Die Berliner Comiczeichnerin Tina Brenneisen ist mit dem Comic „Das Licht, das Schatten leert“ bekannt geworden, in dem sie den Tod ihres Babys verarbeitet. Nun hat sie mit „Oblomowa“ einen Klassiker der russischen Literatur adaptiert.
Die Oblomowa ist eine Nervensäge. Den ganzen Tag liegt sie im Bett, lamentiert über das Elend der Welt und darüber, dass man ja doch nichts daran ändern kann. Und richtet es sich bequem ein in diesem Elend, das dadurch versüßt wird, dass die Eltern ihren Lebensunterhalt finanzieren. Den Haushalt schmeißt eine Freundin, die bei der Oblomowa mitwohnen darf, weil sie sich wegen der horrend gestiegenen Mieten kein Zimmer leisten kann.
Tina Brenneisen hat sich für diesen Charakter von dem Roman „Oblomow“ von Iwan Gontscharow inspirieren lassen. Darin geht es um einen russischen Adeligen, der Mitte des 19. Jahrhunderts seine Introvertiertheit und seine Untätigkeit pflegt wie ein wertvolles Statussymbol. Und dabei bricht ihm so nach und nach seine Lebensgrundlage zusammen, weil seine Landwirtschaft immer maroder wird.
Auch die zeitgenössische Oblomowa pflegt ihr Nichtstun als ihren persönlichen Stil, der von ihr als ausgesprochen vernünftig argumentiert wird. Der zahlreiche Besuch, den die Oblomowa empfängt, strotzt nur so vor Tatendrang und Aktivismus. Da ist zum Beispiel Antonowitsch, der seinen Körper mit einem ausgefeilten Programm fit hält und darum eine Philosophie der körperlichen – und sogar geistigen – Überlegenheit bastelt. Da ist Irina, die im Job und im privaten gegen Sexismus kämpft und über gar nichts anderes mehr reden kann. Oder die Zwillinge Svenjuschka und Miesowitsch, die für das Tierwohl eintreten und den Klimaschutz und überhaupt die ganze Welt retten wollen.
Oblomowa empfängt ihren Besuch dagegen immer im Bett und lässt sich von niemandem zu Nichts bewegen. Und tatsächlich scheint sie ja recht zu haben: Denn der ganze Besuch tut eben auch nicht viel mehr als sich in Diskussionen und den sozialen Medien zu positionieren. Dadurch, das macht sie in ihren bissigen Kommentaren immer wieder klar, wird die Welt auch nicht gerettet.
Dass das Liegen der Oblomowa und ewige Reden mit den Gästen nicht öde wird, liegt auch an den Bildern, die Tina Brenneisen für diesen Comic entwickelt. Zum einen sind die Typen, die sie mit scharfen Linien zeichnet, prägnant und ungeheur ausdrucksstark. Und dann wirken die Bilder immer wieder wie die Bühne eines Kammerspiels, in dem Methaphern ihren ganz besonderen Auftritt haben. Da wabern Brüste durchs Bild und verstellen Irina den Weg, wenn sie gegen Sexismus wettert. Zum Reden über die eigenen Probleme und psychischen Krankheiten gleitet eine gelbe Decke durch die Bilder, als sollte darunter alles erstickt werden. Und als der psychisch kranke Nachbar zum Thema der Gespräche wird, verwandelt der sich in ein Gespenst, das die Kinder erschreckt. Trotz all dem Elend wirken die Bilder wunderschön, harmonisch, belebt – und kreisen im wahrsten Sinne des Wortes immer wieder um sich selbst.
Den großen Untergang gibt es in diesem Comic nicht. Es gibt nur immer wieder drohende Anzeichen. Da ist ein Brief, den die Oblomowa während des ganzen Comics immer wieder sucht und der vermutlich die Nachricht von den Eltern enthält, dass die ihre Tochter nicht mehr finanzieren wollen. Post kommt auch vom Inkassounternehmen. Und dann ist da die Freundin Anna Katharina, die den Haushalt schmeißt und dafür sorgt, dass das Geschirr abgewaschen wird und die Rechnungen beglichen werden. Sie ist die Einzige, die überhaupt etwas tut – und sie wird die einzige sein, die es schafft, immerhin ihr eigenes Leben zu verändern.
Tina Brenneisen hat mit „Oblomowa“ eine wunderbare Parodie auf eine Gesellschaft vorgelegt, in der es wichtiger ist, große Positionen zu beziehen, als Konkretes im eigenen Leben zu verändern. Besser wird die Welt – und die Oblomowa – dadurch nicht.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 05.03.2024 auf: rbbKultur
Tina Brenneisen: Oblomowa • Parallelallee, Berlin 2024 • 252 Seiten • Softcover • 30,00 Euro
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.