Jordi Lafebres gewitzter Krimi „Ich bin ihr Schweigen“ erzählt von einer jungen Psychiaterin mit bipolarer Störung, die in einem Mordfall auf einem alten Weingut ermittelt.
Barcelona, Katalonien. Der jungen Psychiaterin Eva Rojas wurde die Approbation entzogen. Um diese wiederzuerhalten, muss sie sich in psychiatrische Behandlung begeben. So sitzt Eva nun in der Praxis von Dr. Llull und berichtet ihm in der Therapiestunde, was sie in der letzten Woche alles erlebt hat. Das hat es nämlich in sich: Penelope, eine von Evas langjährigen Patientinnen und jüngster Spross der stinkreichen Weinbaufamilie Monterós, bat sie, als Vertrauensperson mit zur Testamentsverlesung der Großmutter zu kommen. Die lebt zwar noch, will aber die unter Umständen heikle Angelegenheit vor ihrem Tod geregelt wissen.
Heikel deshalb, weil Oma Monterós fünf Töchter und Söhne hat, allesamt mit einem „schwierigen“ Charakter, gelinde gesagt. Das merkt auch Eva, als ihr auf dem Landsitz der Monterós schnell Feindseligkeiten von allen Mitgliedern der Familie entgegenschlägt. Das Alphamännchen und zugleich eigentlicher Firmenchef ist Francesc Monturós, ein berüchtigter Frauenheld. Auch er kabbelt sich mit Eva – und wird später tot aufgefunden. Ein Giftmord. Entdeckt wird seine Leiche ausgerechnet von Eva, die sogleich von der Polizei als Verdächtige eingestuft wird.
So beginnt ein außergewöhnlicher Krimi mit einer Hauptfigur, die eine komplexe und etwas exzentrische (wie sie selbst weiß und sagt) Persönlichkeit aufweist: Eva hat eine bipolare Störung. Sie schläft schlecht und wenig, redet geradeheraus, wechselt fliegend das Thema und verbeißt sich schnell in den Fall. Sie ermittelt also auf eigene Faust – gründlich, unkonventionell, stets riskant und mit analytischem Scharfsinn. Der Clou für uns Leserinnen und Leser sind dabei die Stimmen, die Eva immer hört. Die stammen von drei verstorbenen Verwandten, die für uns sichtbar sind und süffisant das Geschehen kommentieren – für Eva sind sie praktisch unsichtbare Ratgeberinnen.
Die Mitglieder der Familie Monterós sind auf Macht und Geld fixiert (man stellt einen Qualitätsschaumwein her), weshalb sich auch niemand vom Todesfall sonderlich erschüttert zeigt. Eva sondiert die Verdächtigen, findet diverse Leichen im Keller und wird dabei selbst von der leitenden Polizistin kritisch beäugt. Sukzessive entdeckt Eva Verbindungen, muss sich schließlich ihren größten Ängsten stellen und ein altes Trauma überwinden.
In seinem neuen Comic „Ich bin ihr Schweigen“ hält Autor und Zeichner Jordi Lafebre („Trotz allem… Liebe“, „Lydie“, „Wundervolle Sommer“) die Spannung stets hoch und setzt seine ungewöhnliche Heldin Eva ins Zentrum des Geschehens, bis es zur originellen Auflösung und zum Beweis ihrer Unschuld kommt. Während Eva gerne eine sarkastische Ader beweist, sorgen ihre drei unsichtbaren Begleiterinnen für etwas warmherzigen Humor. Dadurch bleibt die Erzählung bis zum Schluss ein wunderbares Lesevergnügen. Lafebres Zeichnungen sind immer dynamisch und akzentuiert, in einem klaren, eleganten wie pointierten Strich. Ein absolut empfehlenswerter Band!
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Jordi Lafebre: Ich bin ihr Schweigen • Aus dem Französischen von Hanna Reininger • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 104 Seiten • Hardcover • 25,00 Euro
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.