Roboter, Tiefseetaucher und der Mann im Mond

Es geht hoch hinauf und tief hinab in Frauke Bergers neuem Comic „Fly me to the moon“, der Mondreisen und Tiefseetauchen miteinander verbindet. Eine ruhige Science-Fiction-Geschichte über Selbstfindung, Zeit(losigkeit) und Liebe zwischen Maschinen.

Nach ihrem Debüt, der zweiteiligen Cli-Fi-Comicserie „Grün“ (2018 und 2019 im Splitter Verlag), und zwei Kollaborationen mit Autor Boris Koch („Die Schöne und die Biester“, 2020, und „Das Schiff der verlorenen Kinder“ 1-3, 2021-2024, alle Splitter Verlag), ist mit „Fly me to the moon“ (Atlantis Verlag, Edition Cozmic) nun Frauke Bergers zweite selbstständige Veröffentlichung erschienen. Aus acht Kapiteln und einem Anhang mit Making-of besteht das 144 Seiten starke Album, wobei sieben Kapitel bereits in der ebenfalls vom Atlantis-Verlag herausgegebenen Comic-Anthologie „Cozmic“ als Kurzgeschichten erschienen sind.

Wer mit Bergers Comics vertraut ist, erkennt beim Aufschlagen von „Fly me to the moon“ ihren Zeichenstil schnell wieder. Eine etwas dickere Strichführung und deutlich sichtbare Schraffuren umranden und gestalten detailreiche Hintergründe und mangahafte Figuren, Sprechblasen bleiben rahmenlos, und Panelinhalte treten nur selten über die gezeichneten Panelränder hinaus. Diese Stiltreue hält jedoch nicht lange an. Nach den ersten vier Kapiteln – und bemerkenswerterweise mit Beginn des titelgebenden fünften Kapitels „Fly me to the moon“ – macht sie Platz für kreative Abweichungen und stilistische Experimente, die im letzten Kapitel ihren Höhepunkt erreichen. Das achte Kapitel stellt das längste, sowohl zeichnerisch als auch inhaltlich anspruchsvollste und gleichzeitig das einzige Kapitel dar, welches nicht zuvor in der „Cozmic“-Anthologie erschienen ist. Bergers typischer mangahafter Stil weicht geometrischen Farbflächen mit gepunktet-rauschigen Schattierungen – ganz ohne Rahmungen, Umrandungen und gestrichelte Schraffuren. Eine Retrostimmung stellt sich ein, sicherlich nicht zuletzt, um eine Rückblende in die 1960er Jahre – wortwörtlich – zu untermalen. Es ist vor allem dieses Kapitel, das Bergers neues Album zu einem besonderen und in ihrem Œuvre einzigartigen macht, findet man diese Art des Zeichnens in ihren vorigen Arbeiten doch – bis auf wenige Ausnahmen in Titelbildillustrationen für das Onlinemagazin „Perspective Daily“ – gar nicht. Allein dafür lohnt es sich, einen Blick in „Fly me to the moon“ zu werfen.

Aufgrund ihrer Publikationshistorie in der „Cozmic“-Anthologie sind die anderen Kapitel oft sehr kurz und bilden jeweils eine farbliche Einheit: Ein Farbton stellt den wiederkehrenden Hintergrundton eines Kapitels dar und setzt die Stimmung, die den gesamten Band hindurch ruhig und unaufgeregt bleibt, obwohl sich Bergers Protagonistin und ein Roboter gemeinsam auf ein Abenteuer begeben, das sie bis auf den Meeresgrund führt. Die Protagonistin ist eine namenlose Schrotttaucherin mit kurzen weißen Haaren, die im Meer nach alten Robotern und Ersatzteilen sucht. Sie lebt allein mit einer Gruppe defekter Roboter im obersten Haus eines Turms aus Gebäuden, der längst über 3000 Stockwerke hinausgeht. Grund dafür ist der stark gestiegene Meeresspiegel, der die Bewohner:innen der Erde in der Vergangenheit dazu zwang, ihre Turmstädte immer höher zu bauen. Mittlerweile sind sie alle auf den Mond ausgewandert – bis auf besagte Schrotttaucherin. Der Mond ist auch ihr Ziel, aber die Fähre, die nur noch einmal jährlich verkehrt, ist dieses Jahr schon wieder nicht gekommen. Ein weiteres Jahr Wartezeit zur Hand entscheidet sie sich dazu, mit dem zuletzt von ihr reparierten Roboter auf Tauchkurs zu gehen, um nach einem Schatz zu suchen, den der Roboter schon lange vermisst. Der Schatz stellt sich als eine KI aus den 1960ern heraus, in deren Avatar der Roboter verliebt ist und die vielleicht dabei helfen kann herauszufinden, wieso die Fähre seit Jahren nicht mehr zur Erde kommt und was der Mann im Mond damit zu tun hat.

Es geht also um nichts Geringeres als eine überschwemmte, von Menschen verlassene Erde und um diejenigen, die auf ihr zurückbleiben. Dabei werden große Fragen verhandelt: Können sich ein Roboter und eine KI verlieben? Wie nehmen Maschinen und andere Nicht-Menschliche Zeit wahr, wenn sie nicht altern? Gibt es Individualität und Identität in einer Welt voller Kopien und äußerlich veränderbaren Avataren? Oder, wie Frauke Berger es in ihrem Nachwort formuliert, kann „aus Kopien etwas Eigenständiges entstehen“?

Auch erzählerisch ähnelt „Fly me to the moon“ Bergers Debüt „Grün“: Ein komplexer Plot, dessen Vorgeschichte lange im Verborgenen bleibt und nur auszugsweise aufgeschlüsselt wird, führt ebenso wie teilweise fragmentierte Dialoge, Logiklücken und unerwartete Zeitsprünge dazu, dass eine Lektüre nicht ausreicht, um die Geschichte vollends zu begreifen. Das ist allerdings kein Nachteil, machen die ästhetisch anspruchsvollen sowie zum Ende hin immer experimentelleren Zeichnungen doch jedes neue Lesen zu einer weiteren angenehmen und anregenden Erfahrung, bei der sich immer wieder neue Details entdecken lassen – wie zum Beispiel die unterschiedlichen Sprechblasenformen und Schriftarten, die verschiedene Daseinsformen von Mensch über Roboter bis zur KI markieren. Von Frauke Bergers neuem Album kann man ästhetisch und inhaltlich also lange zehren, solange man sich nicht von ein paar unbeantworteten Fragen (und leider ein paar Schreibfehlern im Text) stören lässt. „Fly me to the moon“ ist eine zu gleichen Teilen wohltuende und rätselhafte Geschichte, irgendwie nah und trotzdem ganz weit weg von unserer Lebensrealität – eine ruhige Erzählung über eine klimagewandelte Welt mit autonomen KIs, die ganz ohne Katastrophe, moralische Appelle und Zukunftsangst auskommt. Wie schön.

Frauke Berger: Fly me to the moon • Atlantis Verlag, Stolberg 2024 • 144 Seiten • Hardcover • 28,00 Euro

Marie Müller hat ihre Leidenschaft für Comics zu ihrem akademischen Schwerpunkt gemacht. Sie promoviert zu Comics und Graphic Novels mit nicht-menschlichen Figuren und ökologischen Themen. Ihre literatur- und kulturtheoretische Analyse zu Frauke Bergers „Grün“ ist als Buch erschienen.