Horrorliteratur als Comic

Comicadaptionen der Werke Lovecrafts gibt es viele. Die Lovecraft-Comics, die Alberto Breccia 1973 veröffentlicht hat, sind zu Klassikern geworden – weil sie dem Horror kein Gesicht geben.

Von Anfang an ist da eine Distanz in dem Comic – so als würde man aus sicherer Position beobachten – denn Alberto Breccia übernimmt nicht einen Dialog aus Lovecrafts Erzählungen, sondern nur dessen nüchterne Beschreibung. In den Schrecken hineingezogen wird man trotzdem immer wieder: „Ich kann nicht beschreiben, warum mich ein solches Entsetzen durchfuhr, doch eine Welle von Ekel und Abneigung überschwemmte mich. Die Gestalt neben mir ähnelte nicht mehr meinem alten Freund, sie glich eher einem monströsen Eindringling aus dem Weltraum, einer höllischen Verdichtung unbekannter und bösartiger kosmischer Kräfte.“

Es geht um Menschen, die besessen sind, wahnsinnig werden, seltsame Träume haben, die vielleicht doch keine Träume, sondern real sind. Immer wieder liegt die Wurzel all der mysteriösen Geschichten in dem Buch Necronomicon – eine mystische Erfindung H. P. Lovecrafts, das in seinen Erzählungen immer wieder auftaucht – genauso wie die Monster, die darin beschrieben werden. Der schreckliche Cthulhu etwa, der die Macht hat, alles Leben auf der Welt auszulöschen und dem die Mannschaft eines Schiffs in der Erzählung „Cthulhus Ruf“ begegnet: „Johansen berichtet, dass in jenem unseligen Augenblick zwei Männer aus schierer Angst starben. Das Ding entbehrte jeglicher Beschreibung, und es gibt keine Worte für solche Abgründe kreischenden und uralten Wahnsinns. Diesen grausigen Widerspruch zu aller Materie, Energie und kosmischer Ordnung, das Ding von den Götzenbildern, die grüne schleimige Brut von den Sternen, war erwacht, um ihr Recht einzufordern.“

Alberto Breccia (Text und Zeichnungen): „Lovecraft“.
Aus dem Spanischen von André Höchemer. Avant Verlag, Berlin 2018. 128 Seiten. 29 Euro

Wie soll man so etwas zeichnen? Es gibt zahllose Comics und Fanart, die diesen Cthulhu als Riesenkrake abbilden, mit unzähligen Tentakeln, von denen jeder Einzelne so stark aussieht, als könne er ein ganzes Schiff niederstrecken – und die in der Summe der wuselnden Arme dann doch eher possierlich wirkt. Breccia verzichtet auf derlei Illustrationen und fasst den Schrecken in eine Ansammlung von Strukturen, die sich aus dem Meer erheben: Pinselstriche, mal wild, mal ungelenk, mal dezidiert als Tupfen gesetzt – und allesamt ergeben kein eindeutiges Bild. Das, was da aus dem Meer auftaucht, könnte genauso gut ein üppiges Blumengebinde sein wie ein Monster. Breccia zeichnet so das Unbeschreibliche.

Überhaupt liegt sein Hauptaugenmerk auf der Bildkomposition. Für jede Geschichte erfindet er einen eigenen Stil. Auch für „Der Schatten über Innsmouth“ – in der Geschichte reist ein junger Mann zufällig in diese Stadt, in der seltsame Riten abgehalten werden. Um mehr darüber zu erfahren, will er einen Trunkenbold auf der anderen Seite des Flusses befragen: „Vor dem Brückeneingang hatte man ein Warnschild aufgestellt, ich nahm das Risiko dennoch auf mich und überquerte sie zum südlichen Flussufer. Dort traf ich auf flüchtige Gestalten, die ungeschickt umherliefen und mich geheimnisvoll anschauten.“

Breccia malt dazu Tusche-schwarz gekleidete Männer, wie durch einen Zerrspiegel verzogen. Die Hauptfigur daneben wirkt kernig, kantig und gradlinig, Gesicht und Haltung sind mit wenigen Strichen effizient gezeichnet, als sei dieser Mann ein Sinnbild für Rationalität. Nur über Revers und Weste prangen ein paar Kleckse, als seien sie von den Tusche-Männern rüber gespritzt. Erste Anzeichen von Wahnsinn? „Die Verstohlenheit und das Mysterium schienen Allgegenwärtig in dieser modernden Stadt des Verfalls und des Todes. Ich wurde das Gefühl nicht los, ständig aus irgendwelchen Ecken von verschlagenen Augen beobachtet zu werden, die mich ohne zu blinzeln anstarrten.“

Alberto Breccia durchsetzt seine Zeichnungen in dieser Geschichte immer wieder mit Collagen: Klinkerwände, Pillendosen oder die Wellen eines Flusses wirken auf Fotoschnipseln zwischen den mitunter verwaschenen Tuschearbeiten bezaubernd und zum Greifen echt. Doch dann werden die Risse der einzelnen Fotoschnipsel immer offensichtlicher – so als würde die Welt aus den Fugen geraten. Und das tut sie auch, als der junge Mann erfährt, dass er mit dem Mann verwandt ist, der die Stadt Innsmouth ins Verderben gestürzt hat. „Die tiefen Wesen können nie vernichtet werden, wenn sie sich bisweilen auch dem vergessenen Zauber der alten Wesen beugen mussten. Bisher ruhen sie, doch eines Tages werden sie vollständig erwachen und wieder aufsteigen, um den vollständigen Tribut zu fordern.“

Breccias Bilder in dem Band „Lovecraft“ sind so schaurig schön, dass man sich viele einzeln an die Wand heften möchte. Alle Bilder zusammen ergeben einen Comic, der die Vielschichtigkeit von Lovecrafts Literatur deutlich werden lässt – und das Schaudern vor dem Unbegreifbaren.

Dieser Text erschien zuerst am 16.04.2018 auf: Deutschlandfunk.

Hier gibt es eine weitere Kritik zu „Lovecraft“.

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

Seite aus „Lovecraft“ (Avant-Verlag)