Mörder in der Grube – „Colt & Coal“

Western, Krimi, Arbeiterkampf: Eine brutale Mordserie in der Kleinstadt Newcastle kommt der korrupten Obrigkeit nur recht, um gegen die Gewerkschaft zu agitieren.

Newcastle, ein Städtchen in Wyoming, im Jahr 1894. Sheriff Jim Teasle und sein Deputy beschäftigen sich mit Routineaufgaben und halten ohne Mühe die Ordnung aufrecht. Bis ein Mord geschieht. Nicht in der Stadt, sondern in der nahen Kohle-Mine, wo etliche Bergleute, darunter viele tschechische Einwanderer, unter widrigen Bedingungen schuften und in einer riesigen Zeltstadt hausen.

Minen-Besitzer Horace Frick, der in einer feudalen Villa oberhalb der Stadt lebt, setzt Teasle mit der Aufklärung des Mordes unter Druck und will dabei zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Man beschuldigt einfach die Bergleute, die eine Gewerkschaft gründen wollen, und schafft sich damit die Bedrohung aus dem Weg. Doch dann geschieht ein weiterer Mord…

„Colt & Coal“ ist ein Western mit Krimi-Plot. Es gilt einen brutalen Mörder zu finden. Doch erstaunlicherweise zeigt die Obrigkeit in Person des Sheriffs und des Minen-Oberaufsehers Ben Cornwall wenig Interesse, den wahren Täter zu überführen. Ihre einzige Priorität lautet, einen Aufruhr unter den Bergleuten zu verhindern. So verlässt der eigentlich integre und idealistische Teasle den Pfad der Redlichkeit, um seine Stadt vor potenziell marodierenden Bergleuten zu schützen. Minen-Besitzer Frick, der bereits auf Errungenschaften wie Telefon und Automobil setzt, beutet er die Einwanderer gnadenlos aus und wird dabei reich. Die Bildung einer Gewerkschaft wäre da nur hinderlich. So lassen sich bequem und präventiv die vermeintlichen Gewerkschafter ausschalten.

Doch dann übernimmt die Krimi-Handlung auf dramatische Weise wieder das Kommando, u. a. mit einem schönen Bezug auf die tschechische Golem-Legende. Autor Vincent Brugeas („Kosaken“, „Die Totenkopfrepublik“) stellt das Lager der Bergleute als sozialen Brennpunkt dar. Die Menschen vegetieren im Dreck und benötigen nur einen Grund, um aufzubegehren. Den Kontrast bildet das Musterstädtchen Newcastle selbst mit einem Sheriff, der nur vermeintlich ein Saubermann ist.

Die Zeichnungen in diesem abgeschlossenen Einzelband stammen von Mr. Fab (d. i. Fabien Esnard-Lascombe). Sein realistischer Stil, der auch in der SF-Reihe „Der Turm“ zu bewundern ist, kommt sehr detailliert daher, in stimmigen Farben – bevorzugt Brauntöne –, die das Geschehen an alte, zeitgenössische Fotografien erinnern lassen. Dabei glänzt er erst recht mit seinen Nachtszenen und mit der langen, fast wortlosen Feuersequenz. Ein durch und durch ungewöhnlicher, optisch opulenter Western.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Vincent Brugeas (Autor), Mr. Fab (Zeichner): Colt & Coal • Aus dem Französischen von Harald Sachse • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 72 Seiten • 19,80 Euro

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.