Über und unter der Erde – „Mouse Guard“

Die nordamerikanische Comicserie ist eine attraktive neue Ausprägung des uralten Musters Klein gegen Groß. Lesen kann sie aber Klein und Groß.

Klein gegen Groß – das ist eine unwiderstehliche Kombination. Wer sich Geschichten ausdenkt, die auf ihr beruhen, hat die Freiheit, zwischen ganz unterschiedlichen Tonlagen zu wählen. Dramatisch, blutig kann es zugehen, aber auch burlesk, slapstickhaft.

Intakt bleibt jeweils der mythische Kern, der die Faszination für Leser und Zuschauer garantiert: Egal ob David mit Goliath kämpft oder Tom mit Jerry, immer geht es um die Hoffnung, dass die Welt nicht allein den Starken und Skrupellosen, sondern auch den Schwachen und Friedlichen gehören möge – vorausgesetzt, diese verfügen über ein wenig List und Geschick.

Eine attraktive neue Ausprägung dieses uralten Musters bietet die nordamerikanische Comicserie „Mouse Guard“. Sie führt in eine mittelalterliche Welt, in der anthropomorphe Tiere leben. Die Mäuse unter ihnen haben sich seit einiger Zeit in einem lockeren Bund von Stadtstaaten organisiert. Er wird von einer Wache beschützt, die ihren Stützpunkt in der zentral gelegenen Festung Lockhaven hat.

David Petersen (Autor und Zeichner): „Mouse Guard Band 1-3“.
Cross Cult, Ludwigsburg 2006-2014. Je 192 Seiten. Je 24,90 Euro

Die Aufgabe dieser klugen, kampferprobten Mantel-und-Degen-Nager besteht zunächst darin, im Inneren für Ordnung zu sorgen; im ersten Band gilt es eine Art faschistischer Verschwörung abzuwehren. Außerdem hat die Wache ihre Artgenossen gegen die stets drohenden Angriffe größerer, räuberischer Tiere zu verteidigen.

David Petersen setzt durchaus auf die kindchenschematische Niedlichkeit seiner Figuren, stellt sie aber nicht übertrieben putzig dar. Das Süßliche meidet er ebenso wie die Virilitätsfantasien, die in der Fantasy sonst so gern zu Hause sind. Die bisherigen Episoden von „Mouse Guard“ spielen im Herbst und im Winter, über und unter der Erde, aber auch auf See, und jede Jahreszeit, jeder Ort zeichnet sich durch eine passende, stimmungsvolle Kolorierung aus.

Dem Leben und dem Aussehen der Mäuse entsprechend, kommen in „Mouse Guard“ überwiegend gedeckte, erdig wirkende Farben zum Einsatz. Petersen erzielt mit kleinen Variationen große Wirkungen, etwa wenn eine Maus zweimal hintereinander einem Fuchs begegnet, dem sie sich zu einer Auseinandersetzung auf Leben und Tod stellen muss. Im dichten Morgennebel kommt das Fell des Feindes zunächst kaum zur Geltung; als der Nebel sich etwas gelichtet hat, leuchtet es in einem geradezu mörderischen Rot.

„Mouse Guard“ erscheint schon seit 2006. Dass bislang nur drei Bände vorliegen, ist der aufwändigen Arbeitsweise Petersens, der die Reihe allein verantwortet, geschuldet. Für die Wartezeiten gibt es den Spin-off „Legenden der Wächter“, der nach dem Vorbild des „Decamerone“ und der „Canterbury Tales“ konzipiert ist. Von Petersen stammt nur der Rahmen, in dem Mäuse gemütlich in einem Wirtshaus sitzen; die Geschichten, die sie einander erzählen, sind von anderen Künstlern gestaltet.

Im zweiten Band der „Legenden“ sind „Der Schatten“ von Jemma Salume und „Der Dieb, der Sterndeuter, der Jäger und der Schneider“ von Cory Godbey hervorzuheben – zwei Beiträge, die geschickt Horror- und Märchenmotive in den „Mouse Guard“-Kosmos einweben. Auf dem Cover wird „Mouse Guard“ für Leser ab 8 empfohlen. Das „ab“ ist kräftig zu betonen: An den Abenteuern der tapferen Pelzträger können 18- und 58-Jährige Spaß haben.

Diese Kritik erschien zuerst am 17.03.2015 in der taz.

Christoph Haas lebt im äußersten Südosten Deutschlands und schreibt gerne über Comics, für die Süddeutsche Zeitung, die TAZ, den Tagesspiegel und die Passauer Neue Presse.

Seite aus „Mouse Guard“ Band 3 (Cross Cult)