Bildlösungen für das namenlose Grauen

Alberto Breccia eröffnet mit damals noch unkonventionellen Techniken ein amorphes Lovecraft-Universum der Düsternis.

„Das namenlose Grauen“, das im Zentrum der Werke von H. P. Lovecraft stand – und das trotz seiner unfreiwilligen Komik in seiner manischen Exaltiertheit dennoch ein Faszinosum ist – inspirierte den uruguayischen Comic-Künstler Alberto Breccia (1919-1993) zu einer zweijährigen (1974/75), intensiven Beschäftigung mit dessen Texten. „Lovecraft“ versammelt diese Arbeiten Breccias, basierend auf eigenen Szenarien und solchen von Norberto Buscaglia.

Alberto Breccia: „Lovecraft“.
Avant-Verlag, Berlin 2018. 126 Seiten. 29 Euro

Wie, so Breccias Ansatz, kann man wohl Bildlösungen finden für die bei Lovecraft immer wieder lediglich behaupteten, aber nie explizierten Prädikationen wie „namenlos“, „wahnsinnig“, „unerhört“, „abscheulich“, „zutiefst verderbt“, „grauenerweckend“, „gottlos“, „verflucht“ ad infinitum? Also alles, was auf das Numinose, das Amorphe, auf die verdrängten Ängste und Obsessionen, auf das Gefühl der Bedrohtheit und des nackten Terrors abzielt, das die Lovecraft-Gemeinde so tief verunsichert und verstört (oder in schiere Angstlust versetzt), ohne es bis Albernheit zu konkretisieren (Schleimmonster oder anderes parallelweltliches Viehzeug sind schlichtweg immer albern). Und so entwirft Breccia mit damals noch unkonventionellen Techniken (Tusche, Monotypie, Collage, Wisch- und Reißtechniken etc.) ein in der Tat amorphes Universum der Düsternis und beklemmender Atmosphäre, die, ohne sich allzu lange mit der Semantik Lovecraft’scher Texte aufzuhalten, eine sehr autoritative Autonomie aufbauen, indem sie Interpretations- und Projektionsspielräume ganz weit öffnen. Dass das „Grauen“ ein Jahr später, 1976, in Argentinien eine sehr andere, sehr konkrete Form annahm, könnte man in den Lovecraft-Arbeiten symbolisch präfiguriert sehen. Muss man aber nicht. Die Genialität von Breccias Bilder spricht für sich selbst.

Diese Kritik erschien zuerst in der Kolumne Leichenberg 07/2018 auf: CulturMag

Hier gibt es eine weitere Kritik zu „Lovecraft“.

Thomas Wörtche, geboren 1954. Kritiker, Publizist, Literaturwissenschaftler. Beschäftigt sich für Print, Online und Radio mit Büchern, Bildern und Musik, schwerpunktmäßig mit internationaler crime fiction in allen medialen Formen, und mit Literatur aus Lateinamerika, Asien, Afrika und Australien/Ozeanien. Mitglied der Jury des „Weltempfängers“ und anderer Jurys. Er gibt zurzeit das Online-Feuilleton CULTURMAG/CrimeMag und ein eigenes Krimi-Programm bei Suhrkamp heraus. Lebt und arbeitet in Berlin.

Seite aus „Lovecraft“ (Avant-Verlag)