„James Bond ist ein imperialistisch-kolonialistisches Gebilde“

Wäre James Bond ein echter Mensch – und hätte außerdem zahllose internationale Spionage-Aufträge hinter sich –, er hätte jede Menge Narben, die seinen Beruf belegen würden. Sein Körper wäre ein Flickenteppich aus Verletzungen, neueren und älteren, und jede würde eine Geschichte erzählen über einen Beinahe-Zusammenstoß mit dem Tod (jedenfalls aber über eine Wunde, die höchstwahrscheinlich schmerzhaft war). Diese Geschichten über gebrochene Knochen und zerstörtes Fleisch stehen im Mittelpunkt der neuen Miniserie „James Bond: The Body“ (Dynamite Comics; dt. Splitter Verlag). Die Serie, die von Aleš Kot geschrieben wurde, dreht sich darum, was ein Superspion an physischem Leiden einstecken muss und was Bond heute bedeutet. Ich habe mich per Email mit Aleš Kot darüber unterhalten, was ihn auf die Idee gebracht hat, dass jedes Kapitel von einem anderen Zeichner illustriert wird, und wie er die Figur sieht.
WILL NEVIN

„James Bond“-Autor Aleš Kot (© Aleš Kot)

In der James-Bond-Reihe bei Dynamite gab es fortlaufende Serien, Miniserien und auch einige Oneshots. Dein Ansatz wirkt fast wie eine Anthologie-Serie – könnte man das so nennen? Und wie bist du darauf gekommen?
Ja, man kann es so nennen. Ich habe mit diesem Format bei „Zero“ gearbeitet, meinem psychedelischen Spionage-SF-Action-Horrordrama, und bei allen möglichen anderen Serien bei Image Comics, die zwischen 2013-2015 rauskamen, und man hat mich immer wieder gebeten, auf diesen Ansatz, den ich ursprünglich in Warren Ellis‘ „Global Frequency“ kennengelernt hatte, zurückzukommen. Ich wollte mich nicht wiederholen, darum habe ich einige Angebote ausgeschlagen, aber dann kam Bond, und da „Zero“ den Bond-Archetyp quasi auf dem Seziertisch zerlegt hat, fühlte es sich an wie eine Gelegenheit, mit dem Original in einer Weise zu experimentieren, die Spaß machen und interessant sein würde. Die Chance, mit verschiedenen Zeichnern zu arbeiten, war ein zusätzlicher Ansporn.

In den Titeln, an denen du selbst alle Rechte hast, wie „Material“ und „Generation Gone“, erkundest du komplizierte Probleme mit analytischer Tiefe. Was werden diejenigen, die mit deinen anderen Arbeiten vertraut sind, in „The Body“ wiedererkennen?
Das müssen die Leute selbst entdecken und/oder analysieren, das kann ich nicht sagen. Die Geschichte und die Figuren – darum geht es mir immer. Ich will mich nicht in die Beschreibung vertiefen, die man neben einem Gemälde findet. Ich habe zusammen mit anderen Leuten das Gemälde abgeliefert. Das ist alles.

Aleš Kot (Autor), Luca Casalanguida (Zeichner): „James Bond – The Body“.
Aus dem Englischen von Bernd Kronsbein. Splitter Verlag, Bielefeld 2019. 136 Seiten. 22,80 Euro

Du hast Bond ein „imperialistisch-kolonialistisches Gebilde“ genannt – das macht ihn im Jahr 2017 zu einer problematischen Figur. Wie gehst du in der Serie damit um?
Ich habe das Gefühl, „ein imperialistisch-kolonialistisches Gebilde“ fasst es doch ganz gut zusammen, oder? Ich würde noch „patriarchalisch“ und „rassistisch“ hinzufügen, denn Bond ist immer ein weißer Mann, der Frauen zu Objekten macht und sie benutzt, ohne an ihr Wohl zu denken. Er ist in vielerlei Hinsicht auch cool – superehrgeizig, mit exzellenten Problemlösungsstrategien, wandelbar wie ein Chamäleon, und er gibt niemals auf. Ich finde das Wort „problematisch“ im Zusammenhang mit ihm nicht ganz treffend – ich bevorzuge „komplex“. Ich beschäftige mich gern mit komplexen Figuren. Und diese hat eine tiefgehende Vorgeschichte. Ich empfinde nichts als Respekt für Mr. Fleming, der die Figur absichtlich so geschaffen hat, und ich möchte es genauso machen. Welchen Zauber wir auch in Bond erblicken – er ist den Preis nicht wert. Aber er ist es wert, erkundet zu werden, und daraus können einige sehr interessante Geschichten entstehen.

Lässt man die Probleme beiseite, ist Bond eine unwiderstehliche Figur – besonders, wenn sie Verletzlichkeit zeigt. In welchem Verhältnis steht deine Arbeit zu dem emotional angeschlagenen Bond, wie wir ihn gelegentlich schon gesehen haben, zum Beispiel in „Casino Royale“?
AK: Ich weiß wirklich nicht, ob man das vergleichen kann, aber ich weiß, dass ich definitiv von diesen Arbeiten profitiert habe.

Einige der berühmtesten Nebenfiguren in Bond erteilen ihm Befehle (M) oder sorgen für die Technik (Q). Wie war es, sich auf jemanden zu konzentrieren, der ihn zusammenflicken muss?
M und Q kommen in meinen Geschichten nicht wirklich vor. Aber Felix Leiter ist dabei, und wie es ist, Bond zusammenzuflicken, erfahren wir in der ersten Geschichte. Schließlich heißt das Ganze „The Body – Der Körper“, und mein Interesse war es, die innere und äußere Zerbrechlichkeit einer Person wie James Bond zu erforschen. Als Felix Leiter auftaucht, hat Bond schon einiges hinter sich, sowohl geistig als auch physisch. Es hat viel Spaß gemacht, ein ganzes Kapitel darüber zu schreiben, wie die beiden sich in einem Pub in London austauschen.

Seite aus „James Bond – The Body“ (Splitter Verlag)

Du hast erwähnt, dass deine Familiengeschichte bis ins Sowjet- und ins Nazi-Regime zurückreicht. Wie hat das deinen Ansatz für die Figur, deinen Blickwinkel auf sie geprägt?
Durch und durch. Krieg ist dumm. Es muss einen besseren Weg geben.

Wenn du noch eine Bond-Serie schreiben wolltest, wie würde die aussehen? Und was dürfen die Leser von dieser hier erwarten?
Ich habe tatsächlich eine Idee für eine weitere Geschichte. Sie ergibt sich direkt aus den Ereignissen in „The Body“ und ist eine Fortsetzung, eine weltumspannende Geschichte, in der Bond gegen die Rüstungsindustrie antreten muss, und zwar in einer Weise, dass er nicht gewinnen kann.

Und was die Leser von „The Body“ erwarten dürfen – das will ich ihnen nicht vorschreiben. Ich kann aber sagen, dass ich herausfinden wollte, wie es ist, heute James Bond zu sein. Und dafür greife ich eine gewisse Verletzlichkeit auf, Besessenheit, mein Wissen über Flemings Werk, die Figuren und das derzeitige sozio-politische Klima. Ich kann sagen, dass es mehrere Anschläge auf ihn gibt, ein Kapitel über illegale Folterungen, eine Sauna voller Neonazis, eine Schriftstellerin in den Bergen, eine Flinte und das Feeling, dass die Welt tief in der Scheiße steckt.

Die deutsche Übersetzung dieses Interviews, das ursprünglich auf al.com veröffentlicht wurde, erschien zuerst gedruckt in der limitierten Edition von „James Bond: The Body“ (Splitter Verlag).

Seite aus „James Bond – The Body“ (Splitter Verlag)