Wunsch nach Selbstverwirklichung – „Die Knef“

Sie war „Die Sünderin“, Schauspielerin, Schriftstellerin und eine der erfolgreichsten Chanson-Sängerinnen des Nachkriegsdeutschlands: Hildegard Knef. Im Dezember wäre sie 100 Jahre alt geworden. Moritz Stetter hat ihr Leben in einer Comicbiografie nachgezeichnet.

„Es hat alles einen Anfang“ – mit diesem Chanson von Hildegard Knef beginnt auch der Comic. „War der erste Mensch ein Affe – oder war er ein Vampir“ illustriert Moritz Stetter mit zwei Affenporträts, von denen der zweite sein Maul mit den spitzen Zähnen aggressiv aufreißt. Zu den folgenden Liedzeilen „Heute fühlt er sich vollkommen, als Krönung der Natur“ zeichnet er einen brüllenden Hitler und Massen, die ihm zujubeln. Es sind solche metaphorischen Bilder, die den Comic durchziehen und Hildegard Knefs Leben mit all seinen Brüchen eine unglaubliche Wucht verleihen. Und es sind die Chanson-Texte der Knef, die beim Lesen einen Soundtrack bilden.

Moritz Stetter zeichnet Hildegard Knef als einen starken Menschen, der schon als Kind einen eigenen Kopf hat und später seine Ziele auch gegen Widerstände verfolgt. Widerstände gibt es viele. Hildegard Knef wächst im Nationalsozialismus auf, sieht, wie ihre jüdischen Nachbarn deportiert werden und setzt auf eine Schauspielkariere, auch wenn sie damit in Kauf nimmt, zum Arbeitsdienst eingezogen zu werden, wenn das nicht klappt. Wie die Familie dazu steht, zeigt der Chanson-Text, den Stetter dazu laufen lässt: „Man hätt mich enterbt, doch wir hatten kein Geld – und ich folgte dem Ruf auf die Bretter der Welt – von nun an ging’s bergab.“ Dann das Kriegsende, die Chance, Filmschauspielerin zu werden, die Hauptrolle in dem Film „Die Mörder sind unter uns“, der 1946 im zerbombten Berlin gedreht wurde. Eine Chance für Hildegard Knef: Ihr Name wurde groß rausgebracht, weil herauskam, dass der eigentlich bekanntere Hauptdarsteller schon früh Mitglied der NSDAP war.

Mit dem Comic „Die Knef“ zeigt Moritz Stetter auch, wie sehr das Klima der frühen Bundesrepublik von Anpassung und Heuchelei gekennzeichnet war. Der Film „Die Sünderin“ von 1951 ist das prägnanteste Beispiel. Wegen einer sehr kurzen Nacktszene echauffieren sich Vertreter der katholischen Kirche so sehr, dass Hildegard Knef zur Persona non grata wird. Ihre männlichen Kollegen bleiben von dieser moralisierenden Verfolgung verschont.

Stetter zeichnet Hildegard Knef mit klaren schwarzen Konturen und flächigen Farben, die genau die selbstbewusste, in sich ruhende Präsenz widerspiegeln, die typisch für Hildegard Knef ist. Nur manchmal zeichnet er sie als wuschiges, rot zerfließendes Angstwesen, etwa wenn sie in jungen Jahren um eine Rolle bangt. Stetter zeigt damit auf, was er Hildegard Knef in ihrer Autobiografie und Interviews von sich preisgegeben hat. Selbst in solchen Szenen der Angst wirkt sie auf ihr Umfeld souverän – eine ihrer großen Stärken. Zugleich gelingt es ihm, die unterschiedlichen Milieus zu porträtieren, in denen sich die Knef bewegt: vom paternalistisch-strengen Nationalsozialismus über die kargen Nachkriegsjahre bis zum überbordenden Luxus der US-amerikanischen Filmszene, die Hildegard Knef vor allem wegen ihres Konkurrenzdrucks und Sexismus zusetzte – und in der sie Marlene Dietrich als Freundin gewann.

Moritz Stetter arbeitet heraus, wie das Leben von Hildegard Knef immer wieder von Zumutungen gekennzeichnet ist und wie sie all diese Zumutungen pariert. Er zeigt, wie sie ihr Publikum in der Hand hat, wie sie sich zurücknimmt, wenn sie merkt, dass nicht alle im Saal an ihren Lippen hängen – und wie sie genau dadurch die volle Aufmerksamkeit bekommt, wenn sie singt: „Für mich soll’s rote Rosen regnen.“

Hildegard Knef hat in ihrem Leben danach gestrebt, das zu tun, was ihr entspricht. Dieser Wunsch nach Selbstverwirklichung ist so universell, dass die Schauspielerin und Sängerin zur Ikone geworden ist. Das zeigt Moritz Stetter in seinem Comic „Die Knef“ auf sehr dichte und berührende Weise – und liefert auch noch den Soundtrack dazu.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 04.11.2025 auf: radio3 rbb

Moritz Stetter: Die Knef • Carlsen, Hamburg 2025 • Hardcover • 208 Seiten • 26,00 Euro

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.