Das französische Künstler-Team Xavier Dorison und Thimothée Montaigne zeichnet in „1629“ die Schiffskatastrope der Batavia nach. Der zweite Band beschließt das dunkle Lehrstück über den Firnis der Zivilisation.
Angst und Schrecken, Gräuel und Tod: Nach dem Schiffbruch der Jakarta bei einer unbewohnten, kargen Inselgruppe etwa 60 km vor der Westaustralischen Küste errichtet Jeronimus Cornelius anno 1629 ein Terrorregime. Cornelius ist stellvertretender Oberkaufmann und damit ranghöchster Vertreter der VOC, der Niederländischen Ostindien-Kompanie, und hat deshalb das Kommando über die 207 Überlebenden der Havarie der Jakarta. Sein Ziel ist jedoch nicht das Wohlergehen der Schiffbrüchigen, sondern einzig und allein die immense Menge an Gold in seinen Besitz zu bringen, die die Galeone geladen hatte. Dazu will er das zu erwartende Rettungsschiff der VOC mit seinen Meuterern kapern. Und alle, die nicht mit ihm gemeinsame Sache machen wollen, umbringen…
Neben dem sadistischen wie charismatischen Cornelius spielt die adelige Lucretia Hans die Hauptrolle in diesem zweiten und letzten Band (hier die Kritik zum ersten), der die tatsächlichen Ereignisse um den Schiffbruch der im Original Batavia benannten Galeone in Comicform darstellt und interpretiert (Batavia ist der koloniale Name von Jakarta, der damaligen Hauptstadt Niederländisch Indiens). Während Cornelius schnell seine Schreckensherrschaft etabliert und anfangs noch unter Vorwänden Überlebende auf andere Inseln schickt oder gleich massakrieren lässt, stellt Lucretia sich ihm trotz der Entbehrungen und Demütigungen entgegen. Für Cornelius ist sie die einzige Trophäe, die er nicht besitzen kann.
Cornelius, ein gescheiterter und vom Leben gebeutelter Ex-Apotheker, wähnt sich auf göttlicher Mission – heute würde man ihn als Sekten-Guru bezeichnen. Er ist eloquent, wortgewaltig und vor allem skrupellos. Selbst kleinste Vergehen lässt er mit dem Tod ahnden. Wer überleben will, muss nach seiner Pfeife tanzen, gleichzeitig mit der Aussicht auf das Gold, das aus dem Bauch der Jakarta gerettet wurde. Selbst Pastor Bastienz predigt bald seine „Lehren“. Cornelius, dem Zeichner Thimothée Montaigne die Züge von Joaquin Phoenix verleiht, residiert in einem großen gestrandeten Wrackteil der Jakarta auf einem Thron – eine finstere Kathedrale inmitten der selbstgeschaffenen Hölle, aus der es kein Entrinnen gibt.
Gehirnwäsche, Todesangst verbunden mit Überlebensinstinkt und die Gier nach dem Gold, das stets vor Augen ist und nur weggeschafft werden muss, lösen einen Opportunismus aus, der jeden Humanismus hinter sich lässt. So entsteht ein gesellschaftlicher Mikrokosmos aus Gier und Verderbtheit, ein Beispiel, wie Menschen in einer isolierten Extremsituation alles Menschliche über Bord werfen und blinder Glaube in Fanatismus umschlägt. Der Schlussakt thematisiert die Frage der Schuld. Und des Rechts. Denn die Methoden der VOC stehen denen der Meuterer um Jeronimus Cornelius kaum nach.
Thimothée Montaigne („Das dritte Testament: Julius“) setzt das Skript von Starautor Xavier Dorison (u. a. „Long John Silver“, „Undertaker“, „Schloss der Tiere“) in beeindruckende, kraftvolle Bilder um, setzt großformatige oder ganzseitige Splashpanels mit Inserts effektiv ein und inszeniert das dramatische Geschehen fast schon kinogerecht. Sein Stil erinnert an Kollegen wie Matthieu Lauffray („Raven“) oder Alex Alice („Siegfried“, „Das dritte Testament“). Auch dieser Band ist wahlweise als eine auf 666 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe mit zusätzlichem Bonusmaterial und exklusivem Kunstdruck erhältlich, wobei schon die Standard-Ausführung im Buchdesign maximal wertig und aufwändig gestaltet daherkommt.
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Xavier Dorison (Autor), Thimothée Montaigne (Zeichner): 1629. Buch 2 • Aus dem Französischen von Harald Sachse • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • Hardcover • 144/160 Seiten • 35/59 (VZA) Euro
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.