Classic 2000AD 11“ (1996) sowie 2003 bei Rebellion Books komplett veröffentlicht, wohingegen sie in Deutschland bislang nicht herausgegeben wurde. Wie soll man einen handlungsarmen Comic über einen Irren mit wilder Frisur auch vernünftig bewerben? Vielleicht sollte man einfach zugeben, dass er schlichtweg schweinegut ist. Peter Milligan und Jamie Hewlett haben auf 44 Seiten die Untiefen des Absurden erforscht.

Hewligan, der Name ist eine Zusammensetzung der beiden Künstlernamen, bekommt in der Psychiatrie einen Ratschlag, der an uns alle gerichtet sein könnte: „Saubere Nägel stehen für eine gute geistige Gesundheit. Es ist egal, ob du irre bist oder nicht. Wichtig ist nur, so zu tun, als wärst du ganz normal.“ Versteckt unter lauter Absurditäten, hervorgebracht von der fratzenhaften Krankenschwester mit dem Namen Hutmacherin, ist das natürlich vollkommen ernst gemeint. Was sollte Normalität überhaupt anderes sein als eine mit gesellschaftlicher Akzeptanz belohnte Anpassungsleistung. Und wenn die Irren anfangen, die Wahrheit auszusprechen, wissen wir, dass Milligan und Hewlett uns in einer mundus inversus willkommen heißen. Mit sauberen Fingernägeln und einer gigantischen Hochsteckfrisur, die durch ein zentrales Loch zum unwiderstehlichen Blickfang wird, bekommt Hewlett die gewünschte Diagnose und wird von einem Arzt, der offenkundig verrückt ist, entlassen. Nur ist die Welt draußen leider noch viel verrückter als im Kopf des Verrückten.

Laufradfahrende Polizisten, Spiegelbilder auf Ziegelwänden und eine Frau auf einem knallbunten Pferd, die uns nun begleiten wird: Scarlet Gasometer. Hewligan erfährt, dass es Menschen gibt, deren Frequenz quasi nicht richtig eingestellt ist und die daher als „ver-rückt“ gelten. Auch mit Dingen könne das geschehen: „Socken verlieren immer ihre Frequenz. Dasselbe gilt für Schirme und Schlüssel. Und Ufos sind eigentlich die Schuhe von Außerirdischen, die ihre Frequenz verloren haben und in unsere Welt gerutscht sind. Gleichzeitig ist gerade vielleicht ein außerirdischer Astronom total aufgeregt, weil eine Woolworth-Socke über seinem Planeten oszilliert.“ An diesem kurzen Beispiel kann man beobachten, wie der Text immer weiter ins Groteske abgleitet.

„Confused? Utterly Bewildered? Don’t worry! So are we!! It’s all part of the fun“ heißt es an einer Stelle in Milligans „Paradax“ (1984), und das trifft auf manche seiner Comics zu, die leider noch auf eine deutsche Übersetzung warten. Es ist beeindruckend, dass dieser Effekt ständiger Überbietungen und neuer Wendungen gleichermaßen in Text und Bild gelingt. Dass Scarlets Gaul ausgerechnet „Dada“ heißt, ist natürlich kein Zufall, denn an den befreienden Sinnverzicht der Künstlergruppe schließen Milligan und Hewlett lustvoll an: „Schlaf war wie ein seltsamer Traum voller Würstchen.“

Auch das visuelle Prinzip besteht darin, die Erwartungen der Leser*innen ständig zu unterlaufen. Die achtteilige Story startet schwarz-weiß, wechselt aber rasch zu Farben und später wieder zurück. Die Ausrichtung der Panels variiert, und mittendrin sehen wir die beiden zentralen Akteure zuerst in kubistischer Manier und dann im Andy-Warhol-Stil. In die Zeichnungen werden Fotografien montiert, und als Hewligan eine Tür zeichnet, können die Figuren natürlich auch hindurchgehen.

Peter Milligan („Enigma“) und Jamie Hewlett („Tank Girl“) haben mit „Hewligans fiese Frise“ eine kunstvoll überdrehte Geschichte ersonnen, die sich nicht darin erschöpft, alles zu übertreiben, sondern der es gelingt, immer neue Ausdrücke des Absurden zu finden und daneben auch immer mal wieder andere Töne anzuschlagen – so wird es etwa, als schließlich Hewlett und Scarlet Gasometer sich trennen, durchaus auch melancholisch.

Irgendwie passt es zu diesem verrückten Buch wie die Faust aufs blaue Auge, dass es nur 15 Euro kostet, obwohl 17 Euro draufsteht. Wer das investiert, erfährt am Ende, warum die Frisur in diesem Fall eine so weltverändernde Wirkung hatte. Das ist nämlich so weird, dass man es niemals hätte erraten können.

Peter Milligan (Autor), Jamie Hewlett (Zeichner): Hewligans fiese Frise • Aus dem Englischen von Melisande Müller • Kult Comics, Leipzig 2023 • 64 Seiten • Softcover • 15,00 Euro

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate.de, Alfonz und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.