Amazing Amézianes Comicbiografie „Martin Scorsese“ folgt dem Regisseur durch die überraschend schwierigen Produktionsgeschichten seiner Filme.
Mit gerade mal vier Jahren sieht der kleine Martin bei seinem ersten Kinobesuch King Vidors Western „Duell in der Sonne“ (1946) und ist fasziniert, ja geradezu hypnotisiert von der Magie des Lichtspiels. Als Kind sizilianischer Einwanderer 1942 im New Yorker Little Italy geboren, unter ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und durch ein Asthma-Leiden oft geschwächt und ruhebedürftig, wächst fortan Martin Scorseses Leidenschaft für den Film. Als kaum weniger magisch erfährt er die Rituale katholischer Gottesdienste, wo er ministriert, irgendwann aber in Ungnade fällt. Diese Dualität zwischen Kino und Religion, Glaube und harter Lebensrealität zieht sich als thematische Konstante später dann auch durch sein umfangreiches Werk und kulminiert schließlich in den heftigen Auseinandersetzungen um seine Literaturverfilmung „Die letzte Versuchung Christi“ (1988). Als eigensinniger, von seinem Beruf besessener Regisseur mit hohem künstlerischen Anspruch schwankt er zugleich unentschieden zwischen den Möglichkeiten des europäischen Autorenfilms und den Zwängen des Hollywoodkinos. Zwar sagt Scorsese, er mache Filme nur für sich selbst. Doch die überraschend durchgehend schwierigen Produktionsgeschichten seiner Filme geben auch Auskunft über sein Ringen um Anerkennung.
Der Spur dieser nervenaufreibenden Kämpfe, in denen sich Erfolge und Niederlagen abwechseln, folgt nun Amazing Amézianes biografischer, ziemlich facettenreicher Comic mit dem schlichten Titel „Martin Scorsese“. Soziale Herkunft und Religion im Zeichen des Kreuzes teilen sich, auch farblich in Grün und Rot getrennt, schon das Albumcover, bevor der französische Comic-Autor dann in fünf Kapiteln relativ chronologisch Scorseses Lebens- und Werkgeschichte aus dessen Ich-Perspektive erzählt. Sehr abwechslungsreich und stilistisch vielfältig gezeichnet, mal die Fläche bis zum doppelseitigen Stimmungsbild, dann wieder die Kleinteiligkeit etwa des Cartoons akzentuierend, öffnet sich diese phantasievolle Graphic Novel für alle möglichen Elemente. Neben filmischen Referenzen, verschiedenen Textformen oder auch der Einbeziehung von Filmplakaten sind es die vielen Hintergrundinformationen, Nebengeschichten und Abschweifungen, die den knapp 400 Seiten starken Comic zu einer kurzweiligen Lektüre machen.

Angesichts der überbordenden Stofffülle kommt es dabei zu abrupten Szenenwechseln, Auslassungen und natürlich unterschiedlichen Gewichtungen. So widmet Amazing Améziane verständlicherweise Scorseses frühem Meisterwerk „Taxi Driver“ (1976), für das er mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, oder auch „Raging Bull“ (1980) sowie der Zusammenarbeit mit Robert De Niro und Drehbuchautor Paul Schrader längere Passagen, taucht immer wieder in die Mafia-Welt diverser Filme, während andere Werke oder auch sein dokumentarisches Schaffen unterbelichtet bleiben. Dabei ist Amézianes Hang zur symbolischen Überhöhung, zur Übertreibung, vor allem aber auch zur teils witzigen Anekdote unverkennbar.
Auch wenn sich der Comic-Künstler laut eigener Aussage dezidiert am „echten Leben“ orientiert, sind es diese kleinen Randbemerkungen, die der Legendenbildung Vorschub leisten. Die Krisen und Abstürze münden einmal in einer Abfolge rein schwarz gemalter Panels. Umso größer und bunter ist die sich aus dem Alltagsgrau erhebende Figurenzeichnung, wenn der zwar anerkannte, aber „risikobehaftete“ Regisseur mal wieder Produktionsschwierigkeiten meistert. Es ist dieser Zwiespalt, aus dem die Comicbiografie des zweifellos leidenschaftlichen und filmbegeisterten Zeichners ihre spannungsvolle Dynamik bezieht.
Amazing Améziane: Martin Scorsese • Aus dem Französischen von Christoph Haas • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 384 Seiten • Hardcover • 49,80 Euro
Wolfgang Nierlin, geboren 1965. Studium der Germanistik, Philosophie und Psychologie in Heidelberg. Gedichtveröffentlichungen in den Zeitschriften metamorphosen und Van Goghs Ohr. Schreibt Film- und Literaturbesprechungen für Zeitungen (Rhein-Neckar-Zeitung, Mannheimer Morgen u. a.) sowie Fachzeitschriften (Filmbulletin, Filmgazette u. a.). Langjährige Mitarbeit im Programmrat des Heidelberger kommunalen Karlstorkinos.

