70 Jahre Blake und Mortimer

Seit 70 Jahren erleben Captain Francis P. Blake, seines Zeichens Mitglied der Militärabteilung des britischen Intelligence Service, und dessen Freund Philip A. Mortimer, Professor der Nuklearphysik, immer wieder spannende und fesselnde Abenteuer.

edgar_pierre_jacobsDer Autor dieser Geschichten, Edgar Pierre Jacobs, gehörte neben Hergé, Jacques Martin und Bob de Moor zur ersten Generation belgischer Comic-Zeichner. Jacobs war ein Mann des Theaters und der Oper, außerdem Lyriker, Maler und Grafiker, bevor er die Serie „Blake und Mortimer” kreierte, die erstmals am 26. September 1946 in der ersten Ausgabe des Comicmagazins Tintin erschien. Seine ineinander fließenden Kombinationen von Genres (Science-Fiction, fantastische Kunst, Krimis), theatralische Elemente und die dramaturgische Einsetzung von Farben ermöglichten ihm die spektakuläre Gestaltungen von Comic-Abenteuern, die zur damaligen Zeit außergewöhnlich waren. Die erzählerische Glaubwürdigkeit und atmosphärischer Dichte der Arbeiten von Edgar P. Jacobs sind auch heute noch außergewöhnlich. Auch die nachfolgenden Bände, die u.a. von Yves Sente & André Juillard sowie Jean van Hamme & Ted Benoit geschaffen wurden, sind ganz im klassischen Stil der Serie gehalten.

 

Erste Comic-Arbeiten  

Im Jahre 1941 wurde Edgar Pierre Jacobs Mitarbeiter des Comic-Magazins Bravo. Nach regelmäßigen Veröffentlichung von Illustrationen und Einzelbildern überträgt ihm die Redaktion die Gestaltung der SF-Serie „Flash Gordon” von Alex Raymond, da durch den Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg im Jahre 1942 kein Material der US-Serie mehr nach Belgien gelangte. Ein schwieriges Unterfangen, denn vom weiteren Handlungsverlauf war nichts bekannt. Außerdem sollten die Zeichnungen dem Stil von Raymond entsprechen. Jacobs meisterte diese Aufgabe sehr gut, obwohl er völliger Neuling auf diesem Gebiet war. Nach fünf fertig gestellten Seiten beendete die „Zensur” der deutschen Besatzer das Abenteuer „Flash Gordon”. rayonu_01Doch die Leser von Bravo hatten Gefallen an Flash Gordon gefunden und so beauftragte die Redaktion Jacobs mit der Kreation einer neuen Serie im Stile von Flash Gordon, die jedoch nicht die deutsche Zensur auf den Plan rufen würde. Das Ergebnis dieser Überlegungen war 1943 schließlich „Le Rayon U”.

„Le Rayon U” (dt. „Der U-Strahl”) ist der Grundstein zu Jacobs eigenständigem Comic-Werk. Er verwendet wissenschaftliche Apparaturen und zeigt ungewöhnliche, aber durchaus vorstellbare Naturereignisse. Vor allem aber kreiert er Charaktere wie Marduk, Kolonel Calder, der später für Captain Blake Modell stand und Dragon, aus dem Olrik wurde. Der Vorläufer von „Blake und Mortimer” war sehr erfolgreich.

 

Jacobs wird Assistent von Hergé / Das Magazin TINTIN

Am 1. Januar 1944 wurde E. P. Jacobs Assistent des schon sehr bekannten „Tim und Struppi”-Autors Georges Remi alias Hergé. Beide Künstler hatten sich 1941 durch einen gemeinsamen Freund, Jacques van Melkebeke, kennen gelernt. Jacobs kam dabei vor allem die wichtige Aufgabe der Umarbeitung von bereits erschienenen „Tim und Struppi”-Abenteuer auf ein einheitliches Albumformat mit einem Umfang von 62 Seiten zu, die der Verlag Casterman wegen der durch den Krieg verursachten Papierknappheit bei Hergé in Auftrag gegeben hatte. Er überarbeitete die Hintergründe von „Tim im Kongo”, „Tim in Amerika”, „König Ottokars Zepter” und „Der blaue Lotus” und kolorierte diese Geschichten. Aber auch an der Gestaltung von neuen Abenteuern war Jacobs beteiligt (Der Schatz Rackhams des Roten/Die sieben Kristallkugeln/Der Sonnentempel).

blaue-lotos1946 zählte Jacobs neben Hergé, Jacques Laudy und Paul Cuvelier zu dem Künstler-Team, das an der Gestaltung des neu gegründeten Magazin Tintin beteiligt war. Es wurde Material gesammelt, Illustrationen und Rubriken entworfen und nebenher auch noch Comics gemacht. Außerdem war jeder Autor alle vier Wochen mit einem Cover dran. Das Ziel war, ein sehr gutes Wochenmagazin zu produzieren. Die erste Ausgabe von Tintin hatte einen Umfang von zwölf Seiten und enthielt Serien der vier Zeichner Hergé, Jacobs, Laudy und Cuvelier. Redaktionell wurde Tintin von Jacques van Melkebeke und künstlerisch von Hergé betreut.

Ab der ersten Ausgabe von Tintin war Jacobs eigene Serie „Blake und Mortimer” fester Bestandteil des Magazins. Das es zu der erfolgreichen Serie überhaupt kam, war im Grunde einer Entscheidung des Tintin-Herausgebers Raymond Leblanc zu verdanken. Jacobs hatte für Tintin zunächst die im Mittelalter angesiedelte Geschichte mit dem Titel „Roland Le Hardi” entworfen. Da aber mit „Corentin” von Cuvelier und „Hassan et Kaddour” von Laudy bereits zwei historische Serien in Tintin enthalten waren, fiel die Wahl auf „Blake und Mortimer”. Die Arbeit an „Blake und Mortimer” nahm Jacobs stark in Anspruch,  und so stand er 1947 vor der Wahl, entweder seine eigene Serie fortzusetzen oder ganztägig als Assistent für Hergé zu arbeiten. Der Forderung von Jacobs, dann auch als Co-Autor von „Tim und Struppi” genannt zu werden, vermochte Hergé nicht zu folgen. Die Zusammenarbeit wurde daher eingestellt.

 

Die Serie Blake und Mortimer

Jacobs war einer der ersten Comic-Autoren, der gezielte Recherchen durchführte und Notizen, Fotographien sowie Skizzen sammelte. Er benötigte diese Dokumentationen, um seine Geschichten authentisch erscheinen zu lassen. Stadtpläne, Karten, Anleitungen, erklärende Schemen und Ausschnitte aus der Presse sind in seinem Werk wiederholt anzutreffen.

bm_kampf-cvrBereits mit der erste Episode der Serie „Blake und Mortimer” gelang es Jacobs, seine Leser durch spannende und interessante Elemente an seine Erzählung zu binden. In einem Interview erinnerte sich Jacobs an diese Anfangsphase: „Als ich mit „Der Kampf um die Welt” begann, war noch Krieg, und die Dokumente, nach denen ich arbeitete, handelten von den Auseinandersetzungen zwischen den Amerikanern und den Japanern im Stillen Ozean. (…)

Ich wollte aber die (…) Japaner als Feinde meiden, und so wählte ich die Tibetaner. (…) Ein anderer wichtiger Handlungsort in „Der Kampf um die Welt”, der Golf von Oman, ist heute im Zusammenhang mit dem Erdölgeschäft für viele Staaten von großer Bedeutung. Auch der „Tigerhai” wurde Wirklichkeit. Die Amerikanern realisierten ein Projekt, welches meinem „Tigerhai” verblüffend ähnelte.”

Der Leser bekommt in „Der Kampf um die Welt” schon 1946 -1949, also nur kurze Zeit nach dem Ende des 2. Weltkriegs, einen Eindruck von den Ausmaßen einer neuen, globalen Auseinandersetzung. Der Autor führt den Lesern alle schrecklichen Möglichkeiten eines neuen Weltkrieges vor Augen. Die Geschichte ist als ein Dokument der Zeitgeschichte zu bewerten, in dem sich Schrecken und Furcht der damaligen Zeit widerspiegeln.

bm_pyramide-cvrNach der Premiere mit „Der Kampf um die Welt” begann in Tintin 1950 „Das Geheimnis der großen Pyramide”: Der Leser kann in dieser Geschichte Jacobs Faszination für das Land Ägypten erkennen. Lebt der „Kampf um die Welt” von Jacobs „Vorausdenken” in der Wissenschaft, Politik und Technik, so ging der Künstler in „Das Geheimnis der großen Pyramide” zurück in die Vergangenheit und erfindet einen neuen Lauf der Geschichte. Um seiner Erzählung die nötige Glaubwürdigkeit zu verleihen, informiert er sich u. a. im Ägyptischen Museum in Kairo. Das Ergebnis seiner langen Arbeit beeindruckt schon 1950/51/52 bei seiner Veröffentlichung in Tintin. Die graphische Qualität und die umfangreichen realen Dokumentationen fanden allgemeine Anerkennung.

Nach den mehr historischen Abenteuern seiner Helden in Ägypten und den kriminologischen Erlebnissen in dem vielleicht besten Band aus Jacobs Feder, „Das gelbe M”, wendet sich Jacobs 1955 wieder seiner Vorliebe, der Science-Fiction, zu. Jacobs verband das einfache Schema einer „Space-Opera” (wie bei Flash Gordon) und die Atlantis-Sage. Durch diese Mischung beider Elemente wurde aus dem vierten Abenteuer, „Das Geheimnis von Atlantis”, eine völlig neue Art der Erzählung. Auffallend ist die große Detailfülle des Albums, die auf umfangreiche Recherchen Jacobs zurückzuführen sind.

bm_gelbem-cvrNach „SOS Meteore”, in der Jacobs den Lesern eine Geschichte über Wetterphänomene und ein Spionagenetzwerke präsentiert, greift der Autor in der sechsten „Blake und Mortimer”-Story „Die teuflische Falle”, den faszinierenden Aspekt der Zeitreise auf, der bestens für gefährliche und unbekannte Abenteuer geeignet ist. Seit „Die Zeitmaschine” von H.G. Wells waren Zeitreisen ein sehr beliebter Stoff und so konnte auch Jacobs dieser Thematik nicht widerstehen. „Die teuflische Falle”, eine Geschichte über Moralvorstellungen und Zukunftsapokalypsen, wurde aufgrund seines Inhalts zu einem umstrittenen Album.

Die folgende siebte Story, „Die Diamanten-Affäre”, wurde ein ganz normaler Kriminalfall. Der Leser wird von einer gut durchdachten und spannenden Handlung unterhalten. Der besonders reizvolle Jacobs-Stil fehlt der Geschichte jedoch.

Leider blieb das von Jacobs auf zwei Alben angelegte achte Abenteuer, „Die 3 Formeln des Professor Sato”, unvollendet. Die 1971/1972 in Tintin vorabgedruckte, und 1977 bei Lombard als Album veröffentlichte Geschichte war die letzte, die noch von Jacobs selbst sowohl geschrieben als auch gezeichnet wurde. Wieder wurden umfangreiche Recherchen erforderlich. Durch Beziehungen zu einem an der Universität von Tokio dozierenden Professor gelang es Jacobs, einen westlichen Comic mit japanischem Verhaltensmuster zu schaffen. Trotz der langen Zeit bis zu seinem Tode im Jahre 1987 gelang es dem Perfektionisten Jacobs nicht mehr, den zweiten Teil zu beenden. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Edgar Pierre Jacobs mit seiner Frau in seinem Haus im Süden von Brüssel.

1990 übernahm Bob de Moor, nach dem Szenario von E. P. Jacobs, die zeichnerische Umsetzung des zweiten Teils von „Die 3 Formeln des Professor Sato” (Mortimer gegen Mortimer). 1996 waren es Jean van Hamme und Ted Benoit, die mit „Der Fall Francis Blake” den Comic-Klassiker wieder aufnahmen. Insgesamt sind seit 1996 elf neue Alben von Blake und Mortimer erschienen. Der neueste Band der Serie heißt „Der Stab des Plutarch” und stammt von dem Team Yves Sente und André Julliard.

Sämtliche Alben sind im Carlsen Verlag erschienen. Bei Salleck Publications gibt es außerdem Luxusausgaben der Bände 13-20 sowie den Sonderband „Das letzte Kapitel“.

Text via PPM.