Die Dynastie der Riesen

Im Dezember erscheint der Finalband des Comic-Bestsellers „Fables“ auf Deutsch. Zeit, sich nach neuen außergewöhnlichen Märchen-Fantasy-Comics für Erwachsene umzusehen …

Etwa in Frankreich. Aus dem comic-freundlichen Nachbarland stammt z. B. „Petit“ von Szenerist Hubert (Fräulein Rühr-Mich-Nicht-An) und Zeichner Bertrand Gatignol. In ihrer Graphic Novel erzählen die beiden von Petit, dem kleinen Sohn eines zwar königlichen und gottgleichen, jedoch durch Inzucht degenerierten Riesen-Geschlechts. Eigentlich soll der schändlich winzige Petit, eine Schande für den barbarischen König, gleich nach der Geburt sterben. Doch der Kleine überlebt und genießt fortan den Schutz seiner gigantischen Tante, die sich als Einzige ihrer gewaltigen Sippe dem Verzehr von Menschenfleisch verweigert.

So wächst Petit im Geheimen zu einem jungen Riesen heran, der etwas größer ist als ein normaler Mensch. Doch im Schloss der Kolosse, die wie dekadente Götter leben, ist im Grunde nichts normal. Menschen werden auf der Farm gezüchtet und enden als Snacks und Menüs, jeder treibt es mit jedem, und die menschlichen Wachen sind nicht weniger grausam als ihre halb verrückten Herren und Herrinnen. Und selbst wenn Petit sich zwischen den Welten in eine schöne Menschenfrau verliebt und diese seine Gefühle sogar erwidert, kann er sich der Liebe nicht hingeben aus Angst, dass die Frucht seiner Leidenschaft den Körper seiner Angebeteten sprengen könnte, wie das in seiner Familie mehr als einmal vorkam.

Huberts und Gatignols „Petit“ ist erwachsene Märchen-Fantasy von der feinsten und finstersten Sorte. Indem sie die Märchen-Klischees in mehr als Grimm’sche Härte tunken, treiben sie den Riesen jeden Rest-Hauch von Disney aus. Nebenbei streifen sie historische und moralische Themen im Einzugsgebiet von Dynastien und Traditionen. Die schwarzweißen, ausdrucksstarken und recht giblinesken Comic-Seiten machen dabei genauso viel her wie die Story oder die eingestreuten, illustrierten Prosa-Kurzgeschichten aus dem ‚Buch der Ahnen’, welche die Geschichte des Riesen-Geschlechts aufbereiten. Zusammen mit der schönen Aufmachung des Hardcovers ergibt das ein richtig schönes ‚Comic-Buch’ – wo diese Übersetzung für das englische ‚comic book’ sonst meist daneben geht, passt sie hier wegen des Märchen-Nenners ausnahmsweise mal.

Kein Märchen: „Petit“ ist ein Riese im Comic-Herbst des Jahres 2015.

Hubert, Bertrand Gatignol: Petit. Riesen wie Götter. Reprodukt, Berlin 2015. 174 Seiten, 29,00 Euro

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