Wie Rassismus das Selbstwertgefühl aushöhlt

Zwei asiatischstämmige Jungs müssen sich auf einer US-amerikanischen High School gegen fremdenfeindliche Mitschüler wehren. Disney+ hat daraus eine rasante Martial-Arts-Serie gemacht. Die gleichnamige Comicvorlage „American Born Chinese“ geht deutlich tiefer und ist eine Parabel über den achtsamen Umgang mit der eigenen Identität – gerade dann, wenn es schwierig ist mit dieser Identität…

Die Demütigungen fangen schon damit an, dass sich nicht mal die Lehrer die Mühe machen, die neuen asiatischen Schüler richtig vorzustellen. Jin Wang zum Beispiel wird als Jing Jang vorgestellt, der gerade mit seiner Familie aus China gekommen sei, obwohl er in San Francisco geboren wurde und einfach nur umgezogen ist. Die Mitschüler*innen nennen Jin nur Schlitzauge und Hasenzahn und bemühen immer wieder Klischees. Etwa, dass Chinesen Hunde essen. Das ist so herabwürdigend, dass Jin den Hass auf alles Asiatische so sehr verinnerlicht, dass er Abstand zu anderen asiatischen Kindern nimmt und lieber mit einem weißen Außenseiter spielt, der grob zu ihm ist.

Das klingt niederschmetternd, der Grundton des Comics ist aber ein komischer. Das liegt zum einen daran, dass Comic-Künstler Gene Luen Yang zunächst rätselhafte Passagen von Cousin Ching-Ki in die Handlung einflicht. Es geht dabei um einen amerikanischen weißen Jungen, Danny, der einmal im Jahr von seinem chinesischen Cousin Ching-Ki besucht wird, der mit seinem langen Zopf, Augen mit schmaler Lidspalte und Hasenzähnen wie das Klischee eines Chinesen aussieht und sich auch genauso benimmt: In der Schule ist er der größte Streber, zitiert ständig Konfuzius und will den Mädchen die Füße abbinden. Das ist schrecklich komisch – und für Danny so belastend, dass er nach Ching-Kis Besuchen die Schule wechseln muss.

© Cross Cult

Und Gene Luen Yang, der selbst als chinesischstämmiger Junge in den USA geboren wurde, entwickelt eine großartige Selbstironie. Zum Beispiel, als Jin verliebt ist und sich deshalb die Frisur von einem weißen Jungen machen lässt. Oder wenn er vor seinen Freunden hadert, dass das Mädchen andere weiße Jungs lieber mag als ihn. Seine Freunde ziehen ihn deshalb auf. Die Situation kippt, als ein paar dauerfiese weiße Jungs vorbeikommen und die Freunde als die „drei Chinesen mit dem Kontrabass“ bezeichnen. Wenn Menschen, die sich mögen, einander ärgern, kann das lustig sein. Rassismus dagegen ist herabwürdigend.

Den Humor hat die Streaming-Serie aus dem Comic übernommen, die Kampfszenen gibt es im Comic nicht. Stattdessen erzählt Gene Luen Yang neben den Ching-Ki-Episoden immer wieder Passagen aus dem chinesischen Mythos vom Affenkönig – deren Muster der Geschichte von Jin ähnelt. Denn der Affenkönig wird bei einer Dinnerparty der Götter abgewiesen, weil er ein Affe ist. Deshalb übt er Kung-Fu-Techniken bis zur Meisterschaft – denn die sind bei den Göttern sehr angesehen. Doch es nützt ihm nichts, der Beste zu werden: Die Götter wollen trotzdem nicht mit ihm feiern. Deshalb kehrt der Affenkönig seinem Reich den Rücken und verleugnet fortan, ein Affe zu sein. All das zeichnet Gene Luen Yang mit klaren Linien und satten Farben.

Die chinesischen Mythen sind ein Fingerzeig zum Empowerment. Erst als der Affe nach ziemlich viel Rebellion akzeptiert, dass er ein Affe ist, wird er wieder stark und kann zu seinem Königreich zurückkehren. An diesem Punkt der Erzählung kommen die Fäden, die Gene Luen Yang in dem Comic verwoben hat, zusammen. Jin erkennt, dass die Geschichte des Affenkönigs, die seine Mutter ihm erzählt hat, relevant für ihn ist. Sogar die rätselhaften Abenteuer des Klischee-Chinesen Ching-Ki werden erkennbar als Parabel auf die Selbstverleugnung von Jin.

In „American Born Chinese“ analysiert Gene Luen Yang, wie Rassismus das Selbstwertgefühl und die Identität der Betroffenen aushöhlt. Und er zeigt, wie sehr die eigene Kultur und deren Geschichten einen wichtigen Beitrag zur eigenen Identität bilden. Das ist auch deshalb so stark, weil es mit ungeheurer Leichtigkeit und viel Humor erzählt wird. Eine Tragikomödie im besten Sinne.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 04.07.2023 auf: rbb Kultur

Gene Luen Yang: American Born Chinese • Cross Cult, Ludwigsburg 2023 • 244 Seiten • Hardcover • 35,00 Euro

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.