In „Golden West“ zeigt Christian Rossi die Eroberung des amerikanischen Westens konsequent aus indigener Perspektive.
Nach seinem beeindruckenden Ausflug in die griechische Legenden- und Sagenwelt nach Troja („Das Herz der Amazonen“) zieht es Zeichner und Autor Christian Rossi wieder in für ihn vertraute Western-Gefilde. Seine Kurzgeschichten in den von Tiburce Oger verantworteten Anthologien „Go West Young Man“ und „Indians!“ waren zuletzt dort angesiedelt. Aber schon lange vorher gab Rossi dem Western-Genre neue Impulse, beginnend mit seinem Vierteiler „Der Planwagen des Thespis“, der ab 1982 entstand, über „Jim Cutlass“, gemeinsam mit Jean Giraud, und dem mit phantastischen Elementen garnierten „W.E.S.T.“ (wie „Thespis“ im Piredda Verlag erhältlich) bis zum Einzelband „Deadline“, 2014 erschienen, der ebenfalls bei Splitter im Programm ist.
Auch sein neuer Western „Golden West“ ist wieder ungewöhnlich, zeigt er doch das Geschehen ausschließlich aus der Sicht von Woan, einem Chiricahua Apachen, dessen gesamten Lebenslauf wir verfolgen. Die Weißen spielen in dem Band nur Nebenrollen. Woan lebt mit seinem Stamm in Mexiko, im Grenzgebiet zu den USA, stets bedroht von den Weißen, die immer rücksichtsloser in den Lebensraum der Apachen eindringen. Sein Leben nimmt schon früh eine dramatische Wendung: Nach einer von ihm verschuldeten Tragödie stirbt sein bester Freund, weshalb Woan von seinem Stamm ausgestoßen wird und fortan auf sich allein gestellt ist. Im Laufe der Jahre häufen sich die Begegnungen mit Weggefährten und Feinden und münden schließlich in einem Treffen mit Geronimo.
„Golden West“ erzählt keine homogene Geschichte. Vielmehr führt Christian Rossi schlaglichtartig durch zentrale Episoden aus Woans Leben. Wobei die historischen Figuren des Geronimo und der Lozen (die wir bereits aus „Indians!“ kennen) Fixpunkte im Leben Woans bleiben, um die die Story stetig kreist. Das bewegte Leben Woans steht als exemplarisches Indianerschicksal. Es ist gekennzeichnet durch den andauernden und immer aussichtsloser werdenden Kampf gegen die Weißen und damit auch ein existentieller Kampf gegen den Verlust der indianischen Kultur und Lebensweise. Nach anfänglichen Erfolgen nimmt die Historie ihren Lauf: Die Apachen werden unter erbärmlichen Bedingungen in Reservate eingepfercht, Anzeichen von Revolte durch Spione im Keim erstickt. Flüchtige werden gnadenlos verfolgt und getötet. Am Ende müssen Woan und sein Volk kapitulieren, im kriegerischen wie im kulturellen Sinne. Zum Schluss der Erzählung, Jahre später, kollidiert der reale Westen kollidiert mit dem neuen made in Hollywood. Das Abbild hat die Historie besiegt.
Nach „Hoka Hey!“ und (mit Abstrichen) „Hacendado“ präsentiert Splitter mit „Golden West“ den nächsten herausragenden Western-Oneshot. Das Golden im Titel ist blanke Ironie, fokussiert nicht die indigene Bevölkerung, sondern die Eroberung des Westens durch die Weißen. Golden ist jedoch auch das Setting, die Farben der Landschaften im Grenzgebiet in der Sierra zwischen den USA und Mexiko. Die Zeichnungen zeugen einmal mehr von großer Kunstfertigkeit, in einem von Jijé und Giraud begründeten frankobelgischen Western-Stil, jedoch konsequent weiterentwickelt und individualisiert, indem Rossi die klassische Tusche zurücknimmt und stattdessen auf Farbverläufe setzt, was die Panels noch realistischer und atmosphärischer erscheinen lässt. All das macht den Band uneingeschränkt empfehlenswert.
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Christian Rossi: Golden West • Aus dem Französischen von Tanja Krämling • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 176 Seiten • Hardcover • 39,80 Euro
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.